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Wochenrückblick: Der tiefste Asselborn

Ab und zu ist es schön, auch einmal die Früchte fremder Arbeit zu verteilen. Der Journalist Stefan Niggemeier betreibt den verdienstvollen Blog Übermedien; vieles, was er dort publiziert, deckt sich nicht unbedingt mit meinen Ansichten, aber würde es sich decken, dann gäbe es ja Publico zweimal. Und das wäre schlecht für die Vielfalt.

Die Übermedien-Beiträge lesen sich mehrheitlich interessant und solide, erst recht, wenn sie Themen aufgreifen, die in der angestammten Presse nicht zu finden sind. Zum einen beschäftigte sich Übermedien in der vergangenen Woche mit einem Meinungsbeitrag von fünf ehemaligen Politikern, die für einen Ausgleich gegenüber Russland werben: Helmut Schäfer, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt, Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident a. D., Horst Teltschik, ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, Günter Verheugen, einstiger EU-Kommissar, und Antje Vollmer, frühere Bundestags-Vizepräsidentin. Eine Art ganz große Koalition von CSU bis Grüne also. Und die beten beileibe nicht die Positionen Putins nach, sie warnen lediglich vor einer „rhetorischen Eskalation“. Trotzdem, so Übermedien, stieß sie auf erhebliche Schwierigkeiten, ihren Text überhaupt in den Qualitätsmedien unterzubringen. Die „Süddeutsche“ lehnte ab, die FAZ erklärte sich erst nach längerer Diskussion bereit. Als der Text dort erschienen war, nahm keine Nachrichtenagentur Notiz, der Namensbeitrag der Politikveteranen endete gewissermaßen im schalltoten Raum.

„Ich hab selten eine so geschlossene Gesellschaft gesehen wie diese mediale Einheitsfront in Bezug auf Russland und Osteuropa“, so Antje Vollmer gegenüber Übermedien. „Es ist wirklich schwer, dagegen anzukommen. Wenn sich jemand anders äußert, wird das totgeschwiegen. Es kostet eine unglaubliche Kraftanstrengung, überhaupt die Schweigespirale zu durchbrechen. Als ob das Thema Russland selbst ein Kontaktgift wäre.“

Außerdem zeichnete Niggemeiers Forum in der vergangenen Woche die Geschichte der Falschmeldung nach, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hätte in ihrem Bericht die Verantwortung Russlands für den Giftanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal in England bestätigt. In Wirklichkeit hatte sich der Bericht der OPCW überhaupt nicht zu der Urheberschaft des Anschlags geäußert. Dutzende deutsche Medien übernahmen die Falschmeldung der Nachrichtenagentur AFP. Und nicht alle korrigierten sich anschließend so, dass die Korrektur für Leser auch wirklich zu erkennen war.

Nun haben bekanntlich auch Paranoiker Feinde, Staaten verfolgen Interessen, und dass Russland in Sachen geheimdienstlicher Einflusserlangung, Tarnung und Täuschung und gelegentlicher Beseitigung von Feinden im Ausland zu den führenden Nationen gehört, wird vermutlich nicht einmal Wladimir Putin bestreiten. Beziehungsweise gerade der nicht. Die Frage ist nur, ob der russische Hackertroll und/oder Machenschaftler als Universalagent tatsächlich hinter fast allen aus Progressistensicht bedenklichen Vorgängen der westlichen Welt steckt. Das jedenfalls zählt mittlerweile zu den sehr üblichen Erklärungen aller Gutmeinenden. Kurz vor der Bundestagswahl erschienen aberdutzende Artikel über bevorstehende und sehr wahrscheinliche russische Hackerangriffe und Manipulationsversuche. Die Google-Abfrage „russische Hacker Bundestagswahl 2017“ verzeichnet 51 800 Treffer. „Was plant Moskau?“, fragte damals mit gesteigertem Tremolo Spiegel Online. Offenbar zeigten sich die Agenten der Lubjanka lustlos, es passierte praktisch jedenfalls nichts. Das Bundesamt für Informationssicherheit bestätigte nach der Bundestagswahl, dass es weder Hackerangriffe noch Feknjus gegeben habe, die das Wahlergebnis irgendwie hätten beeinflussen können.

Auch in den USA setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass aus Russland bezahlte Facebook-Anzeigen im Wert von 100 000 Dollar, die von etwa 10 Millionen Wahlberechtigten gesehen wurden, kaum die Entscheidung von 167 Millionen Wählern so hätten beeinflussen können, dass Donald Trumps Sieg unvermeidlich gewesen wäre. Zumal seine Konkurrentin Hillary Clinton auch einiges in den sozialen Medien tat, unter anderem mit Geld aus Saudi-Arabien. Möglicherweise hatte die inhaltliche Entkernung der amerikanischen Linken mit dem Ausgang der Präsidentenwahl doch etwas mehr zu tun als mit der Agenda Wladimir Putins.

Apropos Facebook: In der verwichenen Woche gab es eine Einstweilige Verfügung gegen Facebook, in der das Landgericht Berlin den Konzern zum ersten Mal dazu zwingt, ein gelöschtes Posting wiederherzustellen. Das könnte der Anfang vom Ende des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes von Heiko Maas sein. Die Tagesschau kommentierte die Gerichtsentscheidung unter der Überschrift „Pöbel-Kommentar war erlaubt“. Erstaunlich, dass die ARD trotz einiger Milliarden Euro Gebühreneinnahmen pro Jahr keinen hausinternen Juristen mobilisieren kann, der einem Redakteur erklärt, dass in Deutschland grundsätzlich jede Äußerung erlaubt ist, solange sie nicht gerichtlich verboten wird. Aber wenn dieser sprachlich nicht besonders elaborierte, aber insgesamt harmlose Kommentar, um den es ging, nach Tagesschau-Maßstäben ein „Pöbel-Kommentar“ war: Wie lautet dann eigentlich die ARD-Fachbezeichnung für die Äußerung des Luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn, Ungarn sei spätestens nach der Orban-Wiederwahl ein „Werte-Tumor“, der eliminiert werden müsse? Gewiss, nicht jedes Land verfolgt in seiner Steuerpolitik so hochstehende ethische Werte wie Luxemburg und bringt so grundsolide Politiker hervor, die bei der Exekution der guten Sache fast nie schwanken.

Möglicherweise klopfen ja demnächst Autorenkollektive an die Türen diverser deutscher Redaktionen, um mit ihren Aufrufen den luxemburgisch-ungarischen Konflikt zu beruhigen. Dass die Bundeswehr zwischen die Konfliktparteien treten kann, ist aufgrund ihrer Ausrüstungsmängel nicht ganz sicher. Die ganze Hoffnung ruht hier auf dem österreichischen Bundesheer, auch, wenn es anders als die Piefkes über keine Hochschwangerenuniformen verfügt.

Gegen Luxemburg als Ganzes verbieten sich übrigens Kommentare aus dem Asselborn, denn es reicht schon ein einziger Luxemburger, um den ganzen Unschlitt wieder auszugleichen, nämlich der Pianist Francesco Tristano. Er heißt tatsächlich so. Und sein Spiel spült alles wieder fort, was sich an lästigen Sedimenten über die Woche abgesetzt hat.

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (15)

  • "Zumal seine Konkurrentin Hillary Clinton auch einiges in den sozialen Medien tat, unter anderem mit Geld aus Saudi-Arabien." ... und wohl auch u.a. von der deutschen Bundesregierung unterstützt worden war: Wie damals z.B. auf Vera Lengsfelds Blog dokumentiert, hatte die Bundesregierung (via zwei Agenturen) im Jahr 2016, noch vor der Wahl in den USA, zumindest zwei bis zehn Millionen Dollar an die Clinton Foundation gespendet. (Beide Agenturen erschienen auf der Webseite der Clinton Foundation in der Rubrik von Spendern, die eine bis fünf Millionen Dollar gespendet hatten.)

  • Vielen Dank für diese Zusammenfassung Herr Wendt!
    Ich fand schon lange keine Woche mehr so verstörend, wie die letzte.

  • Genau das, Herr Wendt, muss man solchen Wort- und anderen Sedimenten entgegenhalten: Musik! Danke für diesen exzellenten Hinweis auf Francesco Tristano: Auch grandios mit Alice Sara Ott!

  • Ein Kabarettist braucht heutzutage weder eigene Einfälle, noch einen Robotkabarettisten.
    Er liest einfach nur Nachrichten vor und das Publikum ist 'very amused'.
    Uniformen für Hochschwangere! Wie soll man sich das vorstellen? "Hey Kamerad, du kannst dein Gewehr auf meinem Bauch abstützen, vielleicht wird dann deine Trefferquote besser?" Und das ganze totschick an der Front in einer Karl-Lagerfeld-Design-Uniform für Hochschwangere ? Im Vorfeld für 650000 Mäuse auf Ökoverträglichkeit und Tragekomfort geprüft. Dafür hätte man mindestens 4-5 unkontrolliert eingewanderte Flüchtlingsjungs durchs Jahr bekommen.
    Aber ich verstehe. Ab und an muß man auch mal etwas Sinnvolles für die eigene Bevölkerung spendieren.

  • Der verzeifelte Schrei aus der Asseln tiefem Born ist der Audruck ebenso tiefen Verdrusses über jemanden, der sich nicht biegen lassen will!
    Kannst du deinen Feind nicht besiegen, beschimpfe ihn.... ob's was nützt?

  • Ein Irrenhaus, in dem wir leben. Doch habe ich eine Frage: War die Welt je normal(er)?
    lg
    Alma Ruth

  • Meinen Sie, lieber Herr Wendt, jemand anderer als Putin hätte den Giftanschlag auf Skripal und Tochter auf dem Gewissen? Dann kennen Sie aber Putin und Russland schlecht bzw. überhaupt nicht.

  • Die Bemerkung dieses Letzebuerger Großpolitiker erinnert mich irgendwie an den unvergesslich legendären Brandt-Ausspruch von der Weltmacht SPD...

  • Wenn ich den Herrn sehe, denk ich immer: ah da kommt der Herr Quasselborn :-)

  • Das linksliberale Establishment ist händeringend dabei, Sündenböcke zu suchen, da bietet sich Russland einfach an. Dass die russische Propaganda die Wahl maßgeblich beeinflusst hat, ist längst vom Tisch in seriösen Kreisen die leider nicht mehr die Reichweite haben wie noch vor 10-20 Jahren. Viel interessanter als die innenpolitische Instrumentalisierung der russischen Kampagne durch die Demokraten war deren tatsächliche Ausrichtung. So wurde vom Untersuchungsausschuss festgehahlten:
    "[...]dass die Aktivitäten der angeklagten Russen "primär" auf abwertende Äußerungen gegenüber den Kandidaten Hillary Clinton, Ted Cruz und Marco Rubio sowie die Unterstützung von Bernie Sanders und Donald Trump ausgerichtet gewesen seien." https://www.heise.de/newsticker/meldung/Vorwurf-russischer-Wahlbeeinflussung-Facebook-wiegelt-ab-Trump-kritisiert-das-FBI-3972798.html
    Es lohnt sich da ab und zu bei Fox-News reinzulesen.

    Man hat also Trump und Sanders unterstützt, in dem man die anderen Kandidaten möglichst schlecht darstellte mit den üblichen Methoden der Obstruktion und Propaganda. Der Sinn darin, die jeweils extremsten Kandidaten (aus russischer Sicht Trump und Sanders) zu fördern, folgt einer alten sowjetischen Politik, feindliche Mächte in innenpolitische Auseinandersetzungen zu verwickeln, so dass diese außenpolitisch gelähmt werden. Um das zu erreichen, muss keiner der extremen Kandidaten gewinnen, deren wachsende Anhängerschaft würde die gemäßigten allerdings von beiden Seiten angehen oder direkt aufeinander losgehen. Innenpolitische Unruhen waren also die Stoßrichtung, Trump und Sanders die Zugpferde.

    Nicht unbedingt fein, auf diese Obstruction hat man ja nun eindeutig reagiert.