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Die Süddeutsche und der NDR hören Stimmen

Was hatte die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in der Haushaltsdebatte des Bundestages gesagt?

„Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“ 

Den Satz kann man finden, wie man will. Nur mutwillig verändern sollte man ihn nicht.

Genau das tut die Süddeutsche Zeitung, nach eigener Wahrnehmung die „Qualitätszeitung Nummer eins.“ Auf ihrer Kommentarseite schreibt eine Redakteurin namens Ferdos Forudastan:

„Dass Alice Weidel unter anderem Kopftuchträgerinnen als ‚Taugenichtse’ verunglimpft, wird ihr nicht nur den Beifall von Muslimhassern und Rassisten eintragen.“

Nun kann jeder die Konjunktion „und“ nach „Kopftuchmädchen“ in Weidels Satz lesen und auf Video hören. Die Formulierung „Taugenichtse“ bezieht sich eindeutig auf „alimentierte Messermänner und andere Taugenichtse“.

Der Fall gehört in die seit längerem geübte mediale Praxis des Stimmenhörens. Da forderte etwa die damalige AfD-Chefin Frauke Petry in einem Interview laut Qualitätsmedien einen Schießbefehl an der deutschen Grenze – tatsächlich kam der Begriff gar nicht vor, auch nicht im übertragenen Sinn.

Über ein dutzend Medien behauptete 2015, der Autor Akif Pirincci hätte in seiner Rede vor dem Dresdner Pegida-Publikum die Wiedereröffnung von Konzentrationslagern gefordert. In Wirklichkeit lautete der Satz anders. Und zwar deutlich anders. An Pirinccis Rede gab es viel zu kritisieren, er wünschte sich später selbst, sie nie gehalten zu haben. Aber was er eigentlich gesagt hatte, konnte jeder im Netz nachlesen und nachhören. Sein Anwalt Joachim Steinhöfel setzte seinerzeit reihenweise Verfügungen und Widerrufe gegen die kontrafaktische Medienberichterstattung durch.

Imaginäre Stimmen hörte auch der Norddeutschen Rundfunk. Ein Redakteur des NDR interviewte in dieser Woche den Welt-Herausgeber Stefan Aust zur Verleihung des Johann-Heinrich-Voß-Preises an Henryk M. Broder. Bekanntlich setzte gegen die geplante Preisverleihung eine linke, von Grünen-Politikern angeschobene Kampagne ein, inzwischen verzichtete Broder, der keine Lust auf eine Schlammschlacht verspürte, auf die Ehrung. Der NDR-Redakteur Jürgen Deppe fragt den Jury-Vorsitzenden Aust – oder vielmehr, er behauptet:

„Aber wenn Broder Flüchtlinge als zum Beispiel ‘parasitäres Pack’ beschimpft und Andersdenkende als “‘nal-Phabeten’, als ‘Lumpen vom Dienst’, ‘Jung-Stürmer’ und ‘autistische Schmieranten’, dann ist es doch schwierig, das mit den Werten von Humanismus, Aufklärung, Menschlichkeit und Freiheit zu vereinbaren, oder?“

Abgesehen davon, dass sich ein ganz ähnliches Vokabular en masse bei Polemikern wie Ludwig Börne, Karl Kraus und Alfred Kerr findet: „Flüchtlinge“ sind „parasitäres Pack“ – das findet sich so nicht in den Texten Henryk Broders. Richtig ist, dass er in einem Artikel auf der Achse des Guten 2012 Mitglieder von linken NGOs, die in Israel und der Westbank den Nahostkonflikt pflegen und grundsätzlich Israel anprangern, „parasitäres Pack“ nannte. Hier der Beitrag im Original.

Interessanterweise handelt es sich um den gleichen Broder-Artikel, der schon seit Jahren von Wohlmeinenden für Verdrehungen und Sammlungen zusammengeschnippelter Zitate ausgeschlachtet wird.

Später entfernte der NDR die Falschbehauptung und insinuierte nun, Broder habe „Andersdenkende“ als „Parasiten“ bezeichnet.

„Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Interviews wurde an einer Stelle der Eindruck erweckt, Henryk M. Broder habe die Bezeichnung ‚parasitäres Pack’ in Bezug auf Flüchtlinge verwendet. Dies trifft jedoch nicht zu. Herr Broder hat diese Bezeichnung in einem anderen Zusammenhang verwendet. Aus diesem Grund ist der entsprechende Hörfunk-Beitrag nicht mehr verfügbar. Im Text ist die Passage geändert worden.“

Aber auch diese neue Version stimmt  – siehe oben  – in dieser pauschalen Weise nicht.

Die qualitätsmediale Strategie lautet: Behaupten, verdrehen, wenn überhaupt, dann unter Druck richtigstellen, und das auch nur halb. Wie viele Leute lesen eigentlich nach einer Sendung noch den kleinen Disclaimer ganz am Ende des Sender-Internettextes, dem zu entnehmen ist, ein Zitat habe doch ein bisschen anders gelautet?

Ein mindestens ebenso häufiges, wie es heute heißt, Narrativ, besteht in der Klage der gleichen Blätter und Anstalten, sie würden mit dem Begriff „Lügenpresse“ belegt.  Das sei furchtbar.

Gegen den Lügenpressevorwurf hülfe allerdings ein geradezu irrwitzig simples Mittel: Passt einfach ein bisschen besser auf, was ihr schreibt oder sendet.

Oder beklagt euch nicht.

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (21)

  • Genau aus den Gründen, die Sie anführten, nehmen viele Leute die deutsche Presse nicht mehr für voll, darunter auch ich. Auch bezahlen würde ich dafür nicht einen Euro- oder selbst Monopolygeld-Cent.

    Deren Methoden basieren auf astreiner Propaganda, vorsätzlichen Wortverdrehungen, Falschdarstellungen, Ad-Hominem-Attacken, ideologischem Irrsinn, Schuld aufgrund Gruppenzugehörigkeit, kausaler Realitätsverleugnung, kindischem Wunschdenken, Projektion, und die Presse vertritt derzeit manchmal Positionen, die sehr nahe an klinischem Wahnsinn angesiedelt sind.

    Zum Glück gibt es das Internet, dem man eben nicht so einfach einen Maulkorb verpassen kann!

  • Lieber Herr Wendt, der Tipp, besser aufzupassen, scheint mir zu nachsichtig. Die tendenziöse und feindselige Berichterstattung der Volkserziehungsmedien gegen Andersdenkende ist doch volle Absicht. Den Falschen wird jedes Wort im Mund verdreht, mit anderen zeigt man mehr Nachsicht, etwa wenn iranische Politiker von der Vernichtung Israels schwadronieren. Mein Tipp: Großflächige Beschwerden an den Rundfunkrat. Die schweigende Mehrheit muss endlich aufstehen. Und übrigens auch mal anders wählen als in den Jahrzehnten davor.

  • Herr Wendt, Ferdos Forudastan war Gaucks Sprecherin – ich habe mich damals gefragt, ob es wirklich keine andere deutsche Journalistin gab. (Vielleicht hat sie ihm auch so manchen Unsinn eingeflüstert, so zum Beispiel, als er in Indien war, Inder einzuladen, nach Deutschland zu kommen, da es in Deutschland ja „so viel Platz gäbe“ – in einem der am dichtesten besiedelten Länder der Erde.) Danach ist sie zur „Süddeutschen“ gegangen.
    https://www.welt.de/politik/deutschland/article107924461/Helmut-Kohl-nannte-sie-spitz-Gnaedige-Frau.html
    Und sie gehörte auch zu den schärfsten Kritikern von Sarrazin und vertritt natürlich auch die These von den armen unterdrückten Moslems
    https://www.welt.de/debatte/kommentare/article13172763/Das-unsaegliche-Manifest-der-beleidigten-Muslime.html
    Insofern wundert die von Ihnen erwähnte Textverdrehung nicht weiter.

  • Zur Praxis des Stimmenhörens, des Verdrehens, des mutwilligen Veränderns, des bewußten Mißverstehens fällt mir noch ein Beispiel ein: „Denkmal der Schande“! Bernd Höcke habe das Denkmal als Schande bezeichnet. Das ist eine ungeheurliche Unterstellung von geradezu dialbolischer Böswilligkeit! Es sei eine Schande, habe Höcke gesagt, dem Holocaust ein Denkmal zu errichten. Leugnet er den Holocaust? Könnte es sogar sein, daß er ihn nachträglich gutheißt?
    Aber nicht nur aus der sprachlichen Formulierung (der Genitiv bei Denkmal bezeichnet grundsätzlich immer das, woran ein Denkmal erinnern soll), sondern auch aus dem Zusammenhang geht eindeutig hervor, was Höcke gemeint hat: kein Volk würde in der eigenen Hauptstadt ein Denkmal errichten, das an eine nationale Schande erinnert. Mit „Schande“ hat Höcke natürlich den Holocaust gemeint, den er weder leugnet noch gutheißt.
    Man mag manches, was Höcke gesagt hat, als fragwürdig und grenzwertig empfinden. Aber auch dieser Mann hat eine faire Behandlung verdient. Die systematisch geübte Verdrehung von Formulierungen unerwünschter Politiker stellt unserer politisch korrekten „Elite“ ein verheerendes Zeugnis aus.

    Weidel hätte natürlich vorsichtiger und besser formulieren können, etwa so: "Burkas passen nicht in unsere Gesellschaft. Daß kleine muslimische Mädchen - das hört man immer wieder aus Lehrerkreisen - zum Tragen von Kopftüchern gezwungen werden, sollte man nicht tolerieren. Und es gibt neben sehr, sehr vielen Migranten, die keinerlei Anrecht auf Asyl haben, die also unser Land nie hätten betreten dürfen, unbestritten auch eine nicht ganz unbedeutende Zahl von Asylbewerbern (man studiere die Polizeiberichte und die Lokalteile der deutschen Zeitungen!), die man als nicht integrierbare Taugenichtse und Kriminelle bezeichnen muß. Solche Leute …“

  • Ich habe mir extra noch einmal die Rede von Frau Weidel angehört und angesehen. Ganz klar, sie macht eine sprachliche Pause vor der Passage "alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse". Eigentlich kann man diesen Satz gar nicht falsch verstehen. Eigentlich!
    Die Süddeutsche war einmal eine sehr gute, kritische, abwägende und reflektierte Zeitung. Sie hat sich so sehr gewandelt in ein Bevormundungs- und Auswählblatt, dass ich mein langjähriges Abo gekündigt habe. Es fiel mir in Erinnerung an den guten Journalismus von früher schwer, aber den gibt es nun einmal nicht mehr - oder viel zu wenig - in der heutigen Variante der SZ. Schade!

    • Auch ich habe 2016 mein Abo der Süddeutschen nach über 30 Jahren gekündigt. Anlass war, dass Herr Prantl in einer Fernsehrunde die pauschale Anerkennung ganzer Volksgruppen von "Flüchtlingen" als Asylberechtigt forderte. Die Einzel-Verfahren in Deutschland würden viel zu lange dauern...
      Zuvor hatte ich die Redaktion darum gebeten, Reportagen holländischer und britischer Tageszeitungen nachzugehen, denen zu folge auf Athener Marktplätzen massenweise gefälschte Einreisepapiere angeboten würden und ohne Schwierigkeiten an Kiosken erhältlich seien.
      In der SZ fand sich wenig später ein Zweispalter, daß dem "Bundesinnenministerium keinerlei Erkenntnisse" über die Benutzung gefälschte Papiere durch die aufgenommenen Flüchtlinge vorlägen. Vor Ort selbst nachzuprüfen erschien dem einstigen Qualitätsmedium offenbar nicht wünschenswert.

    • Sie meinen die SZ vor Heribert Prantl. Das ist gefühlt ewig her. Diese SZ, nicht die heutige Prantlhausener Zeitung, war eine richtig gute, liberale Zeitung mit echter Meinungsvielfalt. Kaum zu glauben, oder? Die aktuelle Affäre mit der antisemitischen Karikatur von Hanitzsch passt aber ins Bild. Seine Reaktion hat mich an Grass erinnert.

  • Eine Zeitung mit einem Meinungsressort ! sprich einer Propagandaabteilung mit Heribert Prandl als Chef und Verteidiger der linken Gutmenschideologie, kann nicht durch Inhalte
    punkten, denn die Realität hat die Wunschvorstellungen seiner Klientel schon längst
    Lügen gestraft. Sinkende Absatzzahlen wurden durch fragwürdige journalistische Netzwerke mit Fernsehanstalten zu kompensieren versucht und man hat den Eindruck die
    sogenannte Alpenprawda durch die erzwungenen GEZ-Gebühren durch die Hintertür mitzufinanzieren. Sein religiöser Eifer in Sachen Linksdoktrin läßt auch sein Liebesverhältnis zur Augsteintochter unter dem Motto dBl subsumieren(durch Beischlaf links) und schlägt eine linke Achse zu den Genossen beim Spiegel.
    Henryk M. Broder hat mal wieder alles richtig gemacht. Ehre gebührt in Zeiten inflationärer Preisvergaben demjenigen, der ihn ausschlägt. Wer will schon eine Hämorrhoide, wenn Preise nur noch an Gleichgesinnte vergeben werden dürfen!

  • Zum Stimmenhören und virtuosen Verdrehungen des gesprochenen Wortes kann die Ausgabe von und mit Anne Will vom 16.12.2015 als weiteres Leuchtbeispiel empfohlen werden.

    zu Gast u.a. Prof. J. Baberowski und Fr. Knobel-Ulrich.

    Das ist gleichzeitig auch die lehrreiche Ausgabe, in der Fr. Will feststellt, dass die Grenzen dieses Landes rechtsstaatlich überhaupt nicht geschlossen werden können.

  • Ich erhöhe auf "Verdammte Lügenpresse", da sie sich durch ihre ganzen Lügen, Verdrehungen und Auslassungen selber zum Aussterben verdammen. Wer liest schon die missratenen Litaneien irgend eines Käseblatts, wenn er im Internet Qualität und exakte Berichterstattung finden kann? Wer soll Geld am Kiosk ausgeben, wenn der Polizeibericht vollständiger als der Zeitungsartikel ist?

  • Was ich seit einiger Zeit beobachte ist, dass die selbsternannten "Qualitätsmedien" solche Lügen und Falschmeldungen zuerst veröffentlichen und dann *stillschweigend* korrigieren. In Newsaggregatoren finden sich dann oft noch die Falschaussagen, etwa in den Überschriften. Geht man davon aus, dass viele Leser nur die Überschriften und Aufreißer lesen, dann ergibt diese Vorgehensweise einen Sinn.

    Ich habe am Tag der Rede von Frau Weidel diese Falschdarstellung in folgenden Medien gefunden und beim Presserat dagegen Beschwerde erhoben: BILD Online, WELT Online, FOCUS Online und FAZ Online. Ganz zu schweigen davon, dass der umstrittene Bundestagspräsident Schäuble sich nicht entblödete, mit einer Verfälschung der Aussage von Frau Weidel eine Rüge auszusprechen.