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Fake News über Fake News

AfD-Wähler sind besonders anfällig für Fake-News. Das jedenfalls sagt eine Umfrage – beziehungsweise, wie es medial selbst bei Telefonumfragen heißt – eine „Studie“ der „Stiftung Neue Verantwortung“, nach eigenen Angaben eine Denkfabrik, finanziert unter anderem vom Auswärtigen Amt, der Bertelsmann-Stiftung und der Open Society Foundation von George Soros.

„Für eine neue Studie wurden Wähler nach der Bundestagswahl mit verschiedenen Fake News aus dem Wahlkampf konfrontiert. Ergebnis: AfD-Wähler waren besonders willens, sie für echte Nachrichten zu halten und stuften reale News dafür als Fälschungen ein“, meldete Spiegel Online. Nur: erstens stimmt diese Zusammenfassung so apodiktisch nicht. Und zweitens handelt es sich um praktisch wertlosen Umfrageschrott.

So wurde den 1000 Befragten beispielsweise die Behauptung vorgelesen, der CDU-Wahlwerbespruch „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“ stamme eigentlich von einem SED-Plakat der achtziger Jahre. Das trifft nicht zu, aber immerhin 28 Prozent der Befragten hielten das für richtig, 32 Prozent der AfD-Wähler und sogar 37 Prozent der Grünen-Wähler. Die Aussage, Martin Schulz wolle im Fall eines Wahlsiegs ein „Arbeitslosengeld Q“ einführen (Q für Qualifizierung) traf dagegen zu. Hier glaubten 28 Prozent aller Befragten umgekehrt an eine Fake News, 36 Prozent der AfD-Wähler und 31 Prozent der Grünen-Wähler, also ebenfalls überdurchschnittlich viele. Die Spiegel-Behauptung, AfD-Wähler wären „besonders willens“, falsch für wahr und umgekehrt zu halten, lassen sich aus den Zahlen so generell also nicht herauslesen.

In einem anderen Punkt wurde den Angerufenen die Aussage vorgehalten: „59 Prozent der Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss.“ Das hielten 56 Prozent aller Befragten für korrekt, 75 Prozent der AfD-Wähler und 40 Prozent der Grünen-Anhänger. Nur handelt es sich eben, anders als von der Stiftung behauptet, nicht um eine Fake News, also eine gefälschte Nachricht, sondern um eine Ungenauigkeit, die jedenfalls nicht schlampiger und tendenziöser ist als die Spiegel-Meldung über die Umfrage. Richtig ist, dass 59 Prozent der Asylbewerber, die Arbeit suchen, keinen Schulabschluss besitzen.

Ähnlich die Meldung darüber, dass Flüchtlinge aus Baden-Württemberg „Urlaub in ihren Heimatländern machen“. Solche Flüge gab es, die öffentliche Debatte drehte sich darum, ob die Bezeichnung „Urlaub“ für die Reisen zutrifft, es geht also um eine Bewertung.

Und nun zu dem Datenschrott: Um tatsächlich einen sinnvollen Vergleich herstellen zu können, hätten die Stiftungsleute beispielsweise auch fragen müssen, wie viele unter den 1000 Leuten Martin Schulz’ Wahlkampfbehauptung glaubten, die Zahl der prekären Beschäftigungen in Deutschland sei in den letzten Jahren stark gestiegen. Das traf nämlich nicht zu. Sie hätten sich auch erkundigen müssen, wer glaubt, die frühere AfD-Chefin Frauke Petry hätte einen Schießbefehl an der Grenze gefordert (hatte sie nicht). Oder wie viele es für wahr halten oder hielten, dass ein AfD-Landtagsabgeordneter aus Baden-Württemberg zur Verbrennung von Hexen aufgerufen habe. An diese Fake News glaubten immerhin etliche Qualitätsjournalisten, jedenfalls glaubten sie den Quatsch drucken zu müssen und welche Parteianhänger unter den 1000 glauben, dass Glyphosat ein hochgefährliches Gift in Lebensmitteln ist? Auch das hatten etliche Medien mit Berufung auf eine „Studie“ über Glyphosat im Bier gemeldet, allerdings den Hinweis vergessen, dass man etwa 1000 Liter trinken müsste, um überhaupt den Grenzwert zu erreichen.

Vermutlich wäre nach diesen Fragen von dem Desiderat der neuen Verantwortungsträger: „AfD-Wähler besonders anfällig“ überhaupt nichts geblieben. Jedenfalls – das kann man ohne Fake News-Risiko behaupten – hätte es bei einer Umfrage nach allen Seiten und dem entsprechenden Ergebnis keine Meldung im Spiegel und anderen besorgten Organen gegeben.

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Kommentare anzeigen (10)

  • Daß man sowas im deutschsprachigen Raum, spezielle in Deutschland, in Denglisch "fake news" nennt und nicht einfach in klarer Sprache "Falschmeldungen".

    Man sollte Sachen beim Namen nennen.

    Überall, wo Denglisch bzw. Schwamm- und Blasendeutsch gebraucht wird geht es nur darum, etwas möglichst unklar und schwammig auszudrücken.

  • Danke, Herr Wendt, für diese Richtigstellung - und viel Erfolg und Glück für das neue Online-Magazin!

  • Gerade als langjähriger, nunmehr verrenteter Journalist freue ich mich, dass es noch mutige Kollegen gibt, die wider den Stachel löcken. Mit Kompetenz, Scharfsinn, gutem Deutsch........und offensichtlich Freude am eigenen Tun.
    Wünsche gutes Gelingen und Widerhall beim geneigten Publikum.

  • Realität ist in Deutschland nicht das, was tatsächlich stattgefunden hat, sondern das was die Medien daraus nachen. Tage- bis Wochenlange falsche Behauptung auf den Titelseiten und Wochen später die Richtigstellung in einem Sechszeiler auf Seite 10 links unten. Andererseits das komplette Weglassen von Nachrichten die dem eigenen Weltbild widersprechen.
    Mich würde interessieren, wie Linke den Wahrheitsgehalt zu folgenden Ereignissen einschätzen:
    Rechte "Übergriffe" in Sebnitz, Mittweida, Ludwigshafen, Passau und Mügeln , Spitzelaufruf von Ver.di gegen "Rechte", Gerichtsurteil in Göttingen dass das Verschweigen von AfD-Mitgliedschaft Kündigung eines Mietvertrags rechtfertigt....
    Mir wurde zuletzt im Kollegenkreis hinsichtlich des Gerichtsurteils erst geglaubt, als ich die Meldung aus der HNA (dem Lokalblatt des Ereignisses) im Internet präsentieren konnte...

  • Ich freue mich über jeden, der heute den Mut hat, unter Nennung seines Klarnamens seine eigenen Gedanken zur Diskussion zu stellen. Es zeigt, dass es im Land der Dichter und Denker doch noch Charaktermenschen gibt.
    Sehr geehrter Herr Wend, ich wünsche Ihnen mit Ihrem Blogg und auch persönlich alles Gute.

  • Menschen wie SIE zeigen Gesicht! Menschen wie SIE sind mutig! Menschen wie SIE schützen die Demokratie!

    Ich kann Ihnen gar nicht ausdrücken wie dankbar ich Menschen wie IHNEN bin! SIE sind die Helden unserer Zeit.

    Danke.

    Viel Erfolg. Wir brauchen SIE!

  • Ich bin zwar ein Linker - genauer ein linker Wertkonservativer - und halte Lafontaine für einen hervorragenden Politiker und Kenner ökonomischer Zusammenhänge, aber dieses Projekt halte ich für sehr begrüssenswert, um die eklatante Einseitigkeit und Ödnis in den etablierten Medien einzudämmen.