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Königskind in einer kleinen Medienstadt

Wie geht es weiter mit Claas Relotius? Thilo Schneider traf den Schreiber, der in Herzen und Hirnen rührte

Wenn Claas Relotius sein Büro im 13. Stock des SPIEGEL-Gebäudes an der noblen Hamburger Ericus-Spitze 3 verlässt, dann summt er meistens ein Lied. Nichts deutsches, denn Deutsch-Sein, das war noch nie sein Ding. Er mag die frühen Stones, aber am heutigen Tag geht ihm ironischerweise „My Way“ von Paul Anka durch den Kopf. Ein Lied, das gerne auch auf Beerdigungen gespielt wird.

Relotius umklammert die kleine Notebooktasche, als wäre sie sein größter Schatz. Er grüßt auf seinem Weg nach draußen die Angestellten, die Praktikanten, die angehenden Möchtegernjournalisten, die er in seinem Innersten verachtet, ja, verachten muss, denn diese sind für ihre Artikel auf Recherche angewiesen. Wir treffen uns an diesem verschneiten Mittwoch, an diesem für Hamburg mit 23 Grad ungewöhnlich warmen Tag bei Rudolph´s, nur wenige Schritte von seinem bisherigen Arbeitsplatz entfernt. Relotius wirkt äußerlich ruhig, höflich, fast autistisch, als er den Mantel abnimmt und an der Garderobe aufhängt, bevor er sich zu mir an den Tisch setzt. „Es ist kalt in Deutschland“, sagt er und reibt sich die frostwarmen Hände, bis seine Fingerknöchel weiß werden. Er bestellt sich eine glutenfreie Pizza, weil sie die im Rudolph´s servieren, er verträgt seit seinem letzten Einsatz als Kriegsberichterstatter in Afghanistan nichts anderes mehr. „Eine 10-Zentner-Luftmine in der Nähe von Abu Dhabi“, sagt er knapp, als ich ihn frage, wo er sich seine Glutenunverträglichkeit zugezogen hat. Er sagt, er habe Glück gehabt. Die beiden Flüchtlingskinder Hans und Grete, die ihn begleitet haben, haben die Explosion nicht überlebt. Und dabei deutet er mit den Händen die Größe der Kinder an und holt tief Luft.

Aber wir sind heute aus einem anderen Grund hier. Relotius galt als ein journalistisches Idol seiner Generation, der für seine Artikel Auszeichnung um Auszeichnung bekam. Den Deutschen Reporterpreis für die beste Reportage, das Bundesverdienstkreuz für seinen außergewöhnlichen Einsatz für schwedische Flüchtlinge, das Ritterkreuz mit Kuli und Bleistift, die Claudia-Roth-Gedenkmünze für besonders aufdringliche Empathie und das Goldene Blatt für die am besten ausgedachte Skandalgeschichte über das englische Königshaus. Auszeichnungen, die in dieser Masse selbst alte Kollegen und Kolleginnen nicht ihr eigen nennen können. Und dann das. Der tiefe Fall. Der Sturz aus dem Olymp der deutschen Betroffenheitsmagazine auf den weichen Teppichboden des Rudolph´s. Der Realität. Relotius nimmt einen Schluck von seinem Whisky Soda ohne Wasser. Er wirkt immer noch paralysiert von den Ereignissen der letzten Stunden.

„Ich verstehe es nicht“, sagt er tonlos. „Ich habe immer mein Bestes gegeben. Ein Journalist muss sich immer mit einer Sache gemein machen, auch mit einer guten“, erklärt er. So habe er es gelernt, so habe er es praktiziert, schließlich gehe es in erster Linie darum, Haltung zu zeigen. Relotius kommt aus einer Bergarbeiterfamilie in Ostfriesland. Schon sein Großvater, aber auch sein Vater haben unter dem Tag malocht und abends dann gearbeitet. Zitronen zuerst gefaltet und dann damit gehandelt. Stundenlang. Das prägt. „Du sollst es einmal besser haben als ich“, hat ihm seine verwitwete Mutter immer wieder gesagt. Früh ist er Waise geworden. Sein Vater, ein überzeugter früher Grüner, wurde nach seiner Geschlechtsumwandlung von einem Rechtsabbieger mit einer Dampfwalze überfahren. „Da waren alle platt“, erzählt er mit einem Anflug eines Lächelns. Aber sein Lächeln erreicht nicht seine Augen. Das Ereignis hat ihn geprägt.

„Ich aber wusste, ich will Reporter werden“, sagt Relotius. Er will fortan gegen Rechts kämpfen. Mit allen legalen und fast allen illegalen Mitteln, die seine Profession kennt. Er studiert Islamophobie, Stepptanz, Politik- und Kulturwissenschaft in Bremen und Valencia. In Bremen schließt er mit der Bestnote „Ganz phantastisch“ ab. Die Kantine auf dem Bremer Kampus heißt bis heute „Claas-Room“. Sie werden den Namen nun ändern.

Ja, Relotius hat gelogen. Hat sich seine Reportagen erfunden, erträumt, ergänzt, weggelassen, hinzugefügt, umformuliert, gefeilt, abgeschrieben, zusammengeklaubt – aber ist es nicht gerade das, was einen guten Geschichtenerzähler ausmacht? Das Ausschmücken, die Pointe, die Moral? Kann, ja muss sich Relotius hier für eine Handlungsweise Vorwürfe machen lassen, die wir andererseits an Ikonen wie Karl May, den Gebrüdern Grimm, Münchhausen und Andrea Nahles schätzen? Relotius weiß es nicht. Er sieht ein, einen Fehler gemacht zu haben, wenn Haltung denn ein Fehler ist, aber er versteht nicht, warum ihn das Spiegel-Magazin für seine Methode tadelt, wenn doch die Springer-Presse und die ganzen anderen konservativen Magazine und Zeitungen sich der gleichen Methoden bedienen. Darum geht es doch. Es geht um Waffengleichheit. Um Fairness. Um Moral. Und um Ethik. Was spielt es da für eine Rolle, dass er nie wirklich auf der Bismarck war, als sie vor Gibraltar venezuelanische Flüchtlinge aus Seenot rettete? Warum soll es wichtig sein, dass er gar nicht anwesend war, als Kim Jong Un mit Donald Trump Blutsbrüderschaft geschlossen hat? Es geht doch um die Aussage, nicht um die Geschichte an sich.

Wir haben beide unsere Pizza gegessen. Relotius hält seine Hände auf der Tischplatte vor sich derart fest geschlossen, dass die Knöchel weiß hervortreten. Rudolf Augstein gab dem Spiegel das Motto „Sagen, was ist“. Er hat es für sich interpretiert. Als „,Fühlen, wie es sein sollte“. Er hat für eine bessere Welt gekämpft. Eine Welt ohne Kriege, ohne Krisen, ohne AfD, aber mit viel Liebe. Dafür hat er geschrieben, dafür hat er seine Karriere riskiert. Geerntet hat er Undank und Tadel. Relotius steht auf, ich zahle die Rechnung. Umgerechnet 80 Mark haben wir verfressen. Es wird für lange seine letzte glutenfreie Pizza sein. Er bedankt sich mit leiser, tonloser Stimme. Dann nimmt er seinen Mantel und geht. Und beim Hinausgehen summt er ein Lied.

 


Thilo Schneider, geboren 20.09.66, lebt, liebt und leidet in Aschaffenburg. Je nach Gemütszustand ist er Finanzmakler, Autor, Kabarettist und für die kommunale FDP engagiert. Unabhängig davon betreibt er den Blog „Politticker“ auf Facebook und www.thiloswunderbarewelt.blogspot.com

Redaktion:

Kommentare anzeigen (30)

  • Gekonnt ist gekonnt, Herr Schneider, Sie haben gekonnt eine Story erfunden, äh, gefunden, bzw., geschildert, die im Stile des Spiegel-Fälschers daherkommt. Unnütze Nebensächlichkeiten werden ausführlich geschildert, damit die sog. Atmosphäre eingefangen wird. Nichts davon kann der Leser überprüfen, obwohl es sich um eine (reale) Reportage gehandelt haben soll. Vertrauen ist hier ALLES.

    So hat er, der Spiegel-Fälscher, gearbeitet und dazu noch immer eine steife linke Prise,äh, Brise, und schon war der Tatsachenbericht, Story genannt, fertig. Allerdings müssen wir jetzt wohl ein Auge auf Sie werfen, Herr Schneider, von wegen authentisch - oder heisst das jetzt autistisch??? Aber das wäre ja dann wohl Spiegelfechterei...

  • Feinsinnig, böse, gut. Trotzdem stilistisch problematisch, weil erst gegen Mitte des Textes der satirische Charakter zum Vorschein tritt, und daran ändert auch die Karl-May-Bebilderung nichts. Müsste deutlicher gemacht werden.

    • "Wir treffen uns an diesem verschneiten Mittwoch, an diesem für Hamburg mit 23 Grad ungewöhnlich warmen Tag..." - an dieser Stelle könnte man anfangen, den Text mißtrauisch zu beäugen, aber man kann auch erst später damit anfangen, oder auch gar nicht, xd.

      • Ich hab's noch weiter oben verstanden bei "und simmt ein Lied".

        Denn jedes Mal ab so einer Textzeil Relotius' fing immer das Erhabene an!

        • Tatsächlich - vor zwanzig Jahren habe ich aufgehört, Zeit zu lesen, vor zehn Jahren Spiegel, vor vier Jahren FAZ - so war mir der Harry-Potter-Name Relotius bis jetzt vollkommen unbekannt.

    • Sie haben offenbar noch keinen ' echten Relotius' gelesen, sonst wäre Ihnen sein schmieriger Hedwig-Courths- Mahler-Stil, vortrefflich von Herrn Schneider kopiert, bereits im ersten Satz ins Auge gesprungen.

  • Geniale story! Davon wuerde ich gerne im fernen Australien mehr lesen. Den deutschen Niedergang kann man nur mithilfe von Satire ertragen.

  • Dieser 23. Dezember wird mein Leben verändern. Es ist ein nebliger, grauer Wintertag. Ich wache auf, schaue aus dem Fenster, und sehe die Silouetten von Bäumen wie schwarze Skelette in den Himmel ragen. Der Tau der Nacht tropft von ihren Zweigen, wie die noch ungeweinten Tränen all derer, die ihre Heimat noch verlassen müssen, um in Deutschland Zuflucht zu finden. Der von deutschen Dieselfahrern verursachte Klimawandel zwingt sie dazu. Halb noch schlafend, halb wachend, lese ich die Reportage von Thilo Schneider. Tränen der Rührung rollen meine Wangen hinab, ob des ungerechten Schicksals, das dem Relotius zuteil wird. 'My way'- summend beschließe ich, mein Leben zukünftig dem Kampf gegen Rechts zu widmen ..

  • Ich finde den Artikel nicht im mindestens informativ geschweige denn amüsant. Wenn man nichts wirklich wichtiges zu sagen hat, ist es besser seine Klappe zu halten.
    Darüber hinaus ist es weit unter Niveau, sich direkt oder indirekt über Personen lustig zu machen, die unter einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) leiden. Personen mit einer Zöliakie wird je nach Sitz des Versorgungsamtes ein Grad der Behinderung von mindestens 20 zugebilligt, somit gelten sie als Behinderte. Witze über Behinderte finde ich weder lustig noch sind wert zu publizieren!

    • Über echte Glutenunverträglichkeit sollte man sich tatsächlich nicht lustig machen.

      Wohl aber über die vielen eingebildeten Gluten-Nichtvertragenden, die nur glutenfrei essen, weil sie ja so einen sensiblen Verdauungstrakt haben oder weil es irgendwie modern ist, besondere Bedürfnisse anzumelden, und wenn es nur die Ernährung ist.

      DIE sind es nämlich, die mit ihrer eingebildeten Gluten-Sensibilität am Leiden echter Zöliakie-Patienten schmarotzen.

    • Richtig, Edith. Und auch keine Witze über sogenannte Gesunde. Die sind nur nichtig untersucht worden.

    • Mit einem Grad der Behinderung von 20, weil unter 50 ist man nicht schwerbehindert. Also heißt es „Schwerbehindertenwitze“. Wenn schon die Betroffenheitsnummer, dann bitteschön richtig!

    • Mensch Edith, Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wenn man keinen hat, gibt' s dann auch einen Behinderungsgrad oder gar mehrere? Guten Rutsch!

    • Liebe Edith. Man kann darüber streiten, ob Menschen wie Claas Relotius behindert sind. Aber ich glaube, das trifft hier nicht das Thema. Es geht um Haltung. Und da müssen Sie doch zugestehen, dass moralisch hochstehende Menschen (ich benutze ausdrücklich nicht den heute von Ewig Gestrigen als Schimpfwort benutzten Ausdruck "Gutmenschen") wie Relügius empfindsamer sind als hartmäulige Rechte. Sehen Sie doch den hohen Anteil an Vegetariern unter Linken!
      Der Linke liebt eben Tiere und Flüchtlinge (oder in anderer Reihenfolge), jedenfalls hat er einen empfindlichen Magen. Deshalb ja auch sein Hass auf Tatsachen.
      Haltung zeigen! So (oder so ähnlich) hieß ja auch eines der letzten Bücher von Günter Grass. Und der kannte sich mit Haltung aus. In seiner Jugend war der ja in einer Institution, in der es bei Schlappheit auch hieß: "Mann! Nehm' Se ma' Haltung an!" - Verstehe nur nicht, warum er diese Bildungseinrichtung so lange verleugnet hat. Passte doch zu ihm. Während unser empfindsamer, kreativer Claas damals eher im Propagandaministerium Karriere gemacht hätte. Aber heute vergrault Deutschland eben seine Talente.

  • Köstlich, Herr Schneider, ganz köstlich! Beim Lesen sind mir selbst die Knöchel ganz weiß hervorgetreten, an beiden Händen und am rechten Fuß. Ich werde Ihre Artikel auf der Achse jetzt doch wieder dann und wann probieren, denn Ansichten können sich ändern, und auch wenn nicht, dann sind sie eben unterschiedlich. Eine unadventliche Bemerkung erlaube ich mir vor dem Schluß: Nämlich daß der gemeine AfD-Kritiker das Programm der Partei nicht zu kennen scheint... Was irgendwie schade ist, auch weil so viel Mühe drin steckt. Der Sturm hat den Schnee im mittleren Schwarzwald verblasen. Ihnen und allen Menschen guten Willens in Aschaffenburg und anderswo frohe Weihnachten!

  • Wie schon Medienmogul Jacob Augstone immer so schön sagte: Si non è vero, è ben trovato. Faktencheck ist bourgeoises Kleinklein.

  • Neckisch, diese Geschichte. Was mir unfair erscheint: Ein Foto von Karl May in seiner (wenn auch selbstgewählten/selbstbehaupteten) Rolle als "Old Shatterhand" als Entré. Dieser Mann hat mit seinen Geschichten jenen, die diese Welt damals nicht selbst bereisen konnten, doch eine Welt eröffnet und er hat (wenn auch angelesenes, aber immerhin) Wissen vermittelt, das er aus der Auswertung von tatsächlichen Reiseberichten bekannter Autoren entnehmen konnte (Gerstäcker, Brehm, Emin Pascha, Pückler-Muskau, Moltke, Nachtigal, Presseberichte über Gordon und Khartum - soll hier genügen). Er war ein begnadeter Kompilator und dazu Fantast; für seine Behauptungen hat er mehr als gebüßt, deswegen hat er auch noch heute seine Leser, selbst danach.
    Das kann man nun von Relotius überhaupt nicht behaupten: Der hat nach dem "political-correctness-Mainstream" geschrieben, was er sich aus den Fingern gesogen hat, unbeschwert von Fakten (und seien sie auch abgeschrieben), nur getragen von gewissenlosem Hochmut. Er wird zu recht vergessen werden. Und das ist noch das Beste, was ihm passieren kann.