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Wochenrückblick: Das ausgezeichnete Deutschland

Im letzten Wochenrückblick aus Griechenland hatte ich das Wort halkyonisch verwendet. Die bestmögliche Übersetzung dafür sieht so aus:

Minz und Maunz an der Hafenmauer heben noch nicht einmal die Pfoten, um irgendjemand zu drohen.

Aus der Entfernung wirkt Deutschland noch ein bisschen stärker verfremdet als sonst.

Selbst dann, wenn sich die letzte Woche in der Heimat ebenfalls durch außerordentliche Entspannung und „Liebe“ (J. Böhmermann) auszeichnete. Es handelte sich nämlich um die Woche der Preise. Angela Merkel erhielt einen zwiebelförmigen Preisflakon, mit dem sie so aussah, als wäre sie gerade zur Werbebotschafterin für 4711 ernannt worden. Tatsächlich handelt es sich bei dem Preis um das so genannte Friedenslicht. Es fällt in die Kategorie der Abholpreise, das heißt, man muss selbst hin. Ich weiß nicht genau, wofür sie ihn erhält, vermute aber, es hängt mit ihrem Erfolg beim Abrüsten der Bundeswehr zusammen.

Die famose Couragejournalistin Anja Reschke wiederum erhält den Hanns Joachim-Friedrichs-Fernsehpreis für besonders unvoreingenommene Berichterstattung, also gewissermaßen das Friedrichslicht. Das schnappte sie in diesem Jahr sowohl Dunja Hayali als auch Marietta Slomka weg, die sich ihrerseits vor kurzem den Deutschen Fernsehpreis sichern konnte. Ich begrüße es außerordentlich, dass sich herausragende Menschen wechselseitig Orden umhängen wie weiland Funktionäre in der Täterä, und rege auch die im Ostblock bewährten und heute noch in Nordkorea üblichen Steckbretter an, die es erlauben, alle Preise in Kleinausführung zusammen an der Bluse zu tragen. Es war nicht alles schlecht. Ziel sollte es sein, bis zum Erreichen des Bundespräsidentendurchschnittsalters die Sammlung komplett zu haben.

Das Nobelpreiskomitee in Stockholm muss übrigens wg. diverser #MeeToo-Vorkommisse, wie sich ein Mitglied ausdrückte, einmal durchgewischt werden. Hosenläden und der Laden an sich bleiben also 2018 geschlossen, der Literaturnobelpreis unvergeben. Tausendmal schade für Juli Zeh.

Auch Jan Böhmermann wird sich noch ein Jahr gedulden müssen; eigens für ihn wird gerade der Caroline-Fetscher-Preis für den gelungensten Nazivergleich gestiftet.

Für den goldenen Aktendulli der Hauptabteilung Aufklärung besteht allerdings schon eine Qualifikation Jan Böhmermanns für 2018, seitdem er eine Liste aller feindlich-negativen Internetkräfte erstellen und veröffentlichen ließ. Dort finden sich neben allem Möglichen auch Accounts von Publizisten wie Roland Tichy und Dushan Wegner. Nach Angaben von Böhmermann hatte ein Unternehmen im Auftrag von Böhmermanns Bild- und Tonfabrik (btf) die Liste nach einem Algorithmus erstellt. Kriterium war eine Verbindung der Zielpersonen mit dem sog. rechten Spektrum. Auf Anfrage wollte Böhmermann die Frage nicht beantworten, wie er „rechtes Spektrum“ definiert. Vermutlich schließt dieses Milieu alle ein, die über diesen Böhmermann-Tweet leise kichern:

Die Aktion kündigte der Politaktivist, der üblicherweise getarnt mit einer Komikerpappnase auftritt, in seiner ZDF-Sendung an. Daraufhin erklärte ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler, das ZDF habe mit Böhmermanns Liste nichts zu tun. Damit fügt er dem Grundmuster „y hat nichts mit x zu tun“ eine interessante Variante hinzu.

Um die Hatnichtszutunmit-Retrospektive noch ein bisschen zu erweitern:

In Paris und Surabaya fanden die üblichen Ereignisse vor Ramadan statt. Dafür gibt es zwar nicht gerade das Friedenslicht, aber auch keine besonders starken Abwehrreaktionen. Um den grünen Parteivorsitzenden Robert Habeck zum Thema Islam zu zitieren: „Spannung, aber ‘ne bunte Gesellschaft.“

Leider lässt sich die Zeit bei den Phäaken Minz und Maunz nicht beliebig verlängern; es geht zurück nach Berlin Mitte. Oder, wie der Unausgezeichnete sagt: die Gegend mit der höchsten Preisträgerdichte Deutschlands.

Das beste Land, das von dieser Kernzone aus geleitet wird, besitzt eine unerschütterbare Kanzlerin, den sog. Felsen in der Brandung, der kürzlich erst wieder Donald Trump die Leviten dafür las, dass er seine Wahlversprechen erfüllt. Deutschland verfügt ferner über die Energiewende, einen „Exportschlager“ (P. Altmaier), es importiert dafür junge Männer, die Regeln durchsetzen können, und außerdem führt es Friedenslichter galore ein. Nur mit unserem Beitrag für den Eurovision Song Contest klappt es nicht recht. Dabei wäre es so einfach, den Blick auf den Katholikentag zu richten. „Ach, was hört man oft von guten/Leuten blasen oder tuten“ (G. Henschel). Dort, bei den Katholiken, jedenfalls den Anhängern des Kardinalkapauns Reinhard Marx kam ein Lied zur Aufführung, das beim nächsten ESC einfach dabei sein muss, muss, muss:

In ihm steckt praktisch alles, was sich über das ausgezeichnete Deutschland sagen lässt.

 

 

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Kommentare anzeigen (18)

  • Zwei Anmerkungen:
    1. Vor die Kirchentagsentgleisung gehört zwingend ein Warnhinweis. Eine solche Schlimmauaguckigkeit habe ich ja seit dem Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling nicht mehr ertragen https://www.youtube.com/watch?v=4ZL5y2y4zXo
    2. Der Aktendulli hieß in der Täterä zwar wirklich so, im konkreten Kontext halte ich aber das so herrlich sperrige Kunstwort "Einhängeheftschiene" für angemessener. Wer's nicht glaubt, möge vor dem Spiegel "Goldene Einhängeheftschiene der HA Aufklärung" vor sich hinnuscheln.

  • Sehr geehrter Herr Wendt,

    wieder einmal sehr köstlich. Und so zutreffend. Herzlichen Dank.

    Liebe Grüße

    G. Klöckers

  • Bei dem von Ihnen geschilderten Preisverleihnungsmarathon, fällt mir ein Bonmot des großartigen Billy Wilder ein. "Auszeichnungen und Preise sind wie Hämorrhoiden. Irgendwann bekommt sie jedes Arschloch."
    In diesem Sinne gehört quasi jedem, dem Sie die Ehre der Erwähnung zuteilen, ein großer Preis verliehen. Ich würde noch zusätzlich Frau Barley ins Rennen schicken,
    die Böhmermanns unsägliche Denunziationskampagne noch mit Steuergeldern subventionierte. Für Böhmermann selbst schlage ich als Preis einen Türkeiurlaub vor.
    Dort kann er dann vor Ort von seinem Lieblingssodomisten lernen, welche anderen Maßnahmen man neben Denunziation im Internet noch anwenden kann, um unerwünschte Meinungen zu unterdrücken.

    • Den Spruch muß ich mir merken, zumal er von unserem Namensvetter stammt!

    • Oder: Mein Vater, Jg. 1925 und von 1942 bis 1945 dabei, sagte zeitlebens diesen Spruch zu mir: Mit den Orden ist es wie mit den Bomben. Sie fallen im Hinterland und treffen die Unschuldigen.

  • "Dort, bei den Katholiken, den Anhängern des Kardinalkapauns Reinhard Marx" ist m.E. nicht präzis.
    Dass die dort weilenden bzw. geweilthabenden Katholiken Anhänger dieses besonderen Sympathieträgers sind, mag ja sein, vor allem wenn sie derartige Aufführungen goutieren. Dass die Mehrheit der Katholiken dies tut, glaube ich nicht. Für mich und meinen Bekanntenkreis ist dieser eher eine Strafe Gottes.

    • irgendwo im internet las ich zu Marx' Auftritt bei MARX in Trier:

      "es fehlt nur noch, daß Marx dort vor MARX auf die Knie fällt !"

      PEINLICH - er hat rein gar NICHTS begriffen, dieser infantile Teddybärwinker !
      LEIDER gehöre ich auch ( noch ) zu diesem "Verein" -
      aber ich stehe kurz vor der Kündigung ( Austritt aus der kath. Kirche )

      • Als Evangole würde ich, wenn ich darf, Ihnen abraten, auszutreten. Wir glauben nicht an den Herrn Kardinal oder an den Herrn Landesbischof mit der bunten Brille, sondern an den alten Rabbi Jesus.

  • Lache noch immer vor mich hin!
    Alexander Wendts Satiren stellen den mickrigen Böhmer-Kasper in den Schatten
    Kardinalskapaun Marx, köstlich und das Liedchen der politkorrekten Katholen ebenso.

    Eins muß aber angemerkelt werden, unsere Merkelin ist genderkorrekt die Felsin in der Brandungin. Wir wollen doch hier nicht maskulinieren! Sonst sind womöglich die rotbunten jungen Genderfrauen beleidigt.

  • Der Song im Video ist der Kracher. Wir hätten uns bei mir zu Hause fast nicht mehr eingekriegt.
    Intern haben wir einen 1. Preis vergeben für den, der als erster wieder Luft bekommt.
    Bezüglich der Preisvergaben kann ich Billy Wilder nur zustimmen.
    Persönlich kriege ich diese inflationäre, teilweise lächerliche Preisvergeberei allüberall schon lange nur am Rande mit und kann mir als Würdigung eines Menschen auch anderes vorstellen als "undnochnPreisgähn"
    Zum Glück bin ich kein Journalist sonst müßte ich mich auch noch mit Böhmermann befassen.
    Für die gesamte Zusammenfassung Dank an Sie Herr Wendt. Wie immer großartig.

  • Wieder einmal köstlich, aber eine Korrektur. Das Literaturnobelpreisverleihungdings hat Sitz in Stockholm. In Oslo wird nur der Friedensnobelpreis ausgeheckt. Die Ergebnisse sind oftmals allerdings ähnlich skandalös, daher kann es schon zu Verwechslungen kommen.

  • Billy Wilders Zitat über Preise ist in der Tat ein hübsches Apercu, zuletzt Frau Merkel betreffend!