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Obdachlose Literatur

In Dresden kündigte ein Verein kurzfristig die Räume für eine schon zugesagte Lesung Uwe Tellkamps aus dessen noch unveröffentlichtem Roman. Begründung: Das Buch gefährde die „Neutralität“ des Vereins

Am 9. Januar sollte Uwe Tellkamp eigentlich aus seinem neuen, noch unveröffentlichten Roman im Dresdner Lingnerschloss lesen. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Zeitschrift „Tumult“. Das literarische Ereignis wird nicht stattfinden, jedenfalls nicht am 9. Januar und nicht am vorgesehenen Ort.

Sechs Tage vorher erhielt Tumult-Herausgeber Frank Böckelmann ein Schreiben von den stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins Lingerschloss mit der Kündigung des am 20. Dezember 2019 zugesagten Raums. Bemerkenswert fällt die Begründung aus. „Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass die von Ihnen beabsichtigte Vortragsreihe in unseren Räumen nicht stattfinden kann“, so der Verein: „Nach unserer Überzeugung und dem Neutralitätsgebot des Fördervereins Lingnerschloss ist Ihre beabsichtigte Vortragsreihe für unsere Einrichtung nicht geeignet.“

Es mute „merkwürdig an, dass belletristische Werke unter ein ‚Neutralitätsgebot’ fallen könnten“, kommentierte Böckelmann die plötzliche Kündigung.
Bei Tellkamp handelt es sich um einen der bekanntesten deutschen Gegenwartsautoren; für einen Auszug aus seinem späteren Roman „Der Turm“ erhielt er den Bachmann-Preis, für den bei Suhrkamp erschienen Roman den Deutschen Buchpreis. Als er 2018 in einem öffentlichen Streitgespräch mit dem Autor Durs Grünbein die Migrationspolitik der Bundesregierung kritisierte, wurde Tellkamp zwar mit Etiketten wie ‚umstritten’ und ‚rechts’ versehen. Besonders auf sein Wort von „Gesinnungskorridoren“, die sich in Deutschland verengen, reagierten etliche Journalisten mit Erregung und Ablehnung. Meist versahen sie den Begriff „Gesinnungskorridor“ mit dem Zusatz „angeblich“. Sein Verlag distanzierte sich nach der Diskussionsveranstaltung mit Grünbein von Tellkamp. Aber eine schon geplante Lesung des Autors war bisher noch nicht verhindert worden.

In seinem Schreiben erklärte der Lingnerschloss-Verein nicht, in welcher Weise der noch unveröffentlichte neue Roman Tellkamps – eine Fortsetzung des Turms – seine Neutralität gefährde, und wie er sich eine vereinskonforme Neutralität von Literatur vorstellt. Merkwürdig scheint auch, dass seinen Mitgliedern diese Gefährdung erst sechs Tage vor der Lesung auffiel.

Mit der Absage durch den Lingnerschloss-Verein gegenüber Tumult findet auch eine zweite geplante Veranstaltung nicht statt: Am 13. Februar wollte der Althistoriker Egon Flaig dort aus seinem neuen Buch „Was nottut. Plädoyer für einen aufgeklärten Konservatismus“ lesen.
Einen Ersatz für die gekündigten Räume gibt es bisher noch nicht.

Tellkamps Roman „Der Turm“ erzählt von einer bildungsbürgerlichen Insel in der DDR, die im Stadtviertel Weißer Hirsch dem Druck von außen widersteht. Das Buch trägt den Untertitel „Geschichte aus einem versunkenen Land“. Es handelt von Figuren in einem Staat kurz vor dessen Zusammenbruch, gleichzeitig ist „Der Turm“ ein Dresden-Roman, eine Art historisches Panorama der Stadt.
Die Fortsetzung dieser Heimatliteratur wird jetzt, wie es aussieht, in Dresden obdachlos.

„Was soll man sagen?“, kommentierte Tellkamp den Vorgang: „Es gibt keine Gesinnungskorridore. Nur enge Wände.“

Erscheinen soll der neue Roman des Autors im Herbst 2020. „Davon gehe ich aus“, sagte Tellkamp im August 2019 in einem Interview mit dem Magazin Tichys Einblick.

Demnächst wird sich also jeder Interessierte ein Bild machen können – so oder so.

 

 

 

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Kommentare anzeigen (22)

  • Eine große Sauerei, eine noch größere Dummheit, allergrößte Engstirnigkeit... einzeln oder alle zusammen... wie soll ich das Verhalten des Lingnerschloß- Vereins nennen?
    Furchtbar, was in diesem Land läuft! Wie tief wird dieses Land noch sinken? Wird es von dort wieder auftauchen können, gesunden? Ich hoffe es aus tiefster Seele (dabei bin ich keine Deutsche), zugleich habe ich große Zweifel. Wie froh wäre ich, würde es sich herausstellen, daß die Zweifel unnötig waren!
    lg
    caruso

    • Lieber Caruso, wie soll man das Verhalten des Lingnerschloß-Vereins nennen? Ich kann es Ihnen sagen: Furcht ist das, einfach Furcht vor den Konsequenzen, vielleicht, ich spekuliere jetzt, noch zusätzlich verstärkt durch eine direkte Andeutung entsprechender Kreise, dass eventuelle Fördermittel für die weitere Restaurierung des Gebäudes gestrichen werden.
      Soweit sind wir hier schon lange. Und der Korridor wird immer enger, weil viele derjenigen, die mit diesen Dingen von der Vortragsreihe bis zur Vermietung der Räume dafür und von der Ausreichung der Fördermittel bis zur Prüfung politischen zeitgemäßen Wohlverhaltens selbst in der Angst leben müssen, es irgendwelchen anderen, übergeordneten Großkopfeten nicht recht zu machen.
      Auf nach 2020, in die "Schöne neue Welt" politischer Korrektheit: Sie wird wachsen und gedeihen und mit ihr Angst um die Existenz in einem zunehmend politisch verrohenden Land, nicht nur in einem verzweifelt im Kampf gegen Rechts stehenden Sachsen (kann Spuren von Ironie enthalten).
      Freundliche Grüße und ein erfolgreiches neues Jahr allen Lesern.

  • Im Bereich des realen Sozialismus (Achtung! DIeser ist nicht untergegangen. Im Gegenteil, er expandiert derzeit weltweit) gab es Samisdat, Untergrundkirche.

    Wir sind auf dem Weg dorthin. Die Wände sind gefährdet, denn der Korridor ist versperrt. Demnächst also Lesung unter freiem Himmel. Warum nicht?

  • Aber gerade wenn man “neutral” ist, kann man doch alle Seiten zu Wort kommen lassen. In englisch hört sich das noch deutlicher an : „Get a chance to speak“. Aber der Verein meint wahrscheinlich mit neutral sein, dass man keiner Meinung eine Plattform bietet, also nur eine Nichtmeinung zulassen kann. Eine regierungskritische geht da schon garnicht. Da fällt mir noch ein Lied ein „Die Partei (Regierung), die Partei (Regierung), die hat immer recht.....“

  • Auf quälend ironische Weise wiederholt das neue Deutschland den Roman "Der Turm" auf einer Metaebene: nur eine winzige Minderheit, Turmbewohner eben, kümmert das, was in Deutschland seit Jahren passiert. Was mit Tellkamp und anderen geschieht, zieht unbemerkt am Fernsehglotzer vorbei.

  • Wie weit ist es in Deutschland schon gekommen?? Schriftsteller werden diskreditiert und ausgeschlossen, weil sie nicht die linksideologische Staatsdoktrin vertreten. Wie lange wird es noch dauern, bis deren Bücher verboten bzw. verbrannt werden. Hinterher will es wieder keiner gewesen sein und niemand hat irgendetwas gewußt. Man sieht den Niedergang ja auch bei allen ÖR-Sendeanstalten.

  • In Tübingen wachen die (Schlagenden) Verbindungen auch über den entsprechenden Geist ihrer Villen, Schlösser usw. und lassen nicht jeden dort irgendetwas machen. So scließt sich der Kreis der "engen Korridore" in den Hirnen der (eingetragenen) Vereine, die mit Stuergeldern generös gefördert werden.

  • Sooo sieht also Neutralität bei den Bessermenschen aus. Alles klar. Überzeugter Irrsinn kennt wirklich keine Grenze. Ganz besonders bei der Ausgrenzeritis gegenüber Leuten, die noch selbst zu denken wagen und tatsächlich etwas zu sagen hätten.

  • Wenn der von teutonischen Idioten ausgegrenzt wird, dann ist das eine Empfehlung! Bin gespannt zu erfahren, wann und wo der Roman zu kaufen sein wird.

  • Auch dieser Zensurversuch wird den linken "Aktivisten" auf die eigenen Füsse fallen, denn dank der Internet-Medien kann nichts mehr unterdrückt werden.

    Und einen Verleger wird Tellkamp auch für sein neues Buch finden, auch wenn es wohl nicht der früher renommierte Rowohlt ist.

  • "Wenn du gegen den Strom schwimmst, merkst du erst mal, wie viel Dreck dir da entgegenkommt" - Uwe Steimle