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„Die Linken haben nichts gelernt“

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp und der CDU-Politiker Arnold Vaatz trafen sich in Dresden zum öffentlichen Gespräch über 70 Jahre DDR, Meinungsverengung und AfD. Es wurde kein Abend der Kontroverse, sondern der Annäherung

Von Dirk Schwarzenberg

Zwei Dresdner auf kleinstem Raum: Am Montagabend nach dem Europawahl-Sonntag zwängten sich der Autor Uwe Tellkamp, 50, („Der Turm”) und der Vize-Unionsfraktionschef Arnold Vaatz, 63, hinter ihre Mikrofone im Veranstaltungsraum des Buchhauses Loschwitz am Blauen Wunder. Sie mussten sich deshalb mit so wenig Platz begnügen, weil die Inhaberin des Buchhauses Susanne Dagen die Stuhlreihen schon so dicht wie möglich gestellt hatte, um möglichst viele Besucher unterzubringen.

Die Veranstaltung war seit Wochen ausverkauft.


Seit seiner Diskussion im Dresdner Kulturpalast mit dem Dichter Durs Grünbein, also seit März 2018 trat Uwe Tellkamp kaum noch öffentlich auf. Er hatte sich selbst den Rückzug verordnet, nachdem er damals für seine Kritik an der herrschenden Migrationspolitik massiv angegriffen worden war – und auch für seine Feststellung, der „Meinungskorridor“ in Deutschland sei enger geworden. Der Suhrkamp-Verlag, bei dem Tellkamps erfolgreiche Bücher erschienen waren, distanzierte sich damals von seinem Autor, und bestätigte damit Tellkamps Diagnose.

Jetzt also fand sich Tellkamp zum öffentlichen Zwiegespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Bundestagsfraktion Arnold Vaatz ein. Etwas Außenseiterisches haftet allen an, die den Diskussionsabend in Loschwitz möglich machten. Tellkamp gilt, jedenfalls weithin im bundesdeutschen Feuilleton, als ein mit großer Distanz zu behandelnder rechter Autor. Vaatz, der zu DDR-Zeiten wegen seiner Weigerung, NVA-Reservistendienst zu leisten, im Gefängnis saß, gehört zwar zur Führung der Unionsfraktion, aber dort auch zu den völlig isolierten Kritikern des Parteikurses. Und über die Buchhaus-Leiterin, die mehrfach vom Börsenverein ausgezeichnete Susanne Dagen, meinte kürzlich ein Dresdner Kulturaktivist, sie würde am „rechten Rand“ zündeln. Dazu noch das Thema des Abends, „70 Jahre DDR“ –  in dieser Konstellation lag eine Spannung, vor allem von außen betrachtet. In Dresden selbst gehören Veranstaltungen dieser Art mittlerweile zum intellektuellen Stadtklima.

„Siebzig Jahre DDR“, stellte Arnold Vaatz fest, „das ist erst einmal rechnerisch richtig.“ Aus seiner Sicht aber eben nicht nur rechnerisch. Wenn er gefragt werde, wann es wieder Bundestagswahlen gebe, meinte der Politiker, dann antworte er mittlerweile: „Vielleicht dauert die Legislaturperiode demnächst acht Jahre.“ Falls führende Politiker feststellten, das sei eben zum Kampf  für das Gute gegen das Böse und zum Zweck der Weltrettung nötig, dann würde ihn das auch nicht mehr wundern. Natürlich deutet Vaatz die Bundesrepublik des Jahres 2019 nicht als runderneuerte DDR. Aber er hält den Berliner Politikbetrieb wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für einen mittlerweile „sich aus sich selbst generierenden Apparat“, dessen Vertreter beim Thema Energiewende wie in der Klima- und Migrationsdebatte kaum noch abweichende Meinungen ertrügen. Deshalb, so Vaatz, gehe er schon seit längerem in keine Talkshow mehr: Dort säßen regelmäßig einem Vertreter dieser abweichenden Ansichten fünf Gäste mit nahezu identischen Meinungen des Guten und Richtigen gegenüber. „Und es geht den ganzen Abend nur um die eine Frage an den einen: Warum ketzern Sie?“

Damit war das Thema des Abends gesetzt: das Debattenklima in Deutschland. Vaatz wie Tellkamp halten es für bedrückend, wie fast jedes größere Thema in ein schlichtes Gut-Böse-Schema gedrückt werde. Das blieb auch Rhythmus der Veranstaltung über zwei Stunden lang. Tellkamp fragte eher, seine Redepassagen fielen kürzer aus, zielten aber in eine ähnliche Richtung. Es sei eine „steile Behauptung“, sagte der Autor, ständig von außen zu unterstellen, Sachsen sei isoliert mit seinem Wahlergebnis, vor allem der starken AfD, wenn man sich anschaue, „wie der Rest Europas gewählt hat“. Er diagnostizierte eine Kampfrhetorik der meisten Medien gegen die AfD. Statt zu fragen‚ ‘wo hat die AfD recht?’, und dann ihre Argumente für plausibel zu halten oder ihnen zu widersprechen, sei der Ton in den etablierten Medien von vorn herein hysterisch. Warum, wollte Tellkamp von Vaatz wissen, grenze sich dessen CDU von der AfD so kategorisch ab? Die CDU sei nun einmal seine Partei, er habe die Hoffnung, dass sich die Diskussionslage dort auch wieder ändere, antwortete Vaatz. In den letzten 15 Jahren sei er zwar mit keinem seiner Themen durchgedrungen, weder mit seiner Kritik an der Energiewende, der Euro-Rettungspolitik noch der Migrationspraxis. Aber: „Trotzdem verrate ich meine Familie nicht.“

Mit Pegida verbinde ihn, den Dresdner, nichts, etliche Parolen dort seien ihm fremd. Aber er sehe auch, dass viele Dresdner und Sachsen die schlecht integrierten Einwanderer und die sozialen Spannungen in vielen westdeutschen Großstädten wahrnehmen würden. „Wenn sie sagen: ‚ich will diese Verhältnisse hier nicht, dann halte ich das nicht für ein kritikwürdiges Verhalten.“

Im Gespräch der beiden zeigten sich Differenzen zwischen dem Berufspolitiker und dem parteilosen Autor, aber keine Kontroverse. Darauf war der Abend in Loschwitz auch nicht angelegt. Erstens kennen und schätzen beide einander. Auch Vaatz und Tellkamps Vater, der sich in der Dresdner CDU engagiert, sind gute Bekannte. Eher tasteten sie sich beide an dem Thema „70 Jahre DDR” entlang, um für sich die Frage zu beantworten, wie es kommt, dass sich 30 Jahre nach dem Mauerfall Journalisten wieder für ihre „Haltung“ loben, wie vom politisch-medialen Hauptstrom abweichende Meinungen skandalisiert würden und, die DDR heute von vielen wieder so weich gezeichnet werde, wie es viele westdeutsche Journalisten schon vor 1989 getan hätten. Vaatz erinnerte an die berühmte Reise des ZEIT-Chefredakteurs Theo Sommer 1986 in den SED-Staat.
Der Hamburger fand damals, in der Endzeit des Staates: „Vor allem wirkt das Land bunter, seine Menschen sind fröhlicher geworden“, lobte die wirtschaftliche Dynamik („der Wohnungsbau ist Erich Honeckers ureigenstes Anliegen“). Und fand überhaupt, dass Erich Honecker von den DDR-Insassen „fast so etwas wie stille Verehrung“ entgegengebracht würde. Die westliche Linke, so Vaatz, sei damals in einem „riesigen kollektiven Irrtum“ befangen gewesen, der Zusammenbruch der DDR sei die größte Niederlage der Linken inklusive vieler Medien gewesen. Sie seien damals, „gedemütigt von der Realität“, zwar tief erschüttert gewesen, hätten aber nicht gelernt: „Sie sind heute wieder zu gleichen Fehlurteilen in der Lage.“ In diesem Rückblick auf die gar nicht so entfernte Geschichte spricht sich Vaatz dann doch ziemlich eindeutig für einen anderen Umgang mit der AfD aus. Deren „ständige Verteufelung“ sei absurd, sie habe anders als di SED keine Verbrechen behangen, „die hat keine Menschen eingesperrt, wie es die SED damals getan hat unter dem Beifall der westlichen Linken“.

Vaatz will zur Bundestagswahl 2021 nicht wieder kandidieren. Uwe Tellkamp schreibt gerade an der Fortsetzung seines „Turm“. Am 1. September wählen die Sachsen ein neues Parlament, möglicherweise führt das Ergebnis zur Erschütterung der politischen Landschaft. Trotz der politischen Spannung leistet sich gerade Dresden eine Gelassenheit in der Debatte, die im Westen – dort, wo sich das Juste Milieu gern für Vielfalt lobt – kaum oder viel schwächer existiert. Vor Kurzem diskutierte die Buchhändlerin Susanne Dagen im Lingerschloss in Dresden mit eben jenem Kulturaktivisten, der ihr vorgeworfen hatte, sie würde „am rechten Rand zündeln“. Der Abend verlief kontrovers, aber zivilisiert. In diese Stadtatmosphäre passen auch Vaatz und Tellkamp. Hier an der Elbe gehören sie nicht zu den Außenseitern.

„Einen Aufbruch wie 1989“, sagte Uwe Tellkamp zum Schluss, „können wir gern noch einmal erleben.“
Es liegt tatsächlich ein bisschen von dem Geist wie vor 30 Jahren über der dem Elbtal: Bürger kritisieren, polemisieren, denken vor Publikum nach.

Und immer weniger Leute halten das für einen Skandal.

 


Eine Videoaufzeichnung der Veranstaltung wird Publico in den nächsten Tagen online stellen.

 

 

Redaktion:

Kommentare anzeigen (19)

  • Nur ein Blinder sieht nicht, nur ein Tauber hört nicht, daß es in D keine Diskussionskultur mehr gibt. Wie auch, wenn ein jeder, der eine andere Meinung hat als das Mainstream, gleich in die rechte Ecke - radikal bis Extremist, noch schlimmer Nazi - gestellt wird? Als ob die politisch Linke alle Weisheit der Welt für sich gepachtet hätte. Noch dazu in aller Ewigkeit.
    Ich finde diese Einbildung, diese Hochstapelei im höchsten Maß dumm und gefährlich.
    Auch dann, wenn sie in dem einen oder anderen recht haben sollten, was durchaus wahrscheinlich ist. Die Welt ist so kompliziert, komplex, so vielsichtig geworden, daß auch wenn man alle Ideologien, Philosophien, Religionen, Soziologien, Anthropologien etc.vermischen würde, würde diese Mischung keine Lösung für "alle" Probleme bringen. Das ist prinzipiell unmöglich.
    Nun, warum sollte die politisch Linke etwas lernen? Sie wissen ja eh alles.
    lg
    caruso

  • Herzlichen Dank für Ihre engagierte Seite, die ich immer gerne mal aufsuche. Und Dank für den guten Tipp: ein weiterer Grund, bald wieder in die schöne Dresdner Gegend zu fahren, ist definitiv das Buchhaus Loschwitz von Frau Dagen. An solchen Orten ist gut einkaufen, ich freu mich schon drauf. Mindestens ein Buch von Ihnen, Herr Wendt, wird auch darunter sein, von Suhrkamp eher keines. Beste Grüße und Glückauf!

  • Liebe Leser!
    Es gibt eine, sozusagen wissenschaftlich fundierte, Ursache, warum der Marxismus nichts außer Unheil stiftet; und zwar handelt es sich dabei um die Methodik, mit welcher alles Leben auf der Welt sich entwickelt hat, also die Evolution.
    Die Marxisten meinen nämlich, sich mit aller Brutalgewalt gegen die Evolutionsmethodik stemmen zu sollen - sie werden damit mit absoluter Sicherheit scheitern, denn die Evolutionsmethodik rottet zuverlässig jeglichen Unsinn aus - allerdings kann dieser Prozess lange dauern, und je länger er dauert, desto größer der Schaden, den die verblendeten Marxisten anrichten. Je früher den Menschen diese Zusammenhänge klar werden, desto eher werden sie bereit sein, die marxistische Irrlehre am Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen.

    • Ich habe leider auch noch keine Antwort darauf gefunden, ob es sich nur um Dummheit, Naivität, Ignoranz oder doch vieleicht wieder um erstarkendenden Größenwahn handelt, wenn mit zunehmender Verbortheit versucht wird gegen Naturgesetzmäßigkeiten, gesinnungsethische Hirngespinnste durchzuprügeln ?
      Der Markt reagiert jedoch in jedem Fall früher oder später den Naturgesetzen entsprechend, es bleibt uns nur ihn naturgesetzkonform positiv oder negativ zu beeinflussen, der realexistierende Sozialismus hat noch nie nachhaltige positive Rahmenbedingungen hervorgebracht, aber manche wollen es eben nicht wahrhaben, andere sind eben unbelehrbar , und einige profitieren sogar davon .

  • Ich, als geborener Ossi, der Anfang 91 in den "Westen" ausgewandert ist, empfinde Trauer, wenn ich das politische Klima hier betrachte. Grade in der Mittelschicht, in welcher ich mich bewege, will niemand mehr Meinungsvielfalt. Kritik wird kaum ertragen. Gewählt wird straff grün und links. Und als ich mal äußerte, dass ich keinesfalls Links wählen werde, womit Grüne und SPD mittlerweile auch tabu sind, da wurde ich erstaunt gefragt: "Aber warum denn nicht? Du kommst doch aus dem Osten! Du musst das doch verstehen!" Meine Antwort "Genau darum!" wurde mit ungläubigem Kopfschütteln wahrgenommen.
    Grundsätzlich wird es hier rauer. Ich als alleinstehende Frau in den mittleren Jahren bewege mich nachts nicht mehr so ungezwungen im öffentlichen Raum. Vor einiger Zeit reifte der Entschluss in mir, mit Eintritt ins Rentenalter wieder in die alte Heimat zu ziehen. Denn ich bin ein Arbeitstier und an meinem Job hänge ich wirklich sehr. Ich möchte ihn ungern aufgeben. Seit der Europawahl ertappe ich mich dabei, über einen baldigeren Umzug nachzudenken, dann werde ich einen Arbeitgeber finden müssen, der meine langjährige Erfahrung zu schätzen weiß. Denn Toleranz und Verständnis sind im Osten noch öfter anzutreffen. Mal abgesehen davon, dass es dort ruhiger und ungefährlicher ist. Junge Menschen mögen das öde finden. Ich hingegen werde wohl alt, denn mir erscheint es von Jahr zu Jahr verlockender!

  • Statt Kommentar: Selbstverständlich haben die Linken gelernt, die Geschichte der DDR-STASI-Justiz und deren Exekutive zu verfälschen. Besonders in Puncto Repression im Strafvollzug der DDR haben sie die ganze Arbeit geleistet. Es gibt KEIN Forschungsprojekt, das sich damit auseinandersetzt nach 30 Jahren ? https://adamlauks.com/2019/05/23/ddr-_stasi-justiz-aufarbeitung-als-staatsraeson-humboldt-uni-und-die-fu-berlin-feigheit-vor-der-wahrheit-der-weisung-aus-der-politik-folgend/

  • Oh, wie würde ich mir einmal ein solch mutiges Verhalten im ach so fortschrittlichen Westen wünschen!
    Stattdessen hier nur neo-sozialistisches, grau-in-graues Kriechertum - aber bunt überkleckert. So waren wir immer hier zwischen Rhein und Elbe. Wir kriechen und schleimen selbst zur Fassenacht und nennen das dann närrische Ausgelassenheit.

  • Als gebürtiger Radebeuler liebe ich Dresden und seine Bewohner. Die gebeutelte Heimatstadt meiner Mutter war zu keinem Zeitpunkt "links", sondern hatte sich selbst zu Zeiten der "DDR" sein Bürgertum bewahrt; nach heutiger Lesart "räächts". Es ging zum Essen und Tanzen mit Schlips und Kragen, auf das Benehmen der Kinder wurde größter Wert gelegt. Bis, ja bis "Linke" anfingen "kulturell" die Stadt zu "erobern". Das in der heutigen Zeit die "Organe" der Nationalen Front aus CDUSPDLINKEGRÜNE das Bürgertum derart bekämpfen verwundert mich nicht. Die FDP will ich hier ausdrücklich mal ausnehmen; Dresden war gern liberal und würde dies auch noch sein, wäre da nicht der Zwang, sich gegen die Verleumdung durch die linken Blockparteien wehren zu müssen. Die AfD, Sammelbecken der enttäuschten Konservativen aus CDU- und FDP-Wählern, ist die derzeit einzige Alternative für einen selbständig denkenden Menschen. Was die" 70 Jahre DDR" angeht stimme ich zu. Sagte mir ein Geschäftspartner aus Hannover: "wir haben euch besiegt", antwortete ich: "und wer regiert euch"? Leider wird es kein neuerliches 1989 geben; diese Keimlegung einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Stasioperation wird es zumindest aus dieser Quelle nicht mehr geben. Ich fürchte, wir werden eher Zustände wie Anfang 1930 erleben, mit Straßenkämpfen zwischen den linken Arbeiterparteien; nur daß es heute nicht mehr die Arbeiter sein werden, sondern ungebildete Linksutopisten, welche gleich mal noch, aufgeputscht gegen das Wetter, pardon das Klima und dessen Leugner, kämpfen. Heutige Allmachtsphantasien gipfeln darin, eine "gerechte" globale Weltordnung zu errichten und dabei auch mal eben für ein dementsprechendes "Klima" zu sorgen; quasi ebenfalls gerecht weil überall gleich. Diesem ganzen Irrsinn gilt es entgegenzutreten; die Dresdner machen mir Mut. Kultivierter Gedankenaustausch und einander zuhören statt zu verleumden und mit Gewalt die "richtige" politische Lehre zu verbreiten. Das gab es in den vielen nationalsozialistischen Diktaturen mit der Folge von Millionen Toten und unbeschreiblichem Leid schon zu oft. Wer Globalisierung will wird diese Zustände wiederholen. Dem gilt es entgegenzutreten.

  • Ehrlich gesagt habe ich mit den Personen Vaatz und Tellkamp nicht viel am Hut. Seit der Diskussion Tellkamps mit Grünbein und seiner anschließenden "Abwertung" als "politisches Lebewesen" bin ich allerdings inhaltlich völlig auf seiner Seite. Es ist nachgerade eine Schande, wie man die höchst berechtigten und höchst aktuellen von Tellkamp und Dagen aufgeworfenen bzw. angesprochenen Probleme vermittels links-grüner ideologischer Propaganda (von "Agit-Prop kann man ja nicht reden, Agitation bräuchte doch ARGUMENTE, und die hat man NICHT wirklich) denunzieren und abtun will.
    Mir fällt es schwer, mich derart ausdrücken zu müssen: Ich komme von ursprünglich linken Positionen, habe aber im Laufe meines 72jährigen Lebens lernen müssen, dass man diese Positionen argumentativ höchst missbräuchlig verwenden kann. Genau das erlebe ich in einer Bundesrepublik nun, deren Demokratie für mich schon vor der Wende beispielgebend war. Seit dem Ende Kohls als Kanzler sehe ich ein "Downsizing" der demokratischen "Atmosphäre" in diesem Land, das atemberaubend ist: Mit den letzten Jahren des "Oggersheimers" begann dieser teils klandestine, teils offene Abstieg in die Niederungen einer Art "Gesinnungsdiktatur", die von einer selbstvergessenen Linken, die sich nur etablieren wollte, statt für soziale Ziele einzutreten, auch noch gewollt oder ungewollt unterstützt wurde und wird. Die CDU und damit Herr Vaatz sind aber auch ein gerüttelt Maß Schuld an der Situation; dass dieser Mann nun jammert, ist unehrlich, denn zu seinen wirksamsten Zeiten hat er "Meinungsfreiheit" auch vehement bekämpft und "Ehemaligen" (Anhängern und Mitgliedern der SED, die weiß Gott nicht alle verbohrt waren) keine Chance geben wollen. Er steht deswegen im Aus bei seiner Partei, weil die sich nun derart in den Wind des Zeitgeistes drehte, dass sie linkes (und grünes) Gedankengut mit dem geistlosen Blick auf weitere Wählerschaftszahlen integriert hat. Wenn Vaatz nun halbherzige Unterstützung Tellkamps mimt, dann deswegen, weil er ein Abservieren jetzt nicht mehr befürchten muss. Für wenig wirksame Arbeit als Abgeordneter hat er nun sein Schäfchen im Trockenen. Viel mehr ist das Engagement von Frau Dagen zu loben; sie muss um ihre bürgerliche Existenz fürchten, wenn sich weiterhin Schreiberlinge derart rufschädigend und an Tatsachen vorbei äußern.
    Die "berühmte" Behauptung", die "Abgehängten" im "Osten" hätten "Angst" vor den "bunten" Verhältnissen gilt es, immer und immer zu widerlegen: Es ist ein gerechtfertigter Widerwille dagegen, dass sich im Laufe der Zeit hier Verhältnisse wie in einigen westlicher gelegenen Bundesländern einstellen! Da spielen irgendwelche Prozentzahlen keine Rolle! Und für die Apologeten des "Multikulti" und des "Kampfes gegen rechts" gilt immer noch: "Wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing'!". Von dort her weht auch der wohlfeile Wind dieser "Kämpfer".

  • Durch Zufall bin ich auf diesen interessanten Artikel gestoßen. Arnold Vaatz habe ich auf einer CSU-Veranstaltung nach der Wende als Gastredner erlebt, ich war damals 50 Jahre alt. Die Zuhörerschaft war sich einig, dieser junge Mann lässt sich nicht verbiegen. Diese Einschätzung hat sich bis heute als richtig erwiesen. Nach der Wende hat die CSU viele ehem. DDR-Bürger zu Veranstaltungen eingeladen, um sich über die Lebensverhältnisse in der DDR authentisch zu informieren. Die Union war noch nah am Menschen, was heute nicht mehr gesagt werden kann.
    Ebenfalls eher zufällig lese ich gerade Uwe Tellkamps "Turm", inzwischen auf Seite 570 angekommen, nachdem ich die Medienkampagne gegen ihn verfolgt habe. "Der Turm" ist ein Meisterwerk der deutschen Gegenwartsliteratur. Beeindruckend formuliert, bedrückend, spannungsgeladen, humorvoll, düster im Wechsel geschrieben. Ich bin 1940 in Westdeutschland geboren und aufgewachsen, war politisch und gewerkschaftlich engagiert. Seit 2015 ist festzustellen, dass der Meinungs- und Diskussionskorridor zunehmend verengt wir. Noch nie seit Bestehen der BRD war die Meinungsfreiheit so gefährdet, wie zum jetzigen Zeitpunkt. Die politische und mainstream-mediale Ansprache erschöpft sich im "Turm" der Akteure im Moralisieren, Ideologisieren und Rattenfängerisieren. Der Bürger wird mit seinen Problemen allein gelassen. Es tut gut zu wissen, dass es noch Bürger wie Arnold Vaatz und Uwe Tellkamp gibt, die für unsere Freiheit eintreten und kämpfen.