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Erklärung des Einen

Die „Erklärung der Vielen“ gegen „Rechtspopulismus“ wurde auch von der Dresdner Semperoper unterschrieben. Genaugenommen: nur von ihrem Intendanten. Die Mitarbeiter hatte niemand gefragt

Am 9. November 2018 veröffentlichten 40 Dresdner Kulturinstitutionen die „Dresdner Erklärung der Vielen“, die sich ihrem Text zufolge gegen Rechtspopulismus in Sachsen richten soll.  Als gewichtige Institutionen von Weltrang reihte sich auch die Semperoper Dresden mit ihren 500 Mitarbeitern auf der Liste der 40 ein. Zur Semperoper gehört die Staatskapelle Dresden, das Orchester des Hauses, geleitet von Dirigent Christian Thielemann. Als die Erklärung erschien, befand sich die Staatskapelle auf Tournee.

Einige Musiker hatten nach ihrem Bekunden nichts von der Erklärung mitbekommen. Nach Informationen von Publico gibt es unter den Mitarbeitern Verwunderung und Unverständnis darüber, dass die Institution ohne Diskussion und Rückfrage in ihrem Namen eine Erklärung verabschiedet, in der es unter anderem heißt: „Unsere Gesellschaft ist eine plurale Versammlung.“ Fest steht, dass die Mitarbeiter von der Hausleitung nicht gefragt wurden, ob sie die auch in ihrem Namen abgegebene „Erklärung der Vielen“ unterstützen möchten. Es fand keine Diskussion statt, erst recht keine Abstimmung. Das bestätigte Opern-Sprecher Oliver Bernau gegenüber Publico auf Nachfrage. „Es ist völlig normal, dass die Leute nicht gefragt wurden“, so Bernau. „Eine Abstimmung, ob die Staatsoper die Erklärung unterstützt, hat nicht stattgefunden. Das wäre auch völlig absurd.“ Das sei bei den anderen unterzeichnenden Institutionen nicht anders gewesen.

Laut Bernau habe Intendant Peter Theiler im Namen der Mitarbeiter die Erklärung unterzeichnet. Auf die Frage, ob dann nicht besser „Peter Theiler, Intendant der Semperoper“ unter der Erklärung stehen sollte, antwortete Bernau: „Der Intendant hat die Gesamtverantwortung für das Haus.“ Die „Erklärung der Vielen“, so der Sprecher, sei auch „keine politische, sondern eine kulturpolitische Erklärung“. Worin er den Unterschied sieht, sagte er nicht. Die sächsische Staatsministerin für Kunst und Wissenschaft Eva-Maria Stange „begrüßte“ die „Erklärung der Vielen“. Die SPD-Politikerin hatte 2017 deutschlandweit eine gewisse Bekanntheit erlangt, weil sie nach einer öffentlichen Dresdner Diskussion über die Migrationspolitik zwischen den Schriftstellern Uwe Tellkamp und Durs Grünbein qua Amt mitgeteilt hatte, bei Tellkamps Debattenäußerung handle es sich um dessen „Privatmeinung“.

Dass die Semperoper gewissermaßen auf dem Dienstweg ihre Mitarbeiter auf eine Position festlegt, wirkt umso bemerkenswerter angesichts des Resolutionstextes, der zum einen suggeriert, tausende Dresdner Kulturinstitutionsmitarbeiter besäßen tatsächlich die gleichen Ansichten, gleichzeitig aber Wendungen benutzt, mit denen vor allem bürgerliche und nichtlinke Mitarbeiter Probleme haben dürften.

Gleich zum Beginn des Erklärungstextes heißt es:

„Heute begreifen wir die Kunst und ihre Einrichtungen, die Museen, Theater, Ateliers, Clubs, die urbanen und ländlichen Orte der Kultur als offene Räume, die Vielen gehören. Unsere Gesellschaft ist eine plurale Versammlung. Viele unterschiedliche Interessen treffen aufeinander und finden sich oft im Dazwischen. Demokratie muss täglich neu verhandelt werden – aber immer unter einer Voraussetzung: Es geht um Alle, um jede*n Einzelne*n! Der Boden, auf dem wir gemeinsam stehen, ist das Grundgesetz.“

Nun dient das Grundgesetz gerade der Festschreibung von Individualrechten und Definitionen des Staates, die eben nicht täglich neu verhandelt werden. Die Formulierung “es geht um jeden Einzelnen“ wirkt wiederum seltsam vor dem Hintergrund, dass eine unterzeichnende Institution die eigenen Mitarbeiter vorher nicht fragt.

„Rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien stören Veranstaltungen, wollen in Spielpläne und ins Programm eingreifen, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten an einer Renationalisierung der Kultur“, heißt es weiter in dem Text, ohne dass ein konkretes Beispiel dafür genannt würde. Es ist auch nicht klar, von wie vielen rechtspopulistischen Parteien in Sachsen die Autoren der Erklärung ausgehen, und wen sie dazuzählen. Die Wahl des Plurals zeigt jedenfalls: es kann nicht nur die AfD gemeint sein.

Im zweiten Teil der „Erklärung der Vielen“ stellen die anonymen Autoren fest:

„Wir als Unterzeichnende der Dresdner Theater, Kunst- und Kultureinrichtungen und ihrer Interessensverbände begegnen diesen Versuchen mit einer klaren Haltung:

  • Die unterzeichnenden Kunst- und Kulturinstitutionen führen den offenen und kritischen Dialog über rechtspopulistische Strategien, die demokratische Grundwerte untergraben. Sie gestalten diesen Dialog mit Mitwirkenden und dem Publikum in der Überzeugung, dass die beteiligten Häuser den Auftrag haben, unsere demokratische Gesellschaft fortzuentwickeln.
    • Alle Unterzeichnenden fördern im Sinne der Demokratie Debatten, bieten aber keine Foren für Propaganda jeder Art.
    • Wir wehren die Versuche der Rechtspopulisten ab, Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.“

Mit wem führt das nebelhafte Wir den Dialog? Wem gegenüber offen? Wem gegenüber kritisch? „Alle Unterzeichnenden fördern Debatten, bieten aber keine Foren für Propaganda jeder Art“ ist eine bizarre Formulierung: Debatten sind ja etwas grundsätzlich anderes als Propaganda. Und was heißt: nicht für Propaganda „jeder Art“? Für bestimmte Propaganda sollen Kulturinstitutionen also durchaus als Plattform dienen? Wie verträgt sich Propaganda überhaupt mit dem Auftrag von Kulturinstitutionen, die von allen Steuerzahlern finanziert werden?

Es lassen sich durchaus Gründe denken, warum ein Musiker oder Sänger keine verworrene Erklärung unterstützen möchten, deren verquaste Stilistik sich auf dem nicht ganz so weiten Feld zwischen DDR-Kulturfunktionärsverlautbarung und Schülerzeitungstext bewegt.

Auf die Frage von Publico, warum sich der Aufruf-Text der doch nicht ganz so vielen nicht auch gegen Linkspopulismus oder einfach gegen Extremismus wendet, sagte Opernsprecher Bernau: „Weil das nicht zur Debatte steht.“

Zu dem Unmut unter den Mitarbeitern über die von oben in ihrem Namen verfügte Zustimmung zu der Resolution meinte Bernau: „Jeder von ihnen hat natürlich das Recht, sich zu äußern.“

 

 

 

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Kommentare anzeigen (43)

  • Seit wann ist es denn die Aufgabe eines Opernhauses, die "demokratische Gesellschaft weiter zu entwickeln"? Und wohin soll sie weiter entwickelt werden und warum überhaupt? Und warum hören diese Sprüche sich so nach DDR an? Müssen die das tun, um die Subventionen, ohne die sie ihren Laden wohl zu machen könnten, nicht zu verlieren?

  • Ja, jeder der Musiker hat das Recht, sich zu äußern. Wer aber dann die falsche Meinung sagt, dürfte über kurz oder lang Probleme hinsichtlich seines Jobs bekommen. Das ist klar.
    Glauben die Unterzeichner dieser Erklärung eigentlich ernsthaft, dass sie so eine offene Gesellschaft der Vielfalt fördern? Glauben sie vielleicht, Niquabträgerinnen und deren autoritäre Ehemänner wollen eine solche Gesellschaft?
    Gut, dass ich meine Hände habe, um mir an den Kopf zu greifen....

    • Es ist schön anzusehen, wie Sie durch scheue Vermutungen zu Zeit- und Raumzuständen ein Stück weit von Ihrer Not berichten. Lassen Sie nicht nach in diesem tapferen Streben, dann können Sie in wenigen Wochen vielleicht sogar selbständig ein Ei kochen.

  • Was so beklemmend ist, ist die Tatsache, dass sich dieser Zustand des sogenannten Widerstandes gegen (ausschließlich) "rechts" eben nicht allein in Deutschland, sondern merkwürdigerweise zur selben Zeit auch in West- und Nordeuropa sowie Nordamerika abspielt. Hier wir wohl versucht, (endlich) die sozialistische "Weltrevolution" auszurufen.

    Dies erreicht man heutzutage jedoch statt mit einer Revolution viel effektiver mit einer jahrzehntelangen Unterwanderung der staatlichen Systeme. Gewählt, und mit Hilfe der Presse-ORGANE und TV politikblind gemachten Wähler wie bestellt. Wäre unsere Presse im Wortsinne eine wirklich freie und damit aufklärende Presse, dann gäbe es "politikblinde" Wähler kaum.

    Von “Verschwörung” ist das meilenweit entfernt. Da genügt eine glasklare jahrzehntelange Beobachtung der sich verändernden politischen Lage in Westeuropa und Nordamerika in Richtung Sozialismus. Die DDR reichte wohl nicht als Abschreckung?!

    Ich lese nicht ohne Hintergedanken gerade den "Archipel Gulag". Daher ist die heutige politische Situation in Deutschland für mich unheimlich geworden.

  • DDR 2.0? Ich kann mich noch ziemlich gut erinnern, auch damals wurden Absichtserklärungen/Petitionen veröffentlicht, die angeblich die Meinung des Volkes wiederspiegelten, davon aber so weit entfernt waren wie Dresden ein Vorort von Rom ist. Ich finde es persönlich erschreckend, wie die Methoden und die Polemik der DDR im Moment eine Renaissance erleben. Ich hoffe nur, dass es, wie in der Mode, relativ schnell vorübergeht.

    • Also, so schnell vergeht Mode nicht. Denken Sie nur an diese lang anhaltende Armutsverklärung mit künstlich zerrissenen Hosen und ausgeblichenen T- Shirts. Damen geben viel Geld dafür aus. Woran erinnert mich nur das Wort zerrissen?

  • Ich habe immer häufiger ein Déjà-vu. Das muss an meinem immer fortschreitenderen Alter liegen. Diese Erklärungen der Kulturschaffenden oder Solidaritätsbekundungen der Werktätigen. Ein Regierungschef, der völlig im Nirwana herrumirrlichterte. Das habe ich bis zu meinem 20. Lebensjahr in der DDR zur Genüge erlebt. Auch, dass diese ganzen hochtrabenden Erklärungen a) kaum jemand gelesen hat - das kann man ja seinem Hirn nicht zumuten- und b) auch kein Mensch wirklich ernst nahm. Es gibt immer mehr im Internet oder TV, was mich nur noch hoffnungs- und hilflos lächeln lässt. Denn manchmal kommen sie anscheinend wieder! Obwohl wir vor 29 Jahren meinten, diese Geister ausgetrieben zu haben. Was ist eigentlich, wenn Frau Merkel und Herr Maas am 11. Dezember den unseligen Pakt in unser aller Namen unterschreiben Herr Wendt? Lesen wir dann zukünftig nur noch solch Jubelnachrichten? Was passiert dann mit den freien Medien, wie zum Beispiel Ihrem Block oder Tichy, die noch relativ ungestraft den Finger in die Wunde legen? Ich mache mir große Sorgen! Und das sollten alle anderen in diesem Lande auch tun!

    • Also, Herr Rilling, wenn der Pakt am 11.12. unterzeichnet ist, dann gibt es lang anhaltenden, rhythmischen Beifall, die Delegierten erheben sich von den Plätzen und intonieren Hochrufe auf das Politbüro und den Generalsekretär …..? Irgend wann habe ich das mal im ND gelesen. Wie hieß doch gleich dieser Generalsekretär?

      • Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Ministerrates Erich Honecker....soviel Zeit muss schon sein Herr Keil. ;-) Der Blumenstrauß, überreicht von einem niedlichen bezopften Jungpioniermädchen, darf dabei nicht unerwähnt bleiben. Die Jugend des Landes wird sofort betonen, wie stolz sie ist, in diesem wunderbaren Lande aufwachsen zu dürfen und sich artig bedanken.

  • Ja allgemein hapert es am Demokratieverständnis, vor allen Dingen bei unseren Parteien, Demokratie beinhaltet zwingend die Mitwirkung, Mitgestaltung der Bürger im Allgemeinen. dies aber scheint ein Fremdwort zu sein.

  • Danke für die Recherche. Es ist wirklich absurd und erinnert mich ziemlich an Verlautbarungen aus dem Politbüro, vor allem dieses umgreifende "Wir".

  • Im ersten Moment dachte ich: das darf doch nicht wahr sein! Dann aber die schon täglich resignierende Kenntnisnahme eines weiteren Beispiels betreuenden Denkens. Zum Glück ist dieser Fall - Danke Herr Wendt ! - an die Öffentlichkeit gelangt. Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass im Kulturmilieu derartige Gesinnungspressionen gang und gäbe geworden sind. Meiner Ansicht geht es schlicht um die Frage: zahlen die Geldgeber weiterhin die Subventionen, von denen zum überwiegenden Teil der Betrieb lebt? Neu ist indes der vorlaufende Gehorsam - es muss eine tiefe Angst in den Kreisen der offiziösen Staatsintelligenz herrschen, wenn man solch kriecherisches Verhalten an den Tag legt. Irgendwie fühle ich mich an meine frühere Lektüre von Solschenizyn erinnert - hier sind Kulturstalinisten der billigsten Sorte am Werk. Übrigens hatte seinerzeit auch Schostakowitsch das „Recht, sich zu äußern“, wie der Opernchef generös mitteilt. Diese Sorte von Kulturschaffenden ist nicht nur peinlich, sie ist mittlerweile auch gefährlich geworden.

    • Die sozialistische Brigade "Wladimir Iljitsch Lenin" des VEB Fritz Heckert Kombinat Karl- Marx- Stadt verurteilt die faschistischen Umtriebe in Dresden auf das entschiedenste. Wir unterstützen unsere Kulturschaffenden in ihrem Kampf gegen den Klassenfeind und werden aus diesem Anlass unsere Planvorgaben um 250% übererfüllen. Walter Ulbricht, Brigadeleiter

  • Januar/ Februar 1988, Theaterkantine eines 3-Sparten-Provinztheaters der DDR: Die Mitarbeiter des Hauses diskutieren über die täglich neuen, hanebüchenen Äußerungen von allerlei Strassenbahnfahrern, Bauarbeitern, Kulturschaffenden u.ä. zu den "Zusammenrottungen" und anschließenden Verhaftungen von Krawczyk und Konsorten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demo im "Neuen Deutschland" und den anderen Staatsmedien. Es füllen Bemerkungen den alkoholgeschwängerten Raum wie "diese ´Empörung´, das ist doch alles getürkt" oder "was kriegen die dafür?". Der Eine oder Andere äußert jedoch, daß es wahrscheinlich leicht sei, in Zeiten wie diesen, regierungsamtlich-genehme Meinungen einzufangen. Auch ich war davon überzeugt, hatte ich doch ein weitgefächertes Umfeld außerhalb des Theaters. Der Mensch im Einheitsmeinung-befeuerten Umfeld fühlt sich halt diffus gestört von diesen "Störern", von diesen "Unruhestiftern", "feindlichen Subjekten" und (ja:) "Künstlern". Und das machte mir Angst, seinerzeit sehr viel Angst.
    Was hat das mit heute zu tun?
    Wenn der Chef der Staatskapelle oder der Oper seine Mitarbeiter auffordert, ihm für sein vorschnelles "Wir..." die nachträgliche Absolution einzuholen, wird er eine große Mehrheit seiner Mitarbeiter zur Gegenzeichnung bewegen können. Aus welcher Motivation auch immer die das dann tun.
    Machen Sie eine Strassenbefragung. Sie werden es leicht haben, "Empörungen" einzufangen, ob der Störenfriede, Rechten und Nazis, die hier (wieder) versuchen, ihr freches Haupt zu heben.
    Tägliches Be-Nachrichtigen und Befeuern in Zeitungen, TV und Radio in Kombination mit Bequemlichkeit im Denken verfehlen ihre Wirkung nicht.
    Warum habe ich heute keine Angst?
    (Ok., ich bin 30 Jahre älter geworden, aber vor allem,...) Weil ich das Ende der Geschichte (die Geschichte vom Ende?, siehe oben) kenne.
    Das gibt mir einen Rest Optimismus.