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„Etappensieg für die Meinungsfreiheit“

Zum ersten Mal untersagt ein Gericht die Löschung eines Facebook-Posts. Der Hamburger Anwalt Joachim Steinhöfel rechnet mit einer Signalwirkung gegen willkürliche Eingriffe in sozialen Netzwerken

Als der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD) in den letzten Tagen der alten großen Koalition 2017 dass Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Eilverfahren durch den Bundestag brachte, hatte sich schon eine Riege beachtlicher Experten dazu geäußert. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stufte es in einem Gutachten schon vor seiner Verabschiedung als grundgesetz- und europarechtswidrig ein (WD 10-3000-037/17). Auch der Hamburger Rechtsprofessor Karl-Heinz Ladeur und der Dortmunder Medienrechtler Tobias Gostomzyk zerpflückten die eilig zusammengeschriebenen Maas-Paragraphen in einem Gutachten.

Zur Erinnerung: Das Netzdurchsetzungsgesetz zwingt Netzwerkbetreiber wie Facebook, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ zu löschen. Bei einer unzureichenden Löschpraxis – wobei das Gesetz die Kriterien nicht definiert – drohen Unternehmen bis zu 50 Millionen Euro Buße.  Seit dem gilt bei Facebook: im Zweifel wird gelöscht.

Der Hamburger Anwalt Joachim Steinhöfel setzte jetzt einen Gerichtsbeschluss durch, der das Milliardenunternehmen zum ersten Mal zwingt, den gelöschten Post eines Mandanten wiederherzustellen. Die Richter des Landgerichts Berlin befanden in einer Einstweiligen Verfügung (Beschluss vom 23.03.2018, 31 O 21/18), dessen Äußerung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der Beschluss wurde am 23.3.2018 vom Landgericht Berlin erlassen und den Rechtsanwälten am 6.4.2018 zugestellt.

Der Fall: Die „Basler Zeitung“ verlinkte am 08. Januar 2018 den Artikel „Viktor Orban spricht von muslimischer ‚Invasion’‘“ auf ihrer Facebook-Seite. Angekündigt mit einem Zitat des ungarischen Regierungschefs: „Viktor Orban wundert sich, wie in einem Land wie Deutschland […] das Chaos, die Anarchie und das illegale Überschreiten von Grenzen als etwas Gutes gefeiert werden konnte’“. Der Nutzer Gabor B. kommentierte: „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter’, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt“.

Facebook löschte den Kommentar von Gabor B. wegen eines angeblichen und nicht näher begründeten Verstoßes gegen deren Gemeinschaftsstandards, und sperrte B. für 30 Tage.

„Man mag die Einschätzung des Kommentators teilen oder die Äußerung als polemisch und unsachlich erachten“, kommentiert Steinhöfel. „Wichtig ist nur: Der Kommentar ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.“

Der prominente Anwalt betont, dies sei ein „richtungsweisender Beschluss“ und die erste derartige Gerichtsentscheidung in Deutschland: „Endlich haben Nutzer eine Handhabe gegen die intransparenten Machenschaften eines Konzerns, der mit seiner Verantwortung umgeht, als handele er mit gebrauchten Fahrrädern. Der Beschluss ist ein wichtiger Etappensieg für die Meinungsfreiheit.“

Steinhöfel sieht sich in seiner und der Kritik vieler anderer Experten am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bestätigt. „Es ist nicht nur verfassungswidrig, es funktioniert auch nicht, sondern dient noch als Brandbeschleuniger der aktuellen willkürlichen Lösch- und Sperrpraxis.“

Facebook kann gegen die Einstweilige Verfügung Widerspruch einlegen. Die Krux für das Unternehmen: es müsste dann zum ersten Mal in der Sache argumentieren und seine Löschpraxis offenlegen. Das hatte der Zuckerberg-Konzern bisher immer vermieden.

Das dürfte sich jetzt nicht mehr vermeiden lassen, selbst, wenn Facebook den Berliner Beschluss widerspruchslos akzeptiert. Denn Steinhöfel betreibt weitere Verfahren gegen das Weltunternehmen. „In den nächsten Wochen werden mehrere Klagen gegen Facebook vor verschiedenen Landgerichten öffentlich verhandelt“, so Steinhöfel zu Publico.

Für die Berliner Koalition wäre es jetzt das Klügste, das NetzDG wieder einzustampfen. Falls nicht, dann könnte es Stück für Stück bis hin zum Bundesverfassungsgericht kaputtgeklagt werden.

 

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Kommentare anzeigen (11)

  • Im Kern ist der Erfolg Steinhöfels natürlich ein absoluter Lichtblick. Unverständlich finde ich aber, wie das NetzDG überhaupt greifen konnte. Das zeigt doch nur, dass Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland längst ausgehebelt sind. Auch dass nicht schon längst eine Klage gegen die Verfassungswidrigkeit des NetzDG eröffnet wurde finde ich befremdlich. Es kann doch nicht sein, dass man das NetzDG mit so kleinen Teilerfolgen Steinhöfels durch die Hintertür bombardieren muss um es zu bekämpfen. Das ist doch viel zu zeit- und kraftraubend.

    • Wir "feiern" den 200. Geburtstag Karl Marxens dieses Jahr rauf und runter. Wo er aber recht hat, hat er recht:
      "Die herrschenden Meinungen sind die Meinungen der Herrschenden." Das war so und ist so. Besser wär es übrigens den ebenfalls 200. Geburtstag Friedrich Wilhelm Raiffeisens zu feiern. Er hat mehr Gutes für die Menschheit gebracht als Karl aus Trier. Prof. Mag. Peter Meier-Bergfeld M.A. , gottfroh in Österreich zu leben;

      • Werter Herr Prof. Mag. Peter Meier-Bergfeld M.A. , "gottfroh in Österreich zu leben". Wie ich mit großer Freude und unendlicher Begeisterung sehe und lese, mögen Sie ironische Spitzen und Seitenhiebe?

        Isch ach. Joh, isch ach. Würglisch. Abba, a kleene Froch habsch da mol, Herr Prof. Mag. Peter Meier-Bergfeld M.A. ... Meinen Sie jenes Osterei, das behauptet, Mozart sei aus selbigen ausgebrütet worden, und Hitler wäre ein Kuckucksei aus dem bösen bösen Nachbarländle Dunkeldeutschland?

        Grüß Gott, Herr Prof. Mag. Peter Meier-Bergfeld M.A., und nichts für Unmut.

  • Eine Schande, dass sich im Bundestag nicht die notwendige Minderheit findet, das Netz DG vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.

  • Man kann es kaum in vernünftige Worte fassen. Der Ex-Justizminister der Sozialdemokraten Herr Maas verabschiedet als Jurist ein Gesetz, dass dem Grundgedanken des Grundgesetzes auf garantierte Meinungsfreiheit völlig zuwiderläuft. Schon das allein zeigt, dass er entweder seinen Beruf nicht verstanden hat, oder ein offensichtlicher Feind der demokratischen Grundordnung in diesem Land ist. Aber, dass Ihm keiner der politisch verantwortlichen Parlamentarier in die Parade gefahren ist, und versucht hat, dieses demokratiefeindliche Gesetz zu verhindern, schlägt dem Fass den Boden aus. Hatte nicht auch eine gewisse "Zensur-Ursula" und heutige "Flinten-Uschi" (frei nach O. Welke) ähnliche Ambitionen?

    Ein echter Sozialdemokrat und Jurist, Herr Maas, würde so einen Angriff auf die Demokratie nicht mal denken, und ein echtes demokratisches Parlament so einen Angriff auf die Meinungsfreiheit niemals billigen.

    „Gewöhnlich sieht man, wenn man Widerspruch erfährt, nicht darauf, ob er berechtigt ist, sondern wie man ihn irgendwie niederschlagen kann.“ Michel de Montaigne

    Herr Maas, warum sind Sie nicht Außenminister für die Mars-Region? Ihre langen Dienstreisen und die stattlichen Kommunikationsverzögerungen die sich zwangsläufig daraus ergeben, würde ich sehr zu schätzen wissen.

  • Wenn man sich das genau überlegt, ist das alles schon reichlich unsinnig. Es gibt ein NDG, was die Entscheidung rechtmäßiger/unrechtmäßiger Post in die Hände eines amerikanischen Unternehmens legt. Als nächstes könnte man ja auch minderschwere Fälle (vielleicht das ganze Asyl-Gedöns?) an irgendein Unternehmen outsourcen. Hätten unsere Gerichte mehr Zeit, wichtige Prozesse zu führen. Die Exekutive in den Händen von Privatunternehmern, LOL. So weit sind wir schon in unserem einst schönen Rechtsstaat. Aber man kann ja gegen eine unrechtmäßige Löschung klagen und wenn man dann Recht bekommt, muß Fratzebuch den Post wieder einstellen. Absurdistan hoch 3. Dann hätte man gleich das ganze NDG weglassen können, denn die Prozesse, die jetzt wegen Wiedereinstellung ins Profil geführt werden, belasten die Gerichte auch. Aber die Schwelle ist höher und irgendwie ist die Beweislast umgekehrt. Die Lösung wäre ganz einfach, NDG einstampfen, wenn einem ein Post nicht passt, muß er vor einem ordentlichen Gericht klagen, das Gericht stellt dann die Recht/Unrechtmäßigkeit fest und Fratzebuch muß mit sehr kurzer Reaktionszeit löschen, wenn erforderlich. So sähe ein ordentlicher Prozess aus, aber das kriegen unsere Helden in Berlin ja immer noch nicht hin, nach dem Motto: warum einfach, wenns auch kompliziert geht. Seid wachsam!

  • "Für die Berliner Koalition wäre es jetzt das Klügste, das NetzDG wieder einzustampfen." Wohl wahr. Und aus genau diesem Grunde wird diese Regierung gar nichts einstampfen: Niemals würde sie etwas tun, das vernünftig ist. Die Vernunft ist ihr Todfeind.

    Anwalt Steinhöfel leistet echte Kärrnerarbeit - Respekt!

  • Großartig! Wenn durch diese Nachricht noch mehr fragwürdige Facebook-Sperrungen vor Gericht landen, bröckelt das Maas'sche "NetzDG". Ein erster Schritt zur Wiederherstellung der Meinungsfreiheit.

  • Es wurde hohe Zeit, das Zensurgesetz des MaasMännleins anzugehen mit dem Ziel dessen Abschaffung zu erreichen.
    Joachim Steinhöfel hat den Anfang gemacht.
    Es wäre schön, wenn damit fortgefahren würde, denn nichts ist überflüssiger als dieses Monstergesetz zur Einschränkung und Abschaffung der Meinungsfreiheit!

  • Es dreht sich einem der Magen um, wenn man liest, welche Inhalte auf Facebook staatlich eingefordert!! gelöscht werden und andererseits Rapper mit antisemitischen, frauenfeindlichen Texten von der gleichen Gesellschaft mit einem Echopreis ausgezeichnet werden. Selbst einem bekennenden Linken wie Campino wird das zu 'bunt'.
    Die multikulturellen Regenbogenfarben werden mit Dreck besudelt.
    Schaut her ihr gläubigen Gutmenschen, Grüne, Merkelianer, Zeh, Moor und Co. Rot wird die Farbe des Antisemitismus, gelb die der Homophobie, grün ist frauenfeindlich und blau rechtsradikal. Und bitte Gutmensch entwürdige nicht die Millionen von Juden, die durch Menschen mit rechtsradikaler Geisteshaltung ermordet wurden und denen man am Holocaustgedenktag Ehre erweist, indem du jeden Andersdenkenden mit dieser Vokabel beschimpfst.
    Vielleicht kann man Steinhöfel klonen, denn von seiner Sorte könnten wir noch einige gebrauchen.