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Vorsicht, seitliche Umarmung

Alice Weidel herzte Henryk Broder. Qualitätsjournalisten nutzen das Ereignis, um die Nähe des Journalisten zur Politik zu kritisieren. Zu Recht. Die Debatte ist überfällig

Das, was Henryk M. Broder vor kurzem im Sitzungssaal der AfD-Bundestagsfraktion von Seiten der Vorsitzenden Alice Weidel erlebte, als er dort einen Vortrag hielt, war eine beidarmige seitliche Umarmung, die so genannte uni- und überhaupt laterale Akkolade. Broder beschrieb auf Meedia, wie die Szene sich abspielte, die jetzt für ihn zum Tribunal wird:

„Wie das Bild zustande gekommen ist, kann ich Ihnen genau sagen: Ich kam in den Saal, ging in eine Ecke, legte meinen Mantel ab und zog meine Mappe mit Notizen heraus. Da kam Frau Weidel auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich war überrascht, denn das passiert einem 72-Jährigen selten, dass ihn eine junge Frau spontan umarmt. Ich hatte offenbar nicht den nötigen ethisch-moralischen Widerstand dagegen entwickelt.“

Das Foto durchquerte einmal die so genannten sozialen und sonstigen Medien. Es gab eine so genannte Aufregung, weil sich durch das ikonische Bild, wie viele Journalisten schrieben, eine unziemliche, ja fremdschamfördernde Nähe von Medien (Broder) und Macht (Weidel) offenbaren würde.

„Broder kuschelt mit der AfD“, twitterte der Journalist Krsto Lazarevic über das Foto, das zeigt, wie AfD-Fraktionschefin Weidel mit Henryk Broder kuschelt.

Unter ARD-Faktencheck- beziehungsweise Correctiv-Verhältnissen gäbe es dafür das Prädikat „irreführend“ („obwohl eindeutig das Gegenteil zu sehen ist, behauptet L., der sich auf einschlägigen linken Plattformen wie Jungle World tummelt“ etc.).

Zu einem echten Fake-News-Rang reicht es bei dem Mitarbeiter der Berliner Zeitung Markus Decker, der auf Twitter kommentiert beziehungsweise folgendes Virtue signalling betreibt:

„Henryk M. Broder ist mit dem Satz seiner Eltern groß geworden: ‚Wir haben für dich das KZ überlebt’. Jetzt liegt er in den Armen einer Partei, die das Holocaust-Mahnmal als Schande bezeichnet. Es ist nicht zu fassen.“

Jedenfalls nicht für Markus Decker. Schön, dass auch noch einem 72jährigen wie Broder ein erziehungsberechtigter Qualitätsjournalist zugeteilt ist. Allerdings bezeichnete nicht die Partei AfD das Holocaust-Mahnmal als Mahnmal der Schande, sondern deren thüringischer Landesvorsitzende Björn Höcke, in dessen Armen wiederum Henryk Broder auch unter widrigen Umständen nicht gelandet wäre. (Wobei die entscheidende und hochgradig angreifbare Formulierung in Höckes Rede seine Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ war, was den meisten Journalisten damals aber nicht ausreichend griffig erschien. Im Jahr 2015 schrieb ein Reporter der „Berliner Morgenpost“ übrigens in einem alles in allem guten Text:

„Teilnehmer erinnern sich, dass Kohl bei der Einweihung der gestalteten Neuen Wache im Jahr 1993 mit Ignatz Bubis sprach. Vermutlich hat er ihm ein Mahnmal für die Juden versprochen. Aber ein Denkmal für die Schande, das war Neuland“.)

Aber einen wirklich toxischen Satz in einer Höcke-Rede aufspüren, das ist ungefähr so anstrengend wie die Feststellung, wer auf einem Foto gerade wen umarmt. Und wenn ein Exeget es tatsächlich feststellen sollte, dann würde er auch entdecken, dass sich das Ergebnis wiederum schlecht für Twitter eignet.

Holger Stark von der ZEIT jedenfalls twitterte, worum es ihm (und anderen Kollegen) ganz grundsätzlich geht: um die Nähe zur Macht, die sich für einen Journalisten in der Bundesrepublik Deutschland einfach nicht gehört:

„So sieht also die viel beklagte Nähe von Journalisten zu Politikern aus. Der Journalist als Stichwortgeber, Arm in Arm mit der Politik. Ich kann mich an kein Foto eines Journalisten erinnern, für das ich mich mehr geschämt hätte.“

Ein Journalist beziehungsweise eine Journalistin als Stichwortgeber*in der Politik – da sei Anne Will Seite an Seite mit Sandra Maischberger vor.

Ein Glück, dass Holger Stark ein viel früheres Sündenfoto von Henryk Modest Broder offenbar durch die Schamlappen gegangen war:

 

Und erst recht dieses Dokument, wobei der Betrachter schon wissen muss, wer sich beim Halloween-Empfang des amerikanischen Botschafters Richard Grenell neben der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli unter dem kleinen Schwarzen verbirgt: einer der beiden Herren oben. Und zwar der mit dem Bart.

Nun heißt es zu Recht: es soll der Spielmann nicht mit dem König gehn. Eine einseitige Umarmung durch die Fraktionschefin einer Oppositionspartei rangiert allerdings in einer anderen Liga als beiderseitiges Indenarmfallen zwischen dem Kolumnisten einer nicht mehr großen, aber größeren Illustrierten und der Politikerin einer Partei, die von 1998 bis 2005 im Bund und bis heute in etlichen Ländern mit- und mental eigentlich Deutschland regiert:

Hauptsache, Geist resp. Journalist auf der einen und Macht auf der anderen Seite begegnen einander auf Augenhöhe. Was allerdings nicht durchweg der Fall ist, wie ein bisher zumindest für Krsto Lazarevic, Markus Decker, Holger Stark und viele andere offenbar unbekanntes Foto belegt:

Das Bild zeigt den Moderator einer RBB-Sendung namens Jörg Thadeusz als Teilnehmer einer CDU-Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2017. Seine Sendung ließ er seinerzeit nicht ruhen. Völlig zu Recht, denn der Unterschied ist, wie es heute in Redaktionskonferenzen heißt, etwas für Feinschmecker.

Spielmann und Königin: da gibt es sogar noch etwas aus den dunkelsten Zeiten, das die meisten Zeitzeugen bis heute vergeblich zu vergessen versuchen. Und das, obwohl der betreffende Journalist noch nicht einmal als Stichwortgeber Erfolg hatte:

Wer wissen will, wie milde Fremdscham aussieht: einfach das Gesicht der Dame in Gelb studieren.

Es ist, so dachte sie möglicherweise, nicht zu fassen.

 

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (26)

  • Was mich am meisten ankotzt in dieser völlig verbunteten Republik ist die Doppelmoral, die all jene wie eine Monstranz mit sich rumtragen. Wohlan...

  • Tja. Quod liced iovi non licet bovi kann zu der mittlerweile wie selbstverständlich vorgelebten Hybris der Gutmenschen aus der (mehrheitlich west)deutschen Provinz wohl nur noch sagen.

  • Danke für den Fakten-Check,mit dem Sie wieder einmal die Pharisäer in der deutschen Medienlandschaft entlarven! Besonders das Bild "Spielmann mit Kanzlerin" erinnert an die tiefen Diener, die so manch einer in schlimmer Vorzeit vor dem damaligen Reichskanzler machte...

  • ...absolutes Highlight: Heulsuse und schmieriger Merkel-Fan Jörges mit weiblichem Türken-Fan in trauter Zweisamkeit! Danke Herr Wendt - You made my day! Top-Investment, meine Spende!

  • Ein sehr guter Beitrag über die linken Heuchler in den Redaktionsstuben der deutschen „Qualitätsmedien“.
    Es genügt bisweilen schon, mal ins Archiv zu steigen, um diese Pharisäer zu entlarven.

  • Eine vortreffliche Auswahl peinlicher, aber eben auch aussagefähiger Bildwerke zum Thema "Presse und Obrigkeit". Mir gefällt das Foto mit Herrn Jörg Thadeusz ganz besonders. Es hat die Chance zu dem zu werden, was man in der Fotogeschichte eine "Ikone" nennt. Glückwunsch dem Fotografen, der sekundengenau den Moment der Verschmelzung geistesferner Devotheit und herschaftlicher Huld zu bannen wusste. Hier gilt in der Tat : ein Bild sagt mehr als tausend Worte!

  • Schockschwerenot!
    Dat is ja nu 'n Dingens, wat JAAANICH jeht.
    Haben die rotbunten Moralwächter keine anderen Sorgen, als sich um eine Umarmung aufzuregen?

    Man faßt es nicht!

  • Die Wut auf HMB ist nur die Deckemotion.
    Was unser Presse- und Politikrudel gemeinsam schäumen lässt, ist auf der vom Betrachter aus links von ihm zu sehen: Da ist eine junge Frau, ein wirklich nettes Mädchen. Freundliche natürliche Ausstrahlung, kein bisschen claudiarothesk oder renatekünastig. Einfach normal.
    Und so darf der politische Gegner nicht sein.

  • Sehr geehrter Herr Wendt,
    danke für Ihren Beitrag, insbesondere für die Entlarvung derjenigen, die zwar richtigerweise darauf hinweisen, dass sich eine Nähe zur Macht für einen Journalisten nicht gehört, jedoch genau diesen Grundsatz selbst fortwährend mit Füßen treten.
    M. E. hat Herr Höcke aber in seiner Dresdener Rede das Holocaust-Mahnmal nicht als Schande bezeichnet, wie das dann später ausgelegt wurde. Denn gesagt hat Herr Höcke: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat." (vgl. u. a.: https://www.zeit.de/news/2017-01/18/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-18171207)
    Für mich ist die Botschaft dieses Satzes: Das Denkmal erinnert an eine Schandtat der Deutschen, nicht aber, dass die Errichtung des Denkmals selbst eine Schandtat darstellt. Herr Höcke hätte allerdings zugegebenermaßen zur Vermeidung sämtlicher späterer Unterstellungen, mit denen er rechnen konnte, seine Worte besser auswählen können und auch müssen. Mit der Formulierung "... ein Denkmal seiner Schande ..." wäre die Auslegung dahingehend "das Holocaust-Mahnmal selbst ist eine Schande" vermeidbar gewesen.

    • Ich denke Höcke - er ist Deutschlehrer - hat ganz bewußt genau so formuliert. Er hat mit seiner Formulierung zwei Interpretationsmöglichkeiten angeboten und durch die Bank wurde sofort nur eine gesehen, womit er im Grunde die Geisteshaltung der "Interpretierer" bewies!
      Und sie haben es nicht gemerkt!

  • Das Bild ist natürlich eine Steilvorlage für alle die, die den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen Auge nicht. Und wer will schon vor der eigenen Tür kehren; das wirbelt viel zuviel Staub auf.