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Ausweitung der Moralkampfzone

Der Autor Uwe Tellkamp misst in Dresden den deutschen Meinungskorridor aus

In normalen Zeiten bringen Verlage Bücher auf den Markt, aber keine Banalitäten in die Öffentlichkeit. Der Suhrkamp-Verlag hat das nun getan: Er twitterte nach einem Streitgespräch zwischen Durs Grünbein und seinem Autor Uwe Tellkamp am Donnerstag in Dresden:

„Aus gegebenem Anlass: Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln.“

Nun handelt es sich bei Verlagen zumindest außerhalb von Partei- und Kirchenunternehmen nicht um Tendenzbetriebe. Dass sich ihre Mitarbeiter kollektiv eine Meinung zu gesellschaftlichen Themen bilden würden, wäre neu. Und noch überraschender, wenn diese Meinung dann auch die Meinung aller ihrer Autoren wäre.

Was war der gegebene Anlass, aus dem Suhrkamp etwas mitteilte, was ohnehin jeder vernünftigerweise erwarten würde?

Uwe Tellkamp hatte in der Debatte mit Grünbein unter anderem gesagt, dass die bedingungslose Grenzöffnung durch Merkel im September 2015 an Recht, Gesetz und Parlament vorbei erfolgte, und dass die meisten Migranten kamen und kommen, weil sie sich ein besseres wirtschaftliches Leben erwarten. Außerdem äußerte er noch die Ansicht, ein realistisches Bild über die Migrationskrise könnte man eher aus der Lektüre der in letzter Zeit neu entstandenen als aus den etablierten Medien gewinnen.

Von SpOn bis zur Aachener Zeitung rollte nach dem Verlagstweet die Meldung: „Suhrkamp distanziert sich von Uwe Tellkamp“; einige Medien informierten ihre Leser noch etwas ausführlicher darüber, was sie von dem „Turm“-Autor zu halten haben:

„Tellkamp („Der Turm“) hatte am Donnerstag in Dresden bei einer Diskussion Positionen der AfD und der islam- und ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung vertreten“, teilt der Tagesspiegel mit.

„Bereits in der Vergangenheit ist Tellkamp damit aufgefallen, dass er sich nicht von Rechten distanziert hat“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Stilistisch ähneln die Passagen erstaunlich den Einträgen der Staatsicherheit in Akten über damals so genannte feindlich-negative Personen.

Natürlich handelte es sich bei Tellkamps Aussagen um keine exklusiven AfD- oder Pegida-Positionen. Sie decken sich mit der Statistik (nur 0,3 Prozent der Migranten von 2016 bekamen tatsächlich Asyl); sie decken sich auch weitgehend mit dem Inhalt des Textes “Sondierung an der Grenze“ von Stefan Aust in der Welt (in den etablierten Medien finden sich durchaus substanzielle Beiträge).

Tellkamp steht schon seit einiger Zeit auf der Beobachtungsliste. Im Herbst 2017 unterzeichnete er als einziger Autor mit A-Prominenz die Charta 2017, in der die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen nach den linksradikalen Übergriffen auf der Frankfurter Buchmesse gegen die ständige Verengung des Meinungskorridors protestierte. Dagen hatte übrigens einige prominente Autoren angesprochen, die alle absagten, einer mit Begründung, er hätte gar nicht so genau mitbekommen, was da in Frankfurt passiert sei.

Die FAZ ordnete, auch aus gegebenem Anlass, in ihrem Bericht über die Tellkamp-Grünbein-Diskussion in Dresden auch die Charta 2017 ein:

„Darauf reagierten rund einhundert Dresdner Autoren, darunter Grünbein, mit einem Aufruf, der die Dinge wieder auf die Füße stellte. ‚Die Freiheit, sich zu äußern, begründet kein Recht, sich unwidersprochen zu äußern’, heißt es darin.“

Im Englischen nennt man das ein Straw Man Argument: Weder Tellkamp noch Dagen noch ein anderer Unterzeichner des Aufrufs hatte je verlangt, unwidersprochen bleiben zu dürfen. Sie verlangen nur, dass Stände auf der Buchmesse unbeschädigt bleiben, auch wenn sie linken Aktivisten nicht passen, und dass Verlage ungestört ihre Veranstaltungen durchführen können. Im übrigen machte gerade eine Linksaußeninitiative gegen „Rechte Verlage“ auf der Leipziger Buchmesse deutlich, dass es ihr nicht um Diskussion und Widerspruch geht, sondern um exakt das, was Tellkamp und die Charta2017 benennen: Die systematische Verengung des Meinungskorridors.

Von der Tellkamp-Diskussion einmal abgesehen: merkwürdigerweise bleibt die Lernkurve des linksmoralischen Erregungskomplexes so flach wie die EEG-Linie eines Hirntoten. Im vergangenen Jahr führte die gleichgerichtete Medienkampagne gegen Rolf-Peter Sieferle (inklusive der Fake News, er „verharmlose“ in „Finis Germania“ Auschwitz und der Wegsäuberung des Buchs aus der Spiegel-Bestseller-Liste) zu einem bemerkenswerten Verkaufserfolg nicht nur für „Finis Germania“, sondern auch für „Epochenwechsel“ und „Das Migrationsproblem“. Bis heute halten sich die Sieferle-Bücher auf respektablen Verkaufsrängen. Die „New York Times“ fragte sich damals in einem wohltuend sachlichen Artikel, was es zu bedeuten hat, wenn hunderttausende Leser eines Landes so demonstrativ einen anderen Weg einschlagen als fast der gesamte Feuilletonbetrieb.

Seit kurzem liegt auch die Bilanz des Versuchs vor, Sachsen und Dresden zu Unorten zu stempeln (Stern: „Sachsen, ein Trauerspiel“, das “dunkelste Bundesland Deutschlands“, Hamburger Morgenpost: „Der Schandfleck“). Die Morgenpost gruselte sich damals wohlig, rechte Umtriebe würden die Tourismuszahlen in dem Schandfleckland einbrechen lassen.

Die Tourismus-Statistik für Dresden und Umgebung für 2017 sieht folgendermaßen aus:

5,81 Millionen Übernachtungen, ein Plus von 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Anders als die Auflage der Morgenpost: die rutschte 2017 in den roten Bereich. Der Stern landete seinerzeit mit dem Anti-Sachsen-Titel einen historischen Minusrekord.

Die Prognose ist nicht besonders kühn, dass auch Uwe Tellkamp und seine Bücher keinen Schaden erleiden werden.

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (26)

  • Die WELT hat derweil immerhin beschlossen, aus der Phallanx der Bessermedien auszubrechen und bringt einen Artikel mit dem Titel: "Suhrkamp wechselt ins Lager der Gesinnungsprüfer". Das Blatt sieht - Achtung! - die Meinungsfreiheit in Gefahr. Das muß ein Irrtum sein.

    • Steht "Meinung" oder "Kommentar" über dem Welt-Artikel? Ich wette, dass es so ist. Um nicht auch noch den letzten Leser zu verprellen veröffentlich die Welt immer mal wieder solche Artikel, entsprechend gekennzeichnet, damit sich die Redaktion im Zweifelsfall davon distanzieren kann.

  • Erstaunlich. Als eine Freundin mir das heute gemailt hatte, habe ich noch nichts davon mitbekommen. Ich hab das Thema gleich gegoogelt. Habe nur afd, Pegida, rechtsextreme gelesen , allein in den Überschriften. Tellkamp nun eine persona non grata.
    Parallel habe ich Newsletter von tichys Einblick bekommen. Was bei mir hängengeblieben ist: irgendwas von eine Million, was von sieben Millionen, Zugriffe. Jip, es tut sich was. Hier und überall. Und dafür bin ich dankbar. Und so verteile ich die Kohle von meinem ex Abo der Welt / FAZ sauber auf die Achse, tichy und Publico. Und das finde ich geil. Sorry, für das geil. Danke an die Alex wendt, Roland tichys dieser Welt.

  • Ähnlich wie Suhrkamp verhielt sich vor Jahren der MDR indem er einen
    Disclaimer vor die Ausstrahlung von Jörg Bernigs 3. Kamenzer Rede
    setzte. Obendrein wurde der Beitrag gut im Abend-/ Nachtprogrammm
    versteckt, damit auch ja nix vom 'bösen' Inhalt auf die lupenreinen
    Gutfunker abfärben möge.

    PS: Es scheint irgendein Sachsen-Gen zu geben, das einen Teil der
    Sachsen immun gegen staatliches Meinungsmanagement macht

  • Sehr geehrter Herr Wendt,

    da habe ich andere Zahlen. Laut Focus konnte Dresden 2017 4,43 Millionen Übernachtungen verzeichnen. Das wäre das zweitbeste Jahr der Dresdener Stadtgeschichte, nur übertroffen vom Rekordjahr 2014.

    Quellen:
    https://www.focus.de/regional/dresden/dresden-sachsen-tourismus-mit-mehr-als-19-5-millionen-uebernachtungen_id_8551314.html
    http://www.dresden.de/de/leben/stadtportrait/statistik/wirtschaft-finanzen/tourismus.php

    Ergänzend noch zweierlei:
    1 - Das Verhalten Suhrkamps ist auch die Frucht der Distanzfrage, wie sie besonders gern von kollektivbeseelten Talkshowmoderatoren gestellt wird: "Distanzieren Sie sich von diesem und jenem?". Die Frage ist so ewigdumm und banal, dass man sich ja schon blamiert, wenn man überhaupt auf sie antwortet. Die einzig probate Antwort wäre: "Wollen Sie mich veralbern? Da ich ein Individuum bin, distanziere ich mich von ausnahmslos jedem, der nicht ich bin; sogar von meinem jüngeren, unerfahreneren und ungebildeteren Selbst!"

    2 - Im Hause Suhrkamp hat man offenbar die Hosen gestrichen voll, als nicht linientreu genug angesehen zu werden. Suhrkamp erscheint lieber dumm und banal statt verdächtig nichtlinks. Wenige Tage vor der Leipziger Buchmesse nicht die schlechteste Idee.

  • Quod erat demonstrandum, Herr Tellkamp. Die öffentlichen Reaktionen auf die in keinster Weise unerhörten Diskussionsbeiträge des Dresdner Autors geben ihm vollumfänglich recht. Der Suhrkamp-Verlag tut sich dabei in besonders einfältiger Weise hervor und zeigt mit seinem "tweet", dass von dem einstigen intellektuellen Glanz des Hauses nahezu nichts mehr übrig geblieben ist. Der Verlag - das wissen Branchenkenner genau - war als Arbeitgeber noch nie ein Verfechter freier Meinungsäußerung. Er wurde einst mit harter patriarchalicher Hand geführt und verlegt auch heute noch gerne und ohne Gewissensbisse die Schriften ähnlicher Patriarchen wie etwa des linksradikalen Konkret-Herausgebers Gremliza. Mit dem merkwürdigen Onlinegezwitscher beweisen die ewiggestrigen Suhrkamp-Genossen genau diese, aus liberaler Sicht bedenkliche Kontinuität. Die Frage ist, ob und warum man als freidenkender Autor dort bleiben sollte.

  • Ein Herr Oomen hier, ein Herr Grünbein da und B. Kramer mit roten Augen suchend
    im world-wide Netz. Späher all over. Blogs wie Ihrer oder Achgut übernehmen die Funktion des investigativen Journalismus, den die 'Gegenseite' vernichten möchte.
    Viele von uns stellen mit Erschaudern im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis fest, wie sehr diese Mediengleichschaltung bereits wirkt. Eine scheinbar seriöse Berichterstattung vermittelt das Gefühl - alles gut-, - wir schaffen das. Richtigstellungen anhand von alternativem Informationsmaterial rückt den Korrigierenden in die Nähe eines Verschwörungstheoretikers. Aber n o c h herrscht Meinungsfreiheit und als soziales Wesen mit ein wenig Chuzpe muß diesem sich gesellschaftlich etablierendem Denunziantentum entgegengetreten werden. In welch schrecklicher Welt müssen wir sonst leben!
    Deshalb einen ganz großen Dank für die unermüdliche Arbeit aller, die durch ihre investigative Arbeit uns Zugang zu Inforrmationen ermöglichen, die unser Meinungsbild
    komplettiert. Danke Herr Wendt.( ...man muß Sie auch ein bisserl bei Laune halten!)

  • "Ein gescheites Wort, schon ist man Kommunist" hat Walter Jens vor Urzeiten mal in der ZEIT geschrieben, als "Kommunist" noch das verbale Todesurteil für nachdenkliche, freie Geister war. Heute...

  • Die Weiterleiter sitzen auch hier wieder bei dpa, von der auch der Tagesspiegel die Diktion übernimmt. Das war nicht einmal der obligatorische M. Meisner.
    Besonders infam ist ja dieses, Tellkamp habe "Positionen der AfD und der islam- und ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung vertreten", das einerseits unmittelbar eine enge Einordnung unter Scheusalen und Verfehmten vorgibt, andererseits Tellkamp eine eigene Position in dieser zentrale Frage abspricht. Der Ekel steigt von Tag zu Tag.