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Die deutsche phobokratische Republik und ihre Freunde

Politisch und medial erzeugte Angst eignet sich bestens, um Bürger in unsichere und folgsame Wesen zu verwandeln. Das wissen Machttechniker nicht erst seit Corona. Die systematisch gezüchtete Furcht vor Klimahölle, Viren und Nazidiktatur verursacht mittlerweile psychische Massenschäden – vor allem bei Jugendlichen

Für alle, die gern ihre Ängste kultivieren, gab es in der vergangenen Woche eine reiche Auswahl. Via dpa-Meldung, wiedergegeben in zahlreichen Medien, warnte das Bundesamt für Strahlenschutz vor erhöhter UV-Strahlung am Wochenende.

Speziell am Samstag, so die Behörde, könnte ein „UV-Index-Wert von bis zu 6“ erreicht werden, ein Wert, der zwar deutlich unter dem Schnitt der deutschen Sommermonate (8 bis 9) liegt, aber schließlich, so das BfS, sei es eben noch nicht Sommer und dieser UV-Index-Wert „für Mitte April eher unüblich“. In der Meldung hieß es weiter: „Das BfS rät bereits ab einem Wert von 3 auf der nach oben offenen Skala zu Schutzmaßnahmen wie dem Auftragen von Sonnencreme mit ausreichendem Lichtschutzfaktor, hautbedeckender Kleidung und Kopfbedeckung sowie möglichst viel Aufenthalt im Schatten, vor allem mittags.“ Nach oben offene Skala, diese ein bisschen an Erdbebenmeldungen erinnernde Formulierung trifft mehr oder weniger auf alle offiziell zertifizierten Gefahren der Bundesrepublik zu. Früher galt es eher als unüblich, dass ein Strahlenschutzamt die Bevölkerung vor UV-Schäden an einem schönen Frühlingssonntag warnt, zumal kurz vor dem letzten warmen Moment für die nächste Zeit. Möglicherweise sucht das BfS – nicht zu verwechseln mit dem BfV, dessen Präsident Thomas Haldenwang ebenfalls warnt und rät – nach der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke ein neues Betätigungsfeld. Jedenfalls trifft das Angebot der Behörde auf eine Nachfrage, zumindest in einem Teil der Gesellschaft.

Gefahrenwarnungen gehören zu den wenigen Dingen, für die es in Deutschland nie eine Obergrenze geben darf. In der Angstauswahl der letzten Tage befand sich neben der Aufforderung zum Eincremen und Schattensuchen noch der Risikohinweis auf das Streitgespräch zwischen dem AfD-Politiker Björn Höcke und Thüringens CDU-Vorsitzenden Mario Voigt. Mit Hilfe der Allzweckwaffe Johannes Hillje erläuterten mehrere Medien den demokratiegefährdenden Charakter der Fernsehdebatte.

Die SPD riet ausdrücklich dazu, sich die Sendung nicht anzusehen, um einer möglichen Verschiebung von Mentalitätsgrenzen (Th. Haldenwang) vorzubeugen und erteilte alternative Ratschläge zur Nutzung der Bildschirmzeit („guck lieber GNTM!“). Neben den voll- bis semioffiziellen Hinweisen auf mögliche Haut- und Hirnschäden erhielt die Öffentlichkeit vor wenigen Tagen auch eine sehr grundsätzlich angelegte Warnung, nämlich vor der Machtergreifung durch eine rechte Partei mit dem Namen „Die Blauen“. Zum Thema ‚rechte Machtübernahme‘ gibt es inzwischen so viele Filme und sonstige Medienerzeugnisse, dass sie zusammen ein eigenes Genre bilden. Im neuesten Fall handelt es sich um einen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellten Kurzfilm der Produzenten Andreas Loff, Behzad Karim Khani und Christian Suhr mit dem Titel „Wir haben es zu Ende gedacht“, der im Jahr 2060 spielt. Dort fragt ein Mädchen in einer Wüstenstadt mit orangefarbenen Wohnwaben didaktisch wertvoll: „Oma, was war nochmal dieses Deutschland?“ Die Oma, in Kleidung und Frisur dem progressiven Stil ihrer Jugend treu geblieben, erklärt, was mit diesem Deutschland passierte, als „Die Blauen“ das Regierungsviertel eroberten: ein „Exodus“. Aber „Exodus“, klärt die Seniorin auf, „so nennen wir das heute. Damals nannten sie es Remigration“.

Es handelt sich also um die Verfilmung des Correctiv-Wannseekonferenz-Zweinull-Textes, der auch schon für die Theaterbühne adaptiert wurde. Zwar gaben inzwischen die Mitarbeiter der regierungsfinanzierten Plattform mit möglichem Geheimdiensthintergrund vor Gericht zu Protokoll, der Begriff „Deportation“ sei bei dem Treffen in Potsdam gar nicht gefallen, es habe dort auch niemand Pläne zur millionenfachen Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland ausgeheckt, vielmehr handle es sich bei den entsprechenden Sätzen im Text nur um Wertungen und Meinungen von Correctiv. Aber eben deshalb liegt es nahe, die Fiktion weiter zu fiktionalisieren und das Bild eines Deutschlands mit verwahrlosten Straßen zu zeigen, also das, was nach Ansicht der Filmemacher droht, wenn geschieht, was niemand plant, nämlich die Vertreibung aller Bürger, die selbst oder deren Familien irgendwann nach Deutschland einwanderten: „Der Müll nicht abgeholt“, erzählt Oma, „Post nicht zugestellt, Felder nicht geerntet, Lebensmittel nicht geliefert, Fabriken geschlossen…Menschen verarmten. Große Städte wurden leer und auf dem Land fehlte sowieso alles.“

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Den Filmemachern entging beim Weiterdenken offenbar die Fußnote, dass viele Straßen in Berlin heute schon so aussehen wie in ihrer KI-Animation, manche davon nur zehn U-Bahn-Minuten von Mitte entfernt.

Und das nicht in einem leeren, sondern eher an manchen Orten ziemlich überfüllten Deutschland, in dem – beispielsweise in Berlin – das Ku‘damm-nahe Hotel Dormero von der Stadt angemietet wurde, um Asyleinwanderer unterzubringen und anderswo Containersiedlungen entstehen. Weder die Redakteure des Deutschlandfunks oder der Zeit noch die Mitarbeiter vieler anderer Medien, die das Video verbreiteten, gingen der Frage nach, warum trotzdem Fachkräfte zur Müllbeseitigung fehlen, wieso der öffentliche Raum beschleunigt verfällt und ob sie womöglich schon heute ganz ohne Lehnitzseekonferenz in einer Dystopie leben. Die Enkelin will in dem Film kindgerecht wissen, ob die in der blauen Diktatur gebliebenen Menschen denn gar nicht gemerkt hätten, wie sehr sie sich schadeten. Worauf Oma antwortet, seitdem Deutschland eine Diktatur wurde, „war es sehr schwierig zu sagen, was man wirklich denkt“.
Alles in allem boten die letzten zehn Tage also ein gut bestücktes Büffet der Ängste: vor UV-Verstrahlung, Kontamination durch das Ansehen der falschen Fernsehdebatte und vor der Machtübernahme durch eine rechte Partei, die das Land in einen Müllhaufen verwandelt. Wer zu den gut konditionierten Bürgern gehört, überlegt nicht lange, sondern nimmt alle drei.

Schon vor mehreren Jahren, schon vor Corona prägte Peter Sloterdijk den Begriff Phobokratie, also der Herrschaft durch Angsterzeugung. Drohungen mit dem kollektiven Untergang und der individuellen Verdammnis bewährten sich schon in früheren Zeiten als Machtmittel. In der schwarzen Pädagogik der Herrschenden sah man etwas später ein typisches Merkmal voraufklärerischer Zeiten und in denjenigen, die darauf besonders gut reagierten, autoritäre Charaktere. Zu den bleibenden Sätzen des insgesamt nicht ganz unproblematischen Theodor W. Adorno gehört der Spruch: „Bange machen gilt nicht.“ Dass das exakte Gegenteil einmal zur Staatsmaxime der aufklärungsfeindlichsten Bundesrepublik aller Zeiten aufsteigen sollte, ahnte vermutlich weder Adorno noch sein viel späterer Kollege Sloterdijk.

Zu einem ganz großen Sprung nach vorn bei der Etablierung der Phobokratie kam es im April 2020, als das Bundesinnenministerium den österreichischen Maoisten Otto Kölbl beauftragte, an zentralen Teilen eines zunächst geheim gehaltenen Papiers („VS – nur für den Dienstgebrauch“) zur Verhaltenslenkung in Zeiten des Corona-Virus mitzuarbeiten. Warum Kölbl, damals Sprachprüfer für Deutsch an der Universität Lausanne, überhaupt den Auftrag des Ministeriums erhielt, liegt bis heute im Dunkeln. Über irgendeine wie auch immer geartete medizinische Expertise verfügte Kölbl nie, von einer Kompetenz auf epidemiologischem oder virologischem Gebiet ganz zu schweigen. Im Kern des BMI-Papiers geht es jedenfalls darum, eine „gewünschte Schockwirkung“ in der Bevölkerung zu erzeugen, einen kollektiven Angstzustand, der die Bürger dazu bringen sollte, Anweisungen von Regierungen und Behörden möglichst widerspruchslos hinzunehmen. Die Strategie – und das soll in diesem Text noch eine größere Rolle spielen – richtete sich vor allem auf Kinder.

„Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen“, hieß es in dem Dokument, „müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden:
1) Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.
2) ‚Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden‘: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“

Die Handreichung des Innenministeriums riet also ganz ausdrücklich dazu, Angst zu kultivieren und sie mit Schuldgefühlen zu verknüpfen. Diese Kombination erweist sich als besonders effizient, vor allem dann, wenn sie sich auf eine besonders gut beeinflussbare Gruppe richtet, nämlich Kinder und Jugendliche. Diese Erfahrung aus der Coronazeit lässt sich generell gut zur Verhaltenslenkung anwenden, natürlich auch bei Erwachsenen. Die Technik der Phobokratie fasste der Soziologe Heinz Bude, der die Regierung ebenfalls zur Coronastrategie beriet, in einer Diskussionsrunde an der Universität Graz mit dem Titel „Gesellschaft im Ausnahmezustand – Was lernen wir aus der Coronakrise?“ Ende Januar mustergültig zusammen. Auf dem Podium kündigte er an, ein bisschen „aus dem Nähkästchen zu plaudern“, um dann zu erläutern, was damals aus seiner Sicht notwendig war und sich auch für andere Anwendungsfälle als wirksam empfiehlt, „um Folgebereitschaft herzustellen“. Man habe etwas gebraucht, was „so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist“ und sei auf die Formel „Flatten the Curve“ gekommen, verbunden mit der Behauptung: „Wenn ihr schön diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern“. Bude: „Das sieht so nach Wissenschaft aus, ne? Wir fanden das irgendwie toll.“

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Nicht nur nach dem heutigen, sondern spätestens nach dem Wissensstand Ende 2020 gab es genügend Belege, dass die medizinische Versorgung zu keinem Zeitpunkt vor dem Zusammenbruch stand, dass flächendeckende Lockdowns, Ausgangssperren und vor allem Schulschließungen ohne nachhaltige Auswirkungen auf die Virusausbreitung bleiben, dafür aber horrende Schäden anrichteten. Die phobokratische Formel lautete trotzdem: ‚Nehmt diese Maßnahmen widerspruchslos hin, denn sonst treten unfassbar schreckliche Zustände ein. Zeigt ihr Folgebereitschaft, gibt es zur Belohnung ein paar Grundrechte zurück.‘ Ganz allgemein für Gegenwart und kommende Zeiten, beispielsweise zur Durchsetzung der Gesellschaftstransformation mit dem Klimarettungsargument, verkündete Bude:
„Man wird Zwang ausüben müssen auf Leute, die sagen: ‘Ich hab’ aber andere Informationen.’ Und zwar legitimen Zwang. Wir werden mit Situationen vermehrt zu tun haben in der Zukunft, solcherart von Krisen, die individuelle Verhaltensveränderungen verlangen, wenn man den Krisen als Gesellschaft in kollektiver Handlungsfähigkeit standhalten will. Und das ist das entscheidende Argument: Können wir das überhaupt in einer modernen liberalen Gesellschaft? Geht das eigentlich? Und muss man dann nicht hinterrücks ganz furchtbare Dinge wie Angstkommunikation, also sozialpsychologische Dinge benutzen, um solche Arten von Folgebereitschaften zur Veränderung von individuellem Verhalten vorzunehmen?“

Die Antwort auf seine rhetorische Frage kannte das Publikum in Graz schon: Angstkommunikation, also sozialpsychologische Dinge gehören zur Kategorie des legitimen Zwangs, um Folgebereitschaft zu erzeugen. Seine wichtigste Botschaft lautete: Es ist nicht nur legitim. Es funktioniert auch. Nicht unbedingt bei allen, aber zumindest in einem Teil der Gesellschaft.

Das modern Angstmanagement (um es einmal von den klassischen, der Drohung mit dem Fegefeuer zu unterscheiden) entstand nicht beiläufig und nicht als Nebenprodukt, sondern als sorgfältig ausgearbeitete, zielgerichtete Methode. Die vermutlich beste Blaupause findet sich in dem Buch „Leading the Public into Emergency Mode“ der Psychologin Margaret Klein Salamon aus dem Jahr 2019. In „Die Öffentlichkeit in den Notfallmodus führen“ beschreibt Klein Salamon, welche Vorteile sich für die Durchsetzung eines Ziels ergeben, wenn es erst einmal gelingt, durch Angsterzeugung einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand herzustellen:

„Das Akzeptieren der Klimawahrheit kann nicht nur dein bürgerliches und politisches Engagement beeinflussen, sondern auch deine Prioritäten, Ziele und dein Identitätsgefühl. Üblicherweise heißt es in der Argumentation der Klimapolitik, dass ‚Furcht nicht funktioniert’: Der Öffentlichkeit die erschreckende Wahrheit zu erklären, würde nur vor Klimaaktionen abschrecken und die Aufgabe der Klimabewegung bestünde darin, den Klimawandel als handhabbares Problem mit handhabbaren Lösungen darzustellen. Aber Verzweiflung, Panik und Angst sind nicht nur die einzigen Antworten auf die Klima-Wahrheit.
Der Notfall-Modus ist der Modus der humanen psychologischen Funktion, der eintritt, wenn Individuen oder Gruppen optimal auf existenzielle oder moralische Notfälle reagieren. Dieser Modus des humanen Funktionierens, der sich von dem ‚normalen’ Funktionieren unterscheidet, ist von einer extremen Konzentration von Aufmerksamkeit und Ressourcen geprägt, um produktiv zusammenzuarbeiten und den Notfall zu lösen. Um diesen Weg zu beschreiten, müssen die Menschen erkennen, dass sie mit einem Notfall-Problem konfrontiert sind, das Notfall-Lösungen erfordert.“
(“Accepting climate truth can affect not only your civic and political engagement, but also your priorities, goals, and sense of identity. Common climate communications wisdom argues that “fear doesn’t work:” telling the public the terrifying truth will only deter action, and it’s the climate movement’s job to present climate change as a manageable problem, with manageable solutions. But despair, panic and anxiety are not the only responses to the knowledge of climate truth.
Emergency mode is the mode of human psychological functioning that occurs when individuals or groups respond optimally to existential or moral emergencies. This mode of human functioning, markedly different from “normal” functioning— is characterized by an extreme focus of attention and resources on working productively to solve the emergency. To go into it, people must recognize that they are facing an emergency problem, that requires an emergency solution.”)

Klein Salamon, die auch eine wichtige Rolle in dem „Climate Emergency Fund“ spielt, einer millionenschweren New Yorker Plattform, die unter anderem die „letzte Generation“ mitfinanziert, erkennt hier scharfsichtig mehrere Dinge, die Bude, der BMI-Panikpapierautor, und Figuren wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer in unterschiedlichen Varianten wiederholen: Panik erzeugt einen Tunnelblick – eine evolutionär tief eingewurzelte Reaktion, die in Fällen einer echten Bedrohung tatsächlich oft das Leben rettet. In diesem Zustand wägt niemand verschiedene Möglichkeiten und Risiken ab, sondern neigt dazu, anderen zu folgen, von denen er glaubt, dass sie den erlösenden Ausweg kennen. Die extreme Konzentration von Aufmerksamkeit und Ressourcen, von der Klein Salamon schreibt, führt zur Verdrängung aller anderen Probleme und Gefahren, die neben der einen für übermächtig erklärten Gefahr auch noch existieren. Im Angst- und Panikzustand greifen bestimmte psychologische Mechanismen, die sich bestens zur Durchsetzung einer Agenda eignen. Unter dem Druck der Angst neigen viele Menschen dazu, in denjenigen, die besonders nachdrücklich vor einer Gefahr warnen, auch Autoritäten zu sehen, die sie aus der gefährlichen Lage führen und deren Anweisungen zu akzeptieren. Diese Zwangsläufigkeit existiert allerdings gar nicht generell. Jemand, der ‘Feuer‘ schreit, muss noch lange nicht die Kompetenz zum Feuerlöschen besitzen. Der Panikmodus verhindert aber gerade solche Überlegungen.

In dem phobokratischen Handbuch wiederholt sich ein Grundschema aus drei Elementen. Erstens die Beschwörung einer zentralen und singulären Gefahr, etwa durch die Behauptung von Organisationen wie „Letzte Generation“, „Extinction Rebellion“, „Fridays for Future“ und anderen, es käme schon sehr bald zur Flutung von Küstenstädten, zu Millionen klimabedingten Hungertoten, zu hunderttausenden Klimaflüchtlingen; durch die berühmten Modellierungen zu Corona-Zeiten, die Millionen Infizierte und ein Massensterben voraussagten (und sich durchweg als falsch herausstellten); und sehr aktuell durch die Suggestion der Correctiv-Story im Januar 2024, eine AfD-Machtübernahme samt Massendeportationen stünde unmittelbar bevor. Wegen der Dringlichkeit, so lautet Schritt zwei, bliebe jetzt keine Zeit mehr, um zu diskutieren. Im dritten Schritt präsentieren die Psychoingenieure einen fertigen Plan, dem die Gesellschaft alternativlos folgen soll. In der Corona-Ära lautete er, Grundrechte, öffentliche Abwägung und Gewaltenteilung weitgehend aufzugeben und einer Technokratengruppe aus Politikern, ausgewählten Stichwortgebern und der Exekutive freie Hand zu lassen.

Zwischen der vorgeblichen Klimaapokalypse und der Forderung nach einem Systemwechsel hin zu einer zentralen Wirtschaftslenkung (‘system change, not climate change‘) besteht mittlerweile eine fest etablierte und in hunderttausende Köpfe gehämmerte Verbindung.
Die Machtergreifung rechtsextremer Diktatoren, für die es ebenfalls fünf Sekunden vor zwölf steht, lässt sich nach dem gleichen Prinzip nur mit weitgehender Einschränkung der öffentlichen Kommunikation, der Kriminalisierung von Meinungen und dem Entzug von Bürgerrechten noch verhindern.
Das Vorgehen nach diesem Handbuch, so schematisch es auch wirkt, erweist sich als außerordentlich erfolgreich. In Deutschland – und nicht nur dort, sondern auch in Australien, Frankreich und Spanien – zeigten unter dem Eindruck der Angstkommunikation erstaunlich viele Bürger in den Corona-Jahren eine Folgebereitschaft, mit der sie das Durchregieren der Exekutive und selbst offensichtlich sinnlose Maßnahmen wie das Maskentragen im Freien akzeptierten.

Der Gesellschaftsumbau mit Hinweis auf die drohende Klimahölle prägt inzwischen große Teile der deutschen und der EU-Politik.
Mit der Behauptung, die Demokratie vor finsteren Mächten schützen zu müssen, die schon nach der Macht greifen, versucht nicht nur die Bundesregierung das Grundgesetz unter Vorbehalt zu stellen. Mit einer fast identischen Argumentation setzten auch die Administrationen in Irland, Schottland und Kanada Gesetze durch, deren bloße Möglichkeit noch vor wenigen Jahren dort die meisten als Verschwörungstheorie abgetan hätten. In Irland und Kanada soll neuerdings schon die Möglichkeit zu Strafverfahren führen, jemand könnte Hass verbreiten. Den Polizeieinsatz gegen die Konferenz von konservativen und rechten Politikern und Autoren in Brüssel in dieser Woche rechtfertigte der islamisch-sozialistische Bürgermeister Emir Kir mit der Begründung, es habe die Möglichkeit bestanden, dass sich Konferenzteilnehmer rassistisch äußern könnten.

Von der schon erwähnten Höllenangstpropaganda früherer Zeiten unterscheidet sich die moderne Variante durch zweierlei. Zum einen droht die Strafe bei mangelnder Folgebereitschaft nicht erst im Jenseits, sondern in dieser Welt und zwar schnell und unausweichlich. Zweitens spielt der Szientismus bei der Angstproduktion, wie bei dem Entwurf des Rettungsplans eine Schlüsselrolle, also das, was in Budes Worten nach Wissenschaft aussieht. Herbeizitierte Experten, meist unter dem Markenbegriff die Wissenschaft liefern so genannte Narrative und scheinobjektive Begründungen, ob nun zu einer Seuche, der Klimakatastrophe oder dem bevorstehenden Demokratietod.

In tatsächlichen Gefahrenlagen, etwa Schiffskatastrophen, ließen sich und lassen sich kompetente Verantwortliche dadurch erkennen, dass sie beruhigend auf ihre Passagiere einwirken, um Panik zu vermeiden – weil sie wissen, dass Panik buchstäblich blind machen und zuweilen mehr Opfer fordern kann als die eigentliche Bedrohung. Politische Anführer und sonstige Meinungslenker zeichnen sich heute durch das exakte Gegenteil aus, nämlich die Thunberg-Forderung: „Ich will, dass ihr in Panik geratet“. Bangemachen, so scheint es, ist die erste Regentenpflicht, um dann die oben beschriebenen nächsten Schritte zu unternehmen, sich selbst als alternativloser Retter zu empfehlen.

Eine Sonderrolle spielt die Angsterzeugung und -bewirtschaftung bei Kindern und Jugendlichen, die sich nun einmal besonders leicht prägen lassen. Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt weist seit Jahren darauf hin, dass sich die mentale Gesundheit von Jüngeren in den USA seit 2012 stetig verschlechtert, ablesbar in der Zunahme von Depressionen und Angststörungen. Als Hauptverantwortliche dafür sieht er Plattformen wie TikTok und Instagram, die Teenager im Zustand der hypernervösen Erregung halten. Erst mit diesen Medien bildeten sich die wirklich perfekten Kanäle zur Massenverbreitung von Angst heraus, erstens dadurch, dass sich die Nutzer kaum von diesen Plattformen lösen und jeden Tag vier, fünf oder noch mehr Stunden dort verbringen, zweitens durch die Formierung von sehr homogenen Gruppen. Wer einmal in einer Insta- oder TikTok-Gruppe der „Letzten Generation“, „Extiction Rebellion“ und ähnlichen Gruppen landet, erlebt dort eine Dauerzufuhr von Klimaapokalypse-Nachrichten, in Deutschland noch verstärkt und angereichert mit der entsprechenden Dauerschleife in den öffentlich-rechtlichen Medien und Politikerreden.

Wer als Jugendlicher schon mit Klimapanik in Kindersendungen wie ZDF-Logo und durch Teilnahme an Greta-Märschen geprägt wurde, sich dann in der Corona-Zeit als potentieller Eltern- und Großelternmörder fühlte und schließlich 2024 hörte, er könnte nur noch mit äußerstem Einsatz die Höcke-Diktatur verhindern, der verhält sich entsprechend, falls es ihm oder ihr nicht doch noch gelingt, aus dem Daueralarmismus auszubrechen. Angst konditioniert. Sie macht aus Bürgern folgebereite Menschen. Bei jüngeren, deren Psyche sich erst herausbildet, verhindert die Dauerangst, dass sich jemand überhaupt als Bürger emanzipiert.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk perfektioniert diese Zurichtung der Jüngeren gleich auf zwei Feldern. Mancher mag einwenden, Jugendliche sähen diese Sender ja kaum. Das stimmt, deshalb kommt beispielsweise die ARD zu ihnen und zwar dorthin, wo sie nicht fliehen können, nämlich in die Schulen. Der WDR verteilte dort eine „Klima-App“, damit Teenager „den Klimawandel hautnah im Unterricht erleben“. Das Werk beginnt mit einem Erdball in Flammen, die Schüler sehen zu agitatorischer Musik Flammenwalzen in Wäldern und Überschwemmungen. Dass die bei Waldbränden vernichtete Fläche seit Jahren weltweit zurückgeht, Waldbrände eher andere Ursachen haben, beispielsweise mangelnde Totholzbeseitigung, dass die Zahl der Wetterkatastrophentoten global sinkt, erfahren die Schüler in der WDR-App nicht. Der Werbeclaim des Senders lautet: „Wenn die Klimakrise mitten im Klassenzimmer stattfindet“.
Gleichzeitig bieten sich die Sender als Helfer und Berater zur Bewirtschaftung der Angstzustände an, an denen sie unermüdlich mitarbeiten. In der „Sendung mit der Maus“ etwa erklärt der WDR seinem jungen Publikum, dass es sich bei der „Klimaangst“ um ein ganz wichtiges und normales Gefühl handelt – um dann gleich einen Verhaltensrahmen aufzuspannen:Manche, so der Moderator, seien „wütend auf die Politik, weil die nichts unternimmt“, andere „einfach traurig“, wieder andere „gehen auf Demos“. Technische Innovation, Wettbewerb und die Aufforderung, für beides in der Schule möglichst viel Wissen zu erwerben, kommen als Möglichkeiten zur Minderung von Risiken gar nicht erst vor. Dann folgt der unvermeidliche Expertinnenauftritt; „die Amelie“ mit dem Kompetenzausweis Psychologin („ich weiß ganz viel über Gefühle“) wiederholt noch einmal fast wörtlich den Text des Moderators.

Wertvolle Tipps zum Umgang mit „Klimaangst“ – diesmal für alle Altersklassen – gibt auch der SWR. Der Film beginnt ebenfalls mit Bildern von Flut, Waldbrand und Unwetter.
Die Hauptbotschaft dieser und anderer Klimaangst-Beiträge lautet: Bei der Klimaangst handelt es sich um eine ganz natürliche Reaktion auf die drohende Apokalypse. Klimaphobiker sollen laut SWR „Verbündete suchen”, mit denen sie „ihre Ängste“ besprechen. An dieser Stelle zeigt der Film einen Gesprächskreis, den, wie die Stimme aus dem Off mitteilt, freundlicherweise „Fridays for Future“ anbietet. Die weiteren Empfehlungen des ARD-Senders lauten: „Auf die nächste Flugreise verzichten, politisch aktiv werden“.

Nicht nur die Gebührensender ackern auf diesem Gebiet, sondern auch private Entrepreneure. Etwa Andrea Paluch, Ehefrau von Robert Habeck und Autorin des 2021 erschienenen Kinderbuchs „Die besten Weltuntergänge“. In der Produktbeschreibung lautet der erste Satz: „Die Welt, wie wir sie kennen, wird untergehen.“ 
Gleich im ersten der „zwölf Szenarien für unsere Zukunft“ herrscht auf der Erde Sauerstoffmangel, Menschen können nur noch mit Schutzhelmen oder in luftdicht abgeschlossenen Häusern leben. (Wohin dann eigentlich das ausgeatmete CO2 verschwindet, erklärt die Autorin nicht). Der Deutschlandfunk bewarb Paluchs Beitrag zur Angstzucht als „das Bilderbuch zur Klimakrise”.

Die Phobokratie funktioniert nicht nur machttechnisch bemerkenswert gut. Sie hinterlässt mittlerweile auch messbare Spuren, gerade bei den Jüngeren, vor allem bei Mädchen. Laut Daten der DAK mussten 2022 ein Drittel mehr Teenagerinnen in Deutschland mit Angststörungen klinisch behandelt werden als noch 2019. Die Kasse spricht von einer „massiven Zunahme von schweren Ängsten und Depressionen bei Mädchen“. Eine aktuelle Untersuchung der Mediziner Franz Resch und Peter Parzer vom Universitätsklinikum Heidelberg kommt zu dem Schluss, dass die Zahl der Depressionen und Angsterkrankungen von Jugendlichen in und nach der Corona-Zeit stark gestiegen sei. Mädchen seien doppelt so häufig betroffen.

Bei Resch und Parzer heißt es: „Nach der COVID-19-Pandemie fanden in Deutschland 19 % aller Krankenhausbehandlungen bei Jugendlichen im Alter von 10–17 Jahren wegen psychischer Erkrankungen statt.“
In ihrem Text verweisen beide Autoren auf sehr ähnliche Befunde aus Kanada.
Es gibt tatsächlich so etwas wie eine Epidemie der Angst. Es handelt sich um die erste Epidemie, die eine bestimmte Gruppe von Politikern, Medienmachern und Stichwortexperten nicht nur nicht bekämpft. Sie streuen die Keime, wo sie können. Sie betätigen sich als Krankheitsverbreiter, um sich gleichzeitig als Therapeuten anzubieten. Natürlich gegen gutes Honorar, auszahlbar in Gefolgschaft und Geld.

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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  • Nach dem 1. Weltkrieg tröstete ein Mann die Bevölkerung in Süddeutschland vor dem bevorstehenden Weltuntergang mit dem Verkauf von Karten im Jenseits. Der billigste Platz war neben Maria Magdalena. Hier reichten 5 Reichsmark, wie meine Großmutter erzählte. Jedenfalls habe ich das so in Erinnerung. Der Verkäufer von Himmelskarten wurde allerdings von einem offensichtlich sehr irdischen Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Einen Ersatz für den bezahlten Himmelsplatz gab es aber nicht.

  • Melanie Tannenbaum et al. ("Appealing to fear - a meta-analysis of fear appeal effectiveness and theories", in: 'Psychologicyl Bulletin', Nov. 2015) fassten das Ergebnis ihrer Überblicks-Studie so zusammen:
    "Results showed a positive effect of fear appeals on attitudes, intentions, and behaviors, with the average effect on a composite index being random-effects d¯ = 0.29. Moderation analyses based on prominent fear appeal theories showed that the effectiveness of fear appeals increased when the message included efficacy statements, depicted high susceptibility and severity, recommended one-time only (vs. repeated) behaviors, and targeted audiences that included a larger percentage of female message recipients. Overall, we conclude that (a) fear appeals are effective at positively influencing attitude
    intentions, and behaviors, (b) there are very few circumstances under which they are not effective, and (c) there are no identified circumstances under which they backfire and lead to undesirable outcomes."
    Aber Zweifel sind durchaus angebracht, schon wegen der einschränkenden Bedingungen ("... recommended one-time only, vs. repeated, behaviors"), aber auch wegen der Nicht-Berücksichtigung von Abnutzungseffekten in langandauernden Kampagnen und der Ausblendung der Glaubwürdigkeitslevels der Quelle. Das Selbstbewusstsein der Rezipienten ("self-efficacy") spielt als intervenierende Variable ebenfalls eine grosse Rolle bei der Einschätzung der Effizienz von Furchtpropaganda.
    Siehe dazu Simon Manyiwa/R. Brennan, "Fear appeals in anti-smoking advertising...", in: 'Journal of Marketing Management', Oct. 2012), Zitat:
    "Fear appeals are frequently used in anti-smoking advertising. The evidence on the
    effectiveness of fear appeals is mixed and in some studies strong fear appeals have
    been found to reinforce the undesirable behaviour. Individual self-efficacy may play a
    role in moderating the effects of fear appeals. In advertising contexts where the
    intention was to encourage socially desirable behaviours it has been shown that greater
    self-efficacy is associated with a more positive response to fear appeals. Similarly, in
    such contexts the perceived ethicality of a fear-appeal advertisement appears to be
    positively related to self-efficacy."
    Die Zahl der Raucher in Deutschland ist seit dem Jahr 2001 bis zum Jahr 2021 von ca. 27% auf 6% zurückgegangen, allerdings ist seit Corona wieder eine starke Zunahme zu verzeichnen (Quellen: Bundesgesundheitsministeriums, "Rauchen"; - Daniel Kotz, Uni. Düsseldorf, "Deutsche Befragung zum Rauchverhalten").
    Man fragt sich, wieso bei der starken Antiraucherwerbung (Warnhinweise auf jeder Zigarettenschachtel, etc....) überhaupt noch jemand raucht. Oder wieso es in der Coronazeit Menschen gab, die sich nicht impfen liessen.
    Cassie Howard (Ass. Prof., Univ. of Melbourne, "How fear appeal advertising works", Paper, Univ. of Melbourne, 1922) erklärt:
    "It’s important to keep in mind the limitations of the research studies that seek to assess the relative effectiveness of different fear appeals. We can do very specific research in the lab that looks at intentions and the predicted behaviour of people to specific variations of messages, but here we can’t measure actual behaviour, just intentions."
    Dass Propaganda und Werbung den Rezipienten langweilen und mit ihrer Penetranz verärgern können, ist für jeden Alltagswissen, der ab und zu auf Youtube ist (s. dazu z.B. George Belch, "The effects of television commercial repetition... ", in: 'Journal of Consumer Research', June 1982). -
    Das grösste "Feld-Experiment" zur Propaganda-Dauerberieselung stellte allerdings der kommunistische Ostblock dar, wo die Regierungsbotschaften ubiquitär waren. Am Ende zollte man der geforderten Haltung Lippenbekenntnisse, überzeugte Kommunisten gab es hingegen wohl mehr im Westen als im Osten.
    Natürlich muss man unterscheiden zwischen theoretischen Furcht-Appellen ("die Rechten wollen die Demokratie abschaffen") und dem Aufeinandertreffen von Propaganda und Wirklichkeit ("wir werden den Westen überholen" vs. der alltäglichen Mangelwirtschaft). Wenn die Propaganda sich mit der Realität erkennbar "beisst", wird sie nicht lange Erfolg haben. Also wenn die Realitätsebene der Propaganda für die meisten Menschen eher wenig erfahrbar ist ("Juden, Schwarze, Araber, Rechte... sind böse") und man keine Berührungspunkte mit dem propagierten Furchtobjekt hat (man kennt vielleicht gar keine Juden...), dann wird die Message tendenziell erfolgreicher sein. -
    Die Frage ist, in welcher Situation sind wir in unserem Land.
    Die deutsche Regierung tut eigentlich dankenswerterweise alles, um ihre eigene Glaubwürdigkeit in den Augen der Propagandarezipienten gründlich zu ruinieren. Inzwischen sieht fast jeder, dass diese Regierung unfähig und unwillig ist, selbst auch nur technisch ein funktionierendes Gesetz auszuarbeiten. Der ideologische Furor, im Verein mit Inkompetenz, ist nicht zu übersehen. Und ebenso wenig die zunehmend negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft und das tägliche Leben der Menschen.
    Die Situation ist nicht mit der Intensität des Endstadiums der DDR vergleichbar, aber im Prinzip sind durchaus starke Ähnlichkeiten sichtbar: Realität und Propaganda klaffen extrem weit auseinander. Wer sich bei Corona, bei der Energiewende und bei der Wirtschaftspolitik erkennbar verrannt hat, dem wird man auf Dauer auch nicht mehr glauben, dass alles Böse von Rechts kommt oder dass das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht.

    • Das Beispiel "Schockbilder" und Rauchen hinkt, weil sich schnell eine körperliche Abhängigkeit von Tabak entwickelt. Nikotin greift direkt in den Stoffwechsel des Gehirns ein und bei Rauchen handelt es sich folglich um eine Sucht.

  • Gutes Beispiel für die verheerenden Folgen von Panik ist die Katastrophe am Kitzsteinhorn. Die Passagiere der Bahn rannten nach oben und erstickten. Wer nach unten rannte überlebte. Oder anders ausgedrückt: wer selbst nachdachte, wählte die Überlebenschance. Selbst denken wird unseren Bürgern gerade abgewöhnt. U.a. auch von völlig untauglichen oder bösartigen Führern!

    • Kein gutes Beispiel. Da der Brand im unteren Teil der Bahn ausbrach, ist der Überlebensinstinkt "weg vom Brandherd und Rauch". Die zwölf Überlebenden konnten nach unten flüchten, weil diese im unteren Bereich der Bahn zufällig Fenster aufbekamen und den sichersten Weg, vom Brandherd also von der Bahn weg, wählten. Die Flucht der anderen Fahrgäste durch die Bahn vor dem ausbreitenden Feuer verlief bahnaufwärts, also nach vorn (großer Teil erstickte bereits in der Bahn). Dass man nach Ausstieg aus der Bahn nicht zurück in Feuer und Rauch reinläuft, ist menschlich (wer weiss, wieviel Zeit die Flüchtenden überhaupt noch hatten). Auch wenn die (vernunftbegabte) Physik es in einem Tunnel verbietet, bei Brand und Rauch nach oben zu laufen (Rauch steigt auf, Kamineffekt), musste eine Entscheidung getroffen werden. Ob es die falsche Entscheidung war oder die einzige Möglichkeit blieb, wissen wir Außenstehenden aus sicherer Entfernung nicht. Zudem kann man unzureichende Sicherheitsmassnahmen bzw. nichtgenehmigte Heizlüfter nicht als Fehler der Bahnreisenden anlasten, indem man diesen "Selbst Denken" abspricht.

  • Der von der Firma mit dem veganen Namen "Ponywurst Productions" erschaffene und u.a. von dem berühmten Philosophen Atze Schröder co-produzierte Untergangsfilm kommt daher wie eine Mischung aus "Shaka Zulu" (1986) und "Mainz bleibt Mainz" nach einem katastrophalen Alkoholexzess. Vor allem die KI-Oma erinnert mich an den "Great Chief Witch Doctor" und seine Orakel. Bei Leuten wie Kölbl oder Bude läuft es mir kalt den Rücken runter. Hier wäre "Empfänger verzogen" eine wünschenswerte Botschaft, wenn wieder neuerliche Bosheiten aus dieser Richtung an die Zielgruppe der Adressaten der Angst gehustet werden. Das Ambiente bei Doomsday-Granny und ihrer Enkelin, das vielleicht vom Immobilienmanagement von Leerdammer entworfern wurde, bildet im Prinzip schon ab, dass es sich einfach um großen Käse handelt. Anscheinend stinkt er aber noch nicht genug, auch wenn nach Ende der Maskenpflicht der Geruchsinn wieder besser funktionieren sollte...

  • In D gibt es Millionen bullshit jobber , die müssen immer mal auf sich aufmerksam machen. Wir werden es nicht mehr ändern können, ich hoffe auf den Zusammenbruch Schlands.

  • Wie immer ein exzellenter Artikel von Alexander Wendt, der allgemeine Pflichtlektüre werden sollte. Man könnte viel zur täglichen Furcht-Berieselung sagen, aber hier würde man Eulen nach Athen tragen. Ich möchte nur auf zwei Dinge aufmerksam machen: Neuerdings werden in modernen "Smart-Devices" (Smartphones, Tablets, Amazon-Echos, etc.) ungefragt Warnmeldungen auf den Bildschirm gedrückt (per "push"-Technologie). So warnt zum Beispiel unser Echo jetzt immer, ob der Deutsche Wetterdienst Sturm, Windböen, Gewitter, Frost oder was auch immer für alarmierend hält. Zum zweiten denke man auch an die sog. Warn-Apps.

  • Oben im Artikel ist die Rede von der Warnung vor einem „UV-Index-Wert von bis zu 6“ im April. Bei derartigen Warnungen findet sich möglicherweise noch ein anderer Hintergrund: Zumindest in Österreich sind in den letzten Monaten etliche Artikel erschienen, die in irgend einer Weise vor Garten-Arbeit warnen. Es gibt ja viele Leute, die in ihrem Garten etwas Gemüse anbauen (Radieschen, Kohlrabi, vielleicht auch Kartoffeln), die vielleicht sogar ein paar Kaninchen halten oder auch Hühner. Ja, und diese Leute müssen offenbar vor der überaus gefährlichen Garten-Arbeit gewarnt werden. Bspw. wird empfohlen, unbedingt eine Gesichts-Maske zu tragen, gerade auch wegen der frischen Luft im Garten. Der Hintergrund für derartige Gängelei scheint zu sein, dass Leute mit Gemüse oder Kleinvieh im Garten so ein wenig unabhängig von der städtischen Lebensmittel-Versorgung sind. Diese Versorgung wird ja gerade umgestellt auf Insekten, mRNA-Produkte und sonstige neuartige Ware (z. B. Labor-Fleisch). Und da wäre es natürlich sehr unpassend, wenn einige Leute dieses Zeug gar nicht essen, sondern stattdessen natürliche Lebensmittel aus ihrem eigenen Garten. How dare you!

    • Sehr geehrter Herr Schmidt,

      ich habe Ihren Kommentar mit großem Interesse gelesen. Schon vor einigen Jahren (ich konnte im Netz leider nichts mehr archiviert finden) gab es Diskussionen um den Betrieb von Heiß-Kompostern in privaten Gärten, meines Wissens nach im Landkreis Sigmaringen (BW). Demnach muss der Rohstoffmangel bei Biogasanlagen ähnliche Dimensionen aufweisen wie der Flächenmangel für industriellen Wind und Solar.