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Comical Annegret

Szenen der Merkel-Schmelze

Am frühen Morgen des 14. Juni war die obere Etage des Kanzleramtsamts noch erleuchtet, in der Angela Merkel, Horst Seehofer und als Vermittler Volker Bouffier zusammensaßen.

Das Ergebnis stand da schon einigermaßen fest: Horst Seehofer, dem der Aufstand gegen Merkel am Dienstag den Rückzug abgeschnitten hatte, bleibt bei seiner Forderung, künftig Migranten an der Grenze zurückzuweisen, wenn sie schon in einem anderen EU-Land registriert wurden, oder wenn sie vorher in Deutschland abgewiesen worden waren.

Wenige Stunden vorher hatte sich die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer im heute-journal geäußert. Das Interview dürfte Historikern einmal als Schlüsseldokument der Merkel-Kernschmelze dienen.

Gleich am Anfang entschlüpft der Saarländerin ein Freud’scher Versprecher:

„Die Parteivorsitzende hat in der Fraktion gesagt, dass sie eine entsprechende Lösung sucht auch gemeinsam mit der CDU,  – äh, CSU.“

Damit traf sie unfreiwillig den Punkt. Denn in der Fraktionssitzung am Dienstag hatte sich ein Dutzend Abgeordnete zu Wort gemeldet, zwei neutral, alle anderen gegen Merkel, keine zu ihren Gunsten. Und fast alle Wortmeldungen stammten von CDU-Abgeordneten. Die CSU-Parlamentarier hielten sich zurück – sie stehen sowieso hinter Seehofer und gegen die Kanzlerin. Dutzende Hauptstadtjournalisten eilten gestern und heute an die Tastaturen und Mikros, um dem Publikum einzureden, es ginge um eine Auseinandersetzung zwischen CDU- und CSU-Abgeordneten in der Unionsfraktion. Und auch Kramp-Karrenbauer versucht, diesen Spin zu liefern. Tatsächlich – und das war ihr herausgerutscht – steht Merkel gegen die Mehrheit in der gesamten Unionsfraktion. Gegen die Mehrheit der deutschen Wähler steht sie sowieso: die wünschen sich eine Zurückweisungen von Migranten, die ohnehin keine Chance auf Asyl haben, oder schon abgelehnt wurden.

Als nächstes behauptet die CDU-Generalsekretärin über die Sitzung vom Dienstag:

„Wir haben in der Fraktion nicht wirklich Argumente ausgetauscht, in der Sache diskutiert.“

Was glatt gelogen ist. Mehrere Abgeordnete argumentierten ausführlich, etwa die sächsische CDU-Frau Veronika Bellmann:  Sie sagte, wenn Migranten, die schon in anderen Ländern über EURODAC registriert worden seien oder sogar schon in Deutschland ausgewiesen seien und dann zurückkämen, nicht abgewiesen würden, dann werde „der Rechtsstaat vorgeführt“, und daraus erwachse ein weiterer Vertrauensverlust. Andere argumentierten ähnlich. Merkel versuchte wieder, mit der Phrase von der „europäischen Lösung“ gegenzuhalten. „Es gab aber Null Resonanz“, so ein Teilnehmer der Sitzung.

Argumente gab es also durchaus. Nur: Merkel hatte keine.

Auf die Frage von Slomka, wie es denn sein könnte, dass Frankreich an seinen Grenzen sehr wohl Migranten abweist (85 000 seit dem Amtsbeginn von Macron), sagte Karrenbauer:

„Frankreich macht das auf Grundlage eines bilateralen Abkommens mit Frankreich…Äh, Italien.“

Richtig ist: Frankreich würde auch ohne Italiens Zustimmung zurückweisen. Und hatte Merkel nicht vor kurzem noch behauptet, Zurückweisungen von Migranten wären generell unmöglich, weil sie gegen europäisches Recht verstoßen würden?

Kramp-Karrenbauer erzählte weiter, derartige bilaterale Abkommen könnten „die europäische Lösung sein“. Warum hat sich Merkel dann bisher nie um ein solches Abkommen mit Österreich bemüht? Sebastian Kurz hatte gestern in Berlin deutlich gemacht, dass er dafür offen wäre. Und noch einmal: ebenso wie Frankreich braucht Deutschland sowieso kein Abkommen mit einem anderen Land, um eigenes Recht an den eigenen Grenzen anzuwenden.

Hier schwenken wir zur Argumentation eines anderen Merkelianers ab, nämlich Armin Laschet. Der NRW-Ministerpräsident behauptet, wenn Deutschland anfangen würde, Migranten zurückzuweisen, die schon in anderen EU-Ländern im EURODAC-System registriert wurden, dann würde Italien eben die Registrierung einstellen, „und wir hätten erst Recht eine Flüchtlingswelle“. Noch einmal langsam: Jedes EU-Land ist verpflichtet, ankommende Asylbewerber bei EURODAC zu registrieren, eben zu dem Zweck, dass gleich an der Grenze eines nächsten Landes anhand des Fingerabdrucks überprüft werden kann, ob der Migrant schon irgendwo einen Antrag auf Asyl gestellt hat. Er unterstellt der italienischen Regierung („das sind unerfahrene Politiker und Populisten”) also ohne jeden Beleg, sie seien Betrüger, die sich an keine Abmachungen halten würde. Um dann im Chor mit Merkel und Kramp-Karrenbauer zu fordern, mit eben dieser Regierung müsste Deutschland ein Abkommen schließen, um das an seiner Grenze tun zu dürfen, was es ohnehin schon darf.

Es ist nicht ohne Witz zu sehen, wie die letzten Getreuen im Argumentationssumpf stecken. Versuchen sie, ein Bein herauszuziehen, sinkt das andere um so tiefer ein. Und je stärker sie zappeln, desto tiefer sinken sie insgesamt.

Heute sagte Merkel noch einmal vor den Mikrofonen, es dürfe „keine unabgestimmten nationalen Alleingänge“ geben. Sie, für die seit 2015, ja seit der Energiewende 2011 der unabgestimmte nationale Alleingang das politische Mittel schlechthin ist. Und auch das autokratische Fuhrwerken am Parlament vorbei.

Jetzt, im Juni 2018, so Comical Annegret, sei die „Chance vor der Tür“, endlich die „europäische Lösung“ für das Problem zu finden, das Merkel im September 2015 eigenhändig angerichtet hatte. Merkel heute vor den CDU-Abgeordneten, von denen sich viele schon wieder beschwatzen ließen: „Geben Sie mir zwei Wochen.“

Wann auch immer es so weit ist: ihr Ende wird völlig würdelos sein.

 

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (21)

  • Die CDUler haben nach Kramp-Karrenbauer in der Fraktion weder Argumente ausgetauscht noch in der Sache diskutiert. Aber es wird berichtet, es habe eine Diskussion gegeben. Folglich wird in der CDU argumentfrei und ohne Sachbezug diskutiert. Das glaubt man gern, bei diesem Personal!

  • Kramp-K. erinnert mich in ihrer unverbrüchlichen Moralität sehr an Egon Krenz, V. Kauder hingegen an Erich Mielke, was den Grad der Anständigkeit angeht. Bei Angela M. bin ich mir nicht sicher, der Eindruck ist schwankend: Hilde Benjamin, Pippi Langstrumpf, Oskar Matzerath oder Dr. Mengele?? (alles nur Spaßsatire)

  • Wie auch immer das Ende dieser unsäglichen Person aussehen wird, ein Gerichtssaal wird darin nicht vorkommen.

  • Ich finde es traurig und schrecklich zugleich, daß ein Mensch dermaßen nicht bemerkt, nicht bemerken will, daß seine Zeit im Amt abgelaufen ist. Ehrlich einzugestehen, daß man mit seinem Latein am Ende ist, wäre am besten gewesen. Dann hätte Merkel meinen Respekt und ich vermute nicht ohne Grund, nicht nur den meinen. Aber jetzt ist es zu spät. Sie hat den richtigen Zeitpunkt versäumt. In einer solchen Situation kann ich nicht über sie schimpfen. Über keinen könnte ich es. Und es tut mir nicht einmal leid, daß ich das nicht kann.
    lg
    Alma Ruth

    • Ich denke, außer Politik bleibt ihr nichts.

      Und meiner Meinung nach hat sie eine Aufgabe, die sie noch abarbeiten muss - wahrscheinlich nur um sich zu schützen. Ich denke jemand hat sie in der Hand und zieht die Strippen an dieser Marionette.
      Wenn sie unser ganzes Land bzw. sogar die EU - samt jenen, die "noch nicht so lange hier sind" - in den Abgrund schicken muss, um ihre Haut zu retten, dann tut diese Person das. Ohne mit der Wimper zu zucken.

  • Merkel sagt seit September 2015 immer das Gleiche, und alle haben nach jedem ihrer Sätze immer applaudiert, bis zu 11 Minuten lang. Merkel sagt immer noch das Gleiche, aber jetzt lehnen sich mutige Renegaten gegen ihr eigenes Klatschen auf.

  • Ich sehne das Ende herbei und werde ein Fläschchen Sekt entkorken, wenn die Bundeskanzlerdarstellerin von der Bühne abtritt. Bis dahin: Feuer, Feuer, Feuer!

    • Also mir ist das eine Magnum Champagner wert. Und dazu werde ich Freunde einladen - übrigens alles Akademiker und Unternehmer - wir werden feiern, dass wir diese Kompetenzsimulantin endlich los sind.

  • Frau Merkel und Frau Slomka haben sich mit einer neuen Steigerung ihrer Verbundenheit geoutet -- sie waren im Twin Look gekleidet. Gerne hätte ich ein Bild der beiden nebeneinander in ihren völlig gleichgeschnittenen, türkisfarbenen Sakkos und weißen T-Shirts – aber das ist natürlich nicht das einzige, was hier außer Kontrolle geraten ist.
    Bei der Auseinandersetzung zwischen Merkel und Seehofer habe ich ein flaues Gefühl. Beide erzeugen eine Stimmung, die Deutschland erzittern und die Größe und Bedeutung der umstrittenen Punkte vielleicht überschätzen lässt. Migranten zurückzuweisen, die ohnehin keine Chance auf Asyl haben oder schon abgelehnt wurden, kann wohl nur ein erster von vielen weiteren Schritten in die richtige Richtung sein.

    • Volle Zustimmung zu Ihrem letzten Satz! An dem UN-Migrationspakt, der derzeit ausformuliert wird und der für Europa die Übersiedelung von 50-70 Millionen Armutsmigranten vorwiegend aus Asien und Afrika vorsieht, deren Aufnahme PFLICHT sein wird, ändert Seehofers geplante Zurückweisung abgewiesener oder bereits anderweitig registrierter Flüchtlingsinvasoren so wie nichts! Zudem arbeitet derzeit auch die EU an Plänen zur Aufnahme von Flüchtlingen, welche die bisherigen EU-Gesetze dahingehend abändern, daß (so Merkel) das, was bisher Unrecht war, künftig Recht sein wird. Genau darauf wartet Merkel, daß diese EU-Gesetze zum allgemein geltenden Recht für alle europäischen Staaten werden. Dann kann sie ihre bisherige Linie ohne Abstriche weiter zulasten Deutschlands durchziehen.

      • Das ist ihr Plan, aber ich sehe die Einigkeit Europas dahinschwinden und die UNO wird durch den Geldentzug Amerikas geschwächt. Das ist meine Hoffnung und hoffentlich Merkels Untergang.

  • Die Frau ist der perfekte Büchsenspanner für Madame M.
    Und dafür hat Merkel sie sich ja auch an ihre Seite geholt. Diese Personalentscheidung war für mich ein Hinweis, dass Frau Merkel anfängt, sich Ihre Wagenburg zu bauen. Sie muss doch geahnt haben, dass ihr die nächsten vier Jahre ein sehr rauer Wind ins Gesicht blasen wird. Nicht nur außenpolitisch gesehen. Trotz aller Bemühungen von Staatsfu.... Entschuldigung, natürlich den Fernsehsendern und Printmedien, konnte man schon im Oktober 2017 nicht übersehen, dass große Teile der deutschen Bevölkerung anfangen zu murren. Klar, kann man bei Demonstrationen in Hamburg, Kandel, Berlin und anderen Städten mit Hilfe von Gewerkschaften, Grünen, Linken, Antifa, Schulen und Hausfrauenvereinen "Gegendemonstranten" rankarren, die mit hastig verteilten Winkelementen und Postern laut die bösen Rechten niederbrüllen. Oder in Berlin am Sonntagmittag sämtliche Clubs schließen lassen und eine Art kleine Love Parade veranstalten um tausende junger Feierpeople als mutige Gegendemonstanten zu präsentieren! Den aufmerksamen Beobachter wird dieses nicht mehr täuschen! Diese Methoden kenne ich übrigens noch aus meiner Jugend in der DDR. Aber ich fürchte trotzdem, dass wie im Herbst nach den Wahlen, sich alles wieder hübsch einrenken wird für Frau Teflon. Es muss erst noch viel schlimmer kommen, damit es endlich richtig kracht! Anders scheint es bei uns im Land nicht zu funktionieren. Hoffentlich bald, vielleicht aber auch erst in drei, vier oder zehn Jahren.

  • Die deutsche "Regierung" einschließlich von Teilen der sie im Parlamente tragenden Parteien bieten ein Bild, das schlimmer nicht sein könnte. Erwiesenermaßen ist die geradezu katastrophale Entwicklung in Europa seit 2015 auf einsame "Entscheidungen" einer einzelnen selbstgerechten und selbstgewissen, aber unbelehrbar-beratungsresistenten Person zurückzuführen, die das Grundgesetz nebst "übrigem" nationalem Recht nicht achtet, willfährige Helfershelfer in den Parteien und indoktrinierte Gefolgsleute im Staatsvolk hat sowie glaubt, im Namen eines nebulösen "Europa" handeln zu können. Wer, frage ich, kann das alles noch ernst
    nehmen? Und was mich umtreibt: Die Frage, wer eigentlich hinter dieser geradezu selbstzerstörerischen deutschen Politik steckt, die offensichtlich darauf ausgerichtet ist, "Schaden" eben nicht vom deutschen Volke abzuwenden sondern im Gegenteil größtmöglich anzurichten.
    Wo ist die "alte" Bundesrepublik geblieben, die bei allen Problemen, die sie hatte, ein Vorbild für die im Osten des Kontinents entstandenen Vorfeld-"Staaten" der Sowjetunion war (wenigstens für die unverschuldet unter die Fuchtel der Lenin-Stalin-Epigonen geratenen Volksmassen)? Wer hat ein Interesse, dieses Land als Zahlmeister Europas zu installieren und es damit gleichzeitig zu ruinieren?
    Als ehemals Ostdeutscher, nicht gerade widerständisch gegen die DDR-Hierarchien und auch angepasst, habe ich, auch wenn es für meine Familie schwer wurde, jene "Wende" vor nun fast 30 Jahren überstanden und mich auf und über ein einiges Deutschland und eine Demokratie gefreut. Aber, wie ich schon oben schrieb, nicht erst seit 2015, seit geraumer Zeit schon, kann ich den Zuständen in Gesellschaft und Politik nichts mehr abgewinnen. Man tendiert hierzulande zur "gelenkten" Demokratie. Verleumdungen, Falschinformationen, Rechtsbruch machen sich breit. Wann, frage ich, wird man wegen solcher Leser-Kommentare belangt werden? Ich schätze mal, das wird nicht mehr lange hin sein...

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