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Riskieren wir das Unmögliche, riskieren wir ein Gespräch

Anmerkungen zu unverzeihlichen Runden, verbaler Rüstung und der Inflation der Nazis im besten Deutschland, das wir je hatten

Es wäre ein Experiment mit wirklich offenem Ausgang, wenn ich eine Auswahl meiner Gesprächspartner der vergangenen fünf Jahre in einem Raum zusammenbringen würde.

Über mangelnde Vielfalt bräuchte niemand zu klagen. Vor ein paar Jahren war ich Gast auf einer Veranstaltung in Berlin, zu der ein jüdischer Journalist eingeladen hatte. In der Runde saßen unter anderem Götz Kubitschek, der Rechtsaußen-Gottseibeiuns von Deutschland, daneben ein liberaler amerikanischer Sachbuchautor, ein Spiegel-Redakteur und noch mehrere andere Personen mit jeweils sehr unterschiedlichen Ansichten, Temperamenten, Religionen und Geburtsorten. Gregor Gysi stand auch auf der Gästeliste, war aber nicht gekommen. Aber es ging auch ohne ihn sehr divers zu. Zivil ebenfalls. Als wirklich schlecht ist mir nur der Service an der Hotelbar in Erinnerung geblieben. Aus heutiger Sicht fand der Abend zu Friedenszeiten statt. Ich weiß nicht, ob diese Soirée heute noch möglich wäre. Vermutlich fällt sie heute nach quasiamtlichem Urteil unter die Rubrik unverzeihlich. Rückgängig machen lässt sie sich allerdings nicht.

Was mich betrifft: Ich spreche nach wie vor mit sehr unterschiedlichen Leuten, also Leuten, deren Ansichten sich von meinen nicht nur graduell unterscheiden. Nicht immer verläuft die Zusammenkunft zu meiner oder deren Freude. Ich finde es trotzdem sehr viel angenehmer, als nur mit Menschen meiner Meinung zu diskutieren. Meine Ansichten kenne ich ja schon. Eigentlich bitte ich im sozialen Umgang nur darum, nicht gelangweilt zu werden. Ich möchte nicht, dass es mir geht wie Charles-Maurice de Talleyrand, von dem es heißt, er sei bei der Lektüre einer gegen ihn gerichteten Polemik eingeschlafen. Zu den vielen, mit denen ich über Facebook verbunden bin, gehört auch der Stern-Kolumnist Micky Beisenherz. Wir teilen sehr viele Ansichten nicht. Einige doch. Ab und an schicken wir elektronische Zettelchen hin und her. An ihm gefällt mir sein Witz, der in seinen Texten nicht durchgehend, aber öfter aufscheint. Außerdem scheint er nicht allergisch gegen Meinungen zu sein, die er nicht teilt.

Micky Beisenherz schrieb im Stern nach der Wahl in Hamburg einen Text über die AfD, Hanau und das, was er „das verbale Wettrüsten“ in der Gesellschaft nennt. Dabei beschäftigt er sich vor allem mit dem Brief der AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Jörg Meuthen an die Mitglieder, in denen beide Politiker zurückweisen, dass ihre Partei mit den zehn Morden in Hanau in Verbindung gebracht wird, sich und die Mitglieder aber auch fragen, was sie an Rhetorik und Auftreten ändern sollten, um eine Grenze zum Rechtsextremismus zu ziehen. Dazu schreibt Micky Beisenherz:

„Eine Ehrenurkunde im Dummstellen möchte man hier AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla verleihen, der in einer öffentlichen Zerknirschungssimulation befand: ‚Wir als #AfD müssen uns fragen, warum wir mit #Hanau in Verbindung gebracht werden.’ Na, sowas! ‚Auch wenn’s schwerfällt. Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt gegen Deutschland und gegen die AfD.’ Wäre dies auch nur im Ansatz ernst gemeint, hätte die Partei einen heftigeren Exodus als brandenburgische Dörfer. Von Meuthen über Brandner bis Weidel wären sie alle weg. Das Gerede von ‚Kopftuchmädchen, Burkas und alimentierten Messermännern’ und dem ‚Entsorgen in Anatolien’. Sowas kommt von sowas.“

Die Stelle im Originaltext lautet übrigens etwas anders; nach „auch wenn’s schwer fällt“ folgt noch eine längere Passage. Deshalb das Stück hier im Kontext:

„Allerdings müssen wir uns auch fragen, warum es unserem politischen Gegnern gelingt, uns überhaupt mit solch einem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Dieser Frage müssen wir uns stellen, auch wenn es schwerfällt.
Unsere Partei steht programmatisch fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Wir bekennen uns zum Völkerrecht und erheben die Würde des Menschen zur Maxime unserer Politik. So steht es im Parteiprogramm. Und genau aus diesem Grund hat sich die AfD formiert: weil wir unsere eigenen Grund- und Menschenrechte bedroht sehen.
Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass wir anderen Menschen oder Völkern das Existenzrecht absprechen, oder sie abschätzig behandeln. Derartige Sichtweisen lehnen wir im Gegenteil strikt ab. Sie gehören nicht zu den guten deutschen Traditionen, die wir bewahren wollen. Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt ehrlos und unanständig und damit gegen Deutschland und gegen die AfD.“

Weiter, nun wieder in Mickys Stern-Kolumne:

„Schon seit langem Beobachten wir ein verbales Wettrüsten. Einen Ton, der mittlerweile so drastisch ist, dass eine Gewalttat fast zwingend logisch wie die nächste Stufe scheint, um sich ‚nach oben hin’ irgendwie absetzen zu können. Und das geht selbstverständlich mittelbar mit auf das Konto derer, die das gesellschaftliche Klima verändern ‚und sich unser Land zurückholen’ wollen. Der Täter von Hanau hat nach allem, was wir wissen, alleine gehandelt. Das kann dennoch nicht in Abrede stellen, dass wir seit geraumer Zeit ein massives Problem mit dem Rechtsterrorismus haben, der mit dem Hufeisen davon zu galoppieren droht. Natürlich handelt es sich stets um ‚verwirrte Einzeltäter’, von denen es in Deutschland mittlerweile so viele zu geben scheint, dass sie einen Zentralrat gründen sollten. Halle. Lübcke. Teutonica. Alles Einzeltäter. Zumindest für die AfD. Die ihrerseits natürlich gleichsam nie auf den Gedanken käme, bei einem islamistischen Anschlag ähnliche Schlüsse zu ziehen.“

Aber, kleiner Einschub, andere, lieber Micky, nicht wahr?
In der Kolumne geht es weiter:

„Wenn sich ganze Passagen des ‚Manifestes’ eines rassistischen Psychopathen genauso lesen wie das Buch deines Spitzenmanns Höcke, dann hast du als Partei ein Problem. Selbst der isolierteste, psychisch gestörteste Einzeltäter braucht eine Ideologie, auf deren Boden er seine irren Taten für gerechtfertigt hält.“

Nun stellt sich der Fall des Täters von Hanau mittlerweile etwas komplexer dar als am Anfang. Es ist noch nicht geklärt, ob es sich wirklich um einen Einzeltäter handelte. Die Ermittler führen mittlerweile den Vater des Schützen – ein Politiker, der früher für die Grünen kandidierte – als Beschuldigten. Und welche Passagen genau lesen sich in dem Manifest genau so wie Höckes Texte? Die, in denen Rathjen erklärt, dass ihn der Geheimdienst seit seiner Geburt überwacht? Dass Jürgen Klopp seine Ideen gestohlen hat? In denen es um Zeitreisen und seine Wiedergeburt in einer Parallelwelt geht? In der er Überlegungen dazu anstellt, die Bevölkerung Deutschlands zu halbieren? Ist es ein Rekurs auf Höcke, wenn er sich in seinem Video auf Englisch an alle Amerikaner wendet, um sie über unterirdische Folterzentren aufzuklären?
In Tobias Rathjens Wahnwelt kommen rassistische Auslöschungsfantasien vor, die sich gegen ganze Völker richten, gegen die halbe Menschheit, sie stehen neben Versatzstücken von narzisstischen Größenvorstellungen und Selbsthass. Aber er übernimmt keine komplette Ideologie, von wem auch immer. Die Bruchstücke, aus denen er sein Manifest zusammenleimte, vom Anschlag am 11. September 2001 bis zu Vernichtungsvorstellungen ganzer Völker – diese Bausteine konnte er überall im Internet finden, und er hätte sie dort auch gefunden, wenn die AfD überhaupt nicht existieren würde.

Aber bevor es noch einmal um die AfD gehen soll, um das, was du, Micky, ‘Zerknirschungssimulation’ nennst, soll es um die wichtigste Wendung in deinem Text gehen: ‘verbales Wettrüsten’. Eine Reihe von Sätzen und Begriffen verschiedener AfD-Politiker zählst du auf. Es gibt natürlich noch mehr zu zitieren. Etwa Björn Höckes „wenn einmal die Wendezeit kommt, machen wir Deutschen keine halben Sachen“. Oder die Twitterkommentare aus den Niederungen einzelner Kreis- und Ortsverbände: Unmittelbar nach den Schüssen von Hanau, als viele noch annahmen, es hätte sich um eine Abrechnung im kriminellen Milieu gehandelt, freute sich beispielsweise einer und meinte, es könnte unter Ausländern gar nicht genug Tote geben. Vor allem diese stumpfe Gewaltrhetorik im eigenen Milieu dürften Chrupalla und Meuthen gemeint haben. Und noch das eine oder andere mehr, siehe oben.

Aber der Begriff ‘Wettrüsten’ bedeutet, dass es zwei Seiten gibt, die Aufrüstung betreiben. In deinem Text – und überhaupt in den allermeisten wohlmeinenden Texten zum Meinungsklima in Deutschland – kommt regelmäßig nur eine Seite vor. Die Praxis erinnert bei allen Unterschieden an die Nahost-Berichterstattung der gleichen Medien. Dort bestimmt in bewährter Weise jeder israelische Angriff auf den Gaza-Streifen die Überschrift, die Raketen der Hamas finden in Regel eine Erwähnung weit unten im Text, wenn überhaupt. Oft heißt es dann auch: Raketen aus dem Gaza-Streifen, die Geschosse fliegen also ohne Absender. Lesern beziehungsweise Zuschauern muss es so vorkommen, als würde dort nur eine Seite Krieg führen. Das ist von denjenigen, die so berichten, womöglich auch genau so beabsichtigt.

Wenn immer der Bundespräsident oder ein Kommentator die Verrohung im öffentlichen Sprachgebrauch und vor allem in dem Hauptübel Internet beschreibt und beklagt, dann redet er von einer Seite. Er spricht von den tatsächlichen Rassisten, den Fremdenhassern, denen dann oft sehr großzügig auch alle zugeschlagen werden, die etwas an der deutschen Migrationspolitik und den Political-Correctness-Machtansprüchen auszusetzen haben. Auch in der Stern-Kolumne richtet sich die Kritik gegen die AfD, ihre Wähler und schließlich, am Textende, gegen die Bild-Zeitung. Nur die Formel ‘verbales Wettrüsten’ deutet logisch folgerichtig, aber praktisch folgenlos an, dass in dem Text eigentlich noch etwas anderes vorkommen müsste.

Womit beginnen wir bei der Beschreibung dieses Missing Link? Vielleicht mit Sebastian Pertsch, Autor und Journalist, unter anderem für den NDR und den Tagesspiegel, der 2015 twitterte: „Kann man diese rechten Arschlöcher nicht mal ausbürgern, für ein Jahr nach Mali schicken, zurückholen, in ein Asylheim stecken und anzünden?”.

Das tippte er am 16. Juli 2015. Also noch vor der Migrantenwelle ab September, und zu Zeiten, da die AfD noch um die fünf Prozent pendelte. Am 4. September 2015, beschrieb Sebastian Gierke in der Süddeutschen diejenigen, denen die Idee bedingungslos offener Grenzen für alle nicht einleuchtete:

„Ihr heimatliebenden Zustandsbewahrer, emphatielosen Wüteriche, wunderlichen Nicht-Neger, aufrechten Stehpinkler, verkrampften Gutmenschen-Schlechtfinder. Ihr deutschen Kosten-Nutzen-Denker. Ihr besorgten Patrioten. Ihr IchbinkeinNaziaber-Sager, Ihr IchkenneauchnetteTürken-Kartoffeln, ihr unkorrekten Pegidisten, ihr nationalen Oberlehrer. Es ist 2015. Und ihr kommt aus euren Löchern ans Licht gekrochen.“

Aus den Löchern ans Licht: Die Mitarbeiter der Süddeutschen versahen den Text des empathiestrotzenden Tiervergleichs-Gutfinder übrigens mit der Qualitätsplakette „Lieblingsgeschichte der Redaktion“. Im gleichen Jahr, ein paar Monate später zitierte die Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski aus Internetseiten der guten Nichtzustandsbewahrer:

„Wir lachen auf Facebook, und wir lachen auf Twitter. ‚Wenn man diese Pegida Trottel sieht, fragt man sich wie eine Pisa-Studie der DDR in den 70ern wohl ausgesehen hätte?!’, schreibt jemand. ’Selbst mit dem addierten IQ aller Pegida-Trottel hätte eine Kuh noch Mühe, Ihre Blasenfunktion zu regulieren’, ein anderer.“

In ihrer Kolumne fand sie damals, es sei gefährlich, über diese Trottel zu lachen, sie, die Wohlmeinenden, sollten mit den Trotteln auch – trotz des Kulturgefälles – reden, natürlich nur unter vielen Voraussetzungen. Mittlerweile meint sie auch das nicht mehr.
Andere meinten das noch nie. Beispielsweise Spiegel-Journalist Hasnain Kazim, der kurz nach der Bundestagswahl 2017 – einszweidrei im Sauseschritt / läuft die Zeit, wir laufen mit – folgendes Endurteil über die Bevölkerung eines ganzen Landesteils auf Twitter fällte:

„Höre, ich soll Ostdeutsche ‚ernst nehmen’. Ihr kamt 1990 mit nem Trabi angeknattert und wählt heute AfD – wie soll ich euch ernstnehmen?“

(Das Problem mancher Gutmeiner sind ihre heißesten die Verehrer, das ganz nebenbei: https://www.volksverpetzer.de/social-media/kazim-afd/)

Bei Kazims Verlautbarungen handelt es sich, um Eduard Zimmermann zu bemühen, um keinen Einzelfall. Wird das politisch aussätzige Verhalten auch noch in einer bestimmten geografischen Zone vermutet, in Ostdeutschland, speziell in Sachsen, dann kommen regelmäßig verbale Massenvernichtungswaffen zum Einsatz. Ebenfalls nach der Bundestagswahl 2017 twitterte der Kommunikationsdirektor des Erzbistums Köln Ansgar Meyer:

„Tschechien, wie wär’s: Wir nehmen Euren Atommüll, Ihr nehmt Sachsen?“

 

„Das einzige, was dieses Bundesland noch retten kann, ist eine Koalition aus RAF und Royal Air Force“, meinte wiederum der ZDF-Dienstleister Jan Böhmermann nach der Landtagswahl in Sachsen.

Böhmermanns Satz soll zur Abkürzung stellvertretend für alle Bomber-Harris-Napalm-Wünsche der letzten Jahre speziell für die Bewohner Dresdens und das umliegende Bundesland stehen.

Die Vorstellungen, wie am besten mit Leuten umzugehen wäre, die einfach nicht auf der gleichen Zivilisationsstufe stehen wie man selbst, gehen allerdings weit über die vier Millionen Einwohner eines südöstlichen Teilstaats hinaus. Zeit online, sonst immer sehr besorgt über die Einhaltung der Netiquette („Zuschrift gelöscht. Verzichten Sie auf Pauschalierungen“) veröffentlichte kürzlich diese Lesermail:

Ganz nebenbei, wirklich originell ist der Gedanke nicht, Lager zu errichten, damit sich ‘33 nie wiederholt. Das praktizierten beispielsweise, mit ungefähr dieser Begründung, die sowjetischen Behörden, als sie das KZ Buchenwald nach 1945 als Speziallager Nr. 2 weiterbetrieben.

Dort landeten neben tatsächlichen Nationalsozialisten und willkürlich verhafteten Verdachtsfällen auch Sozialdemokraten und Bürgerliche, die als Gefährder der neuen Ordnung galten. Gesellschaftliche Säuberungen dieser Art bereiteten den Boden für die Gründung des Staates, den Bodo Ramelow bis heute nicht als Unrechtsstaat bezeichnen möchte.

Wie immer, wenn es um die Ausmerzung des Bösen geht, darf sie sich nicht nur auf die identifizierten Bösen konzentrieren, sondern auch auf deren nähere Umgebung. Wie, dazu gibt die Süddeutsche Rat.

Bekanntlich machen wir Deutsche, siehe oben beziehungsweise Björn Höcke, keine halben Sachen.

Wesen, die aus Löchern ans Licht kriechen, auch sonst allerlei Tieranalogien bestätigen, ästhetisch versagen, im falschen Landesteil leben, und, selbst, wenn sie nicht dort leben, jedenfalls falsch denken und wählen, diese Existenzen also zu ächten, klein zu machen und zu strafen, das stärkt und erhebt den Busen der Kleinmacher.

Überhaupt spielen Beherrschungs-, -Bestrafungs- und Auslöschungsfantasien bei den verbalen Aufrüstern der Gutdenk-Seite eine zentrale Rolle, die sich gar nicht so grundsätzlich von den Gedankengängen des Täters von Hanau unterscheiden. Hass & Hetze dieser Sorte findet sich auch nicht vorwiegend im Zuständigkeitsbereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, sondern in Qualitätsmedien, auch in Publikationen von schnellen Hassbrütern wie der Kahane-Stiftung.

Es gibt ein Gedicht von Erich Fried namens „Maßnahmen“, das so literaturkalendergängig und überraschungsfrei ist wie fast alles von diesem Autor. Dort heißt es:

“[…]

Die Feinde werden geschlachtet

Die Welt wird freundlich

Die Bösen werden geschlachtet

Die Welt wird gut”

Erich Fried hätte sich wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass seine uneigentlich gemeinten Verse (der Hinweis ist mittlerweile nötig) heute von einer ganzen Reihe von Leuten, die sich für aufgeklärt, tolerant und urban halten, ernsthaft als gesellschaftspolitische Anregung verstanden werden.

In seinem Buch „Die Wiedergutmacher“ schreibt der Psychologe Raymond Unger, dass Selbstbilder nur dann nicht destruktiv wirken, wenn jemand sie positiv formuliert. Anderenfalls schlägt der Vorsatz unterbewusst ins Gegenteil um. Er zeigt das an einem politisch unverdächtigen Beispiel. Sagt sich jemand, der abnehmen möchte: ‚ich will nicht fett sein’, dann mache das Unterbewusstsein daraus unweigerlich die Programmierung ‚fett sein’. Jemand müsste sich also vornehmen, schlank zu sein, und möglichst schon ein Bild von sich als schlankem Menschen entwerfen. So ähnlich, meint Unger, verhalte es sich auch mit dem zentralen Vorsatz der besseren Deutschen: ‚ich will kein Nazi sein’.

Das klingt auf den ersten Blick spekulativ. Allerdings passen die oben aufgezählten Reinigungs- und Vernichtungsfantasien im Namen des Guten und Wahren exakt zu Ungers These.

Kommen wir also zurück zu der wunderbaren Formel ‘verbale Abrüstung’. Die ist natürlich allemal besser als ihr Gegenteil. Aber sie beschreibt auch nur die Ablehnung eines Zustands. Verbal abzurüsten ergibt für alle Beteiligten nur einen Sinn, wenn etwas folgen soll: das Gespräch. Verschiedene, sehr verschiedene Leute im Gespräch, auch im irgendwie eingehegten Streit – das wäre eine ins Positive gewendete Gesellschaftsvorstellung. Sie hängt davon ab, ob sich dafür genügend Teilnehmer finden. Wer auf der einen Seite des Spektrums meint, ein Einwanderer könnte nie Deutscher werden, der hat nicht viel mit anderen zu besprechen, die das anders sehen. Mit Einwanderern schon gar nicht. Für die Wohlmeinenden auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob sie überhaupt eine entradikalisierte AfD wünschen. Oder ob ihnen die Feindbilder, von der Partei bis zu ganz Sachsen, nicht im Gegenteil sogar nützlich vorkommen.

Auf „Ruhrbarone” schilderte die Feministin Naida Pintul, die sich in ihren Vorträgen gegen Islamismus und gegen das Kopftuch ausspricht, wie linksradikale Gruppen ihre Vorträge an Universitäten zu unterbinden versuchen. Ein Argument dabei lautet: Mit Faschisten spricht man nicht. Als Faschist, um das noch einmal irrtumsfrei festzuhalten, gilt diesen Gruppen Naida Pintul.

Je böser der Feind, desto leichter lässt sich die eigene Tugend signalisieren. Erst recht, wenn es sich um einen Gegner handelt, von dem keine annähernd so große Aggression ausgeht wie auf den medial mittlerweile üblichen Schlachtgemälden.
Noch nie war es so leicht wie heute, den Pokal im Weiße-Rose-Ähnlichkeitswettbewerb zu gewinnen. Wer den AfD-Mitgründer Bernd Lucke im Hörsaal niederschreit – nach Ansicht einer SPD-Figur aus der Umgebung des Bundesaußenministers handelt es sich dabei um eine Frage der „gesellschaftlichen Ehre“ – , wer Hotels unter Druck setzt, keine Räume an die Falschen zu vermieten, wer Parteibüros angreift, die Kinder missliebiger Politiker in der Schule mobbt, wer gegen Dunkelsachsen twittert, zum Ausgrenzen und Kleinmachen anstiftet, Faschismus ruft und in Wirklichkeit noch nicht einmal die Argumente einer liberalen Feministin erträgt, der riskiert nicht ernsthaft, sich dabei auch nur einen Fingernagel zu brechen.

Stünden auf der anderen Seite tatsächlich Faschisten respektive Nationalsozialisten samt SA, dann sähe das anders aus. Wie wäre es eigentlich zu erklären, wenn im „besten Deutschland, das wir je hatten“ (Peter Altmaier) authentische Nazis gleich auf mehrfacher Zeppelinfeldgröße aufmarschieren würden?

Es kommt also auf den Versuch an, Gespräche zu führen, deren Verlauf nicht von vorn herein feststeht. Einen Vorschlag zur verbalen Abrüstung machte vor kurzem eine Gruppe sehr unterschiedlicher Leute, die dazu aufrufen, Begriffe wie ‚Nazis’ und ‚Faschisten’ nicht inflationär zu verwenden. Zu den Unterzeichnern gehören Henryk M. Broder, Vera Lengsfeld, Monika Maron, Cora Stephan, Egon Flaig, Michael Klonovsky, Uwe Dziuballa, Rafael Korenzecher (und auch der Autor dieses Textes).

Es handelt sich, wie gesagt, um ein Angebot. Einen Anfang sehr bescheidener Art. Vermutlich wenden einige ein, sie würden zwar die Intention des Aufrufs teilen, aber nicht den Platz mit den Unterzeichnern, denn das wären eben teilweise oder ganz die Falschen.

Alles läuft auf die Frage hinaus, ob Streit aus der Gesellschaft verbannt werden soll. Es handelt sich nämlich nicht um Streit, wenn einige Meinungsinhaber andere für praktisch nicht gesellschaftsfähig erklären und ihre Vernichtung fordern, mindestens aber ihre Isolation. Das ist keine Auseinandersetzung, sondern eine Verdammung.

Streit setzt zweierlei voraus: Erstens ein gewisses Maß an Unterschiedlichkeit – worüber sollte man sonst streiten? Und eine minimale Vereinbarung über die Form. Anderenfalls entsteht keine Arena, die zwei oder mehrere Seiten betreten können.

Das Medium jedes Streits ist das Gespräch. Vielleicht kommt das tatsächlich nicht mehr zustande.

Aber was wäre die Alternative?

Micky, weißt du eine Antwort?

 

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (54)

  • Liest man die Beschimpfungen der AfD die hier aufgelistet sind, überlegt was im Alltag, privat und in den Parlamenten, dazu kommt, dann finde ich die Disziplin und Ruhe der Beschimpften erstaunlich. Ich habe Zweifel, dass die Schimpfenden ähnlich "entspannt" reagieren würden.

    • Wie die Schimpfenden reagieren, nichtmal auf Beschimpfungen, sondern auf sachliche, fundierte Kritik kann man bei den Parlamentsdebatten beobachten: Nicht mit Argumenten, sondern mit Pöbelei, üblen Unterstellungen und Hetze. Ausnahmen bestätigen die Regel!

      • Eine Bekannte von mir hat sich bereits, verärgert über den Debattenton im Bundestag, schriftlich an das Bt-Präsidium gewandt, sich beschwert und um Abhilfe gebeten.

        Ergebnis bisher:
        KEINE Antwort.

  • "Leider" findet man in Ihren Artikeln praktisch nichts, dem man widersprechen könnte. Was Hanau und die Folgen anbelangt, hat man fast den Eindruck, als ob sich bestimmte Kreise heimlich die Hände reiben würden, damit man endlich den Hebel hat, der mißliebigen Partei den Garaus zu machen. Was in den lezten Tagen über uns gekommen ist, übersteigt jedes Vorstellungsvermögen: Hatte man vor Hanau gedacht, die Hetze gegen die AfD und ihre Anhänger ließe sich kaum noch steigern. Falsch: Ein Orkan an wüstesten Beschimpfungen, ehrabschneiderischen Unterstellungen, Lügen und Panikmache, als ob ein rechtsradikaler Umsturz unmittelbar bevorstünde. Als Held unser Innenminister, dem es trotz vollmundiger Ankündigungen nicht gelungen ist, auch nur im Ansatz die Migrantenproblematik zu lösen, spielt nun den entschlossenen Retter unserer Republik - und gleichzeitig kann man dabei eine mißliebige Partei und gefürchteten Konkurrenten erledigen. Und unsere Medien, fröhlich vereint mit linksradikalen Gruppen, sind ja nun die Überhelden. Mit verbalem Schaum vor dem Mund wird grenzenlos gehetzt. Und unsere Meinungsfreiheit geht dabei auch noch perdu, wozu im übrigen unser Bundespräsident auch kräftig beiträgt: Im ersten Satz einer Rede ruft er zum Dialog auf, im zweiten Satz grenzt er dies sofort ein, indem er mißliebige Meinungen davon ausschließt.

    • Nun ja, ich wandere aus, ich fühle deutlich, das ich in Deutschland nicht mehr erwünscht bin und sehe auch keine Besserung in der Zukunft. Die Deutschen wollen eine linke Diktatur und sie werden sie bekommen.
      Viel Glück damit und als Anregung: Schafft ein, zwei, drei - viele Venezuelas.

    • Meine Lieblingshaupterklärung, warum die meisten Journalisten agieren, wie sie agieren, ist Appeasement, das mit Charlie Hebdo seinen Ausgang nahm. Dieses Appeasement lautet: wir sind immer mindestens doppelt so beleidigt wie ihr Moslems, sobald jemand es wagt, Allah in Schrift u. gelebtem Alltag zu kritisieren. Sie sollen wenigstens so konsequent argumentieren wie Harald Schmidt, der ausdrücklich gesagt hat, daß er zu dem Thema nix sagt, weil´s ihm zu heiß sei. Und das schließt natürlich ein, auf die Kritiker derer, die man ignoriert, nicht prophylaktisch einzuprügeln.

  • Sehr geehrter Herr Wendt, danke für Ihren besonnenen, ehrlichen und klaren Artikel. So etwas ist Bürgerkriegsprophylaxe. Schlimm, dass wir das brauchen. Gut, dass Sie da sind, dass Sie schreiben. Sie sind ein Mensch, der die Hoffnung am Leben erhält.

      • Ich schliesse mich dem Dank an Herrn Wendt ebenso an, ausdrücklich nicht nur für den obigen Beitrag.

        • Auch ich schließe mich dem Dank an Herrn Wendt an. Was für ein mutiger Mensch in Zeiten von pseudomutigen Hetzern.

          Menschen, die nur mutig sind, wenn es "nix kostet" kann man vergessen.
          Ein alter Spruch meiner Großmutter zu Böhmermann & Konsorten:
          Wer keine Scham hat,
          der hat keine Ehr.
          Punkt.

  • Es sind so viele Fehler gemacht und so viel Geld in die falsche Richtung verschleudert worden, dass ein Eingeständnis der Irrung zu katastrophalen Folgen führen würde. Deshalb wird die Eskalationsspirale weiter getrieben um den Blick zurück und die Überlegung der Richtungsänderung unbedingt zu vermeiden. Leider sieht es so aus, dass nur der harte Aufprall die Wahnsinnsfahrt stoppen kann.

    • Der Deutschen Wahn lässt sich, wie immer, nur von außen stoppen. Den nächsten, großen Test startet gerade Erdogan. Wird Deutschland die nächste Million aufnehmen?

  • Alexander Wendt schreibt, der Fall des Täters von Hanau stelle sich mittlerweile etwas komplexer dar als am Anfang.
    Mir ist etwas eingefallen, etwas eigentlich Naheliegendes, das ich seltsamerweise noch nirgends gelesen habe. Könnte es sein, daß der Täter neben seinem rassistischen Motiv noch ein anderes, für ihn vielleicht wichtigeres hatte?
    Ich zitiere aus dem „Manifest“: Es gibt „etliche Ereignisse, die Weltgeschichte geschrieben haben, die auf meinen Willen zurückzuführen sind und ich könnte mich deshalb gut fühlen. Es wurden zwei verbrecherische Regime beseitigt, die USA justiert ihre Großstrategie nach meinen Vorstellungen aus und Hollywoodfilme wurden nach meiner Inspiration verfilmt. Kurz erwähnen möchte ich an dieser Stelle noch, dass dies bei weitem noch nicht alles ist. Ich könnte noch viele weitere Beispiele gleicher Dimension anführen.“
    Wer so etwas schreibt, ist so irr wie einer, der sich für Napoleon hält!
    Was war das andere Motiv für seine Schreckenstat?
    Da glaubt jemand, er sei die derzeit bedeutendste Persönlichkeit der Weltgeschichte und Weltpolitik, seine einzigartigen Inspirationen seien durch Abhören bzw. Überwachung gestohlen worden, und er, der große Ideen-Geber, müsse ein unbekanntes, ruhm- und freudloses Dasein fristen. Welche Tragik! Wie kann er Beachtung finden, wie seine die Wahrheit dokumentierende Schrift zur ehrfürchtig studierten Lektüre in aller Welt machen? Tobias Rathjen sah in seinem kranken Gehirn nur eine einzige Möglichkeit, der Welt zu zeigen, wer er wirklich ist: eine Art herostratische Tat, einen spektakulären Massenmord. Dann würde man von ihm reden, dann würde man das „Manifest“ lesen, dann würde man darüber staunen, welches Genie, welcher wirkmächtige Gigant unerkannt und bescheiden in der Provinz gelebt hat.
    Sehr interessant ist übrigens die folgende Kleinigkeit. Rathjen schreibt: „Ich könnte mich deshalb gut fühlen.“ Warum kann er sich nicht gut fühlen? Vielleicht deshalb, weil niemand weiß, daß er der Allergrößte ist? Das quält ihn. Die Welt muß die Wahrheit erfahren!

  • Lieber Herr Wendt,
    vielen Dank für Ihre, in diesen Zeiten, besonders wichtige Arbeit. Ich bin oft fassungslos, wie leichtfertig in persönlichen Gesprächen und in den Medien sehr problematische Begriffe verwendet werden.
    Da wird nichts mehr kritisch geprüft.
    Auf einem Hochschulkongress in der letzten Woche, mit ca. 300 akademischen Teilnehmern aus ganz Deutschland, standen Thüringenwahl und Hanau in der Themenliste am Abend natürlich ganz oben. Jeder Begriff und jede Formulierung, die von den Sendern des öffentlichen Rundfunks, sowie den führenden deutschen Online-Medien in den Diskurs eingespeist wurden, fand sich in den Gesprächen wieder.
    Kein Wunder, dass sich das politische Klima in Deutschland verschärft. Das ist ein fataler Prozess. Wenn die Redakteure Verantwortung übernehmen würden, würden sie gegensteuern.

    Vielen Dank nochmal. Eine kleine Spende ist schon unterwegs.

    • Wenn Vertreter der Hochschulen in unserer Zeit diese vorgestanzte, geframte Gossensprache 1 zu 1 übernehmen, wirft das auch ein Licht auf unsere Eliten- und Bildungsmisere.

    • Als Mensch mit DDR-Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass durchaus nicht alle, die vorgestanzte Phrasen hören lassen, sie auch verinnerlicht haben. Sie haben einfach Angst vor den Folgen, die auf sie zukommen, wenn sie eine abweichende Meinung vertreten. Akademiker, deren Lebensunterhalt meist vom Staat abhängt, sind da viel ängstlicher als andere Gruppen. Es sind einfach Mitläufer, die ja immer die Mehrheit in jeder sich entwickelnden oder schon ausgeprägten Diktatur stellen. Wendet sich das Meinungsklima, wenden sie sich auch.

  • Vielen Dank für Ihren wieder einmal herausragenden Artikel! Tatsächlich ist das systematische Anlegen unterschiedlicher Maßstäbe in vielerlei Beziehung zur größten Bedrohung unserer Demokratie geworden. Das Dämonisieren und Polarisieren wird seit der Eurokrise als politisches Mittel zur Wahrung der links-grünen Deutungshoheit benutzt. Dass der "Diskurs" jetzt (nicht nur mehr verbal) vergiftet ist, ist direkte Folge dieser Strategie.

    "Es wird die Wahrheit vielfach verbogen,
    die Gräben immer tiefer gezogen,
    die Polarisierung vorangetrieben,
    bist du von hier oder etwa von „drüben“?

    Ob Klima, Euro, Migration,
    „me too“-Debatte und queere Vision.
    Es wächst aus gelenkter Demokratie,
    die neue „Meinungseuthanasie“!"

    • Hier folgt ein großes Lob den alternativen Medien.
      Ohne eure kritischen Stimmen hätte ich mich vielleicht den Mainstreammedien ergeben oder mich überhaupt geistig aus dem Verkehr gezogen.

  • Lieber Herr Wendt,
    Ihre Versuche vermittelnd einzuwirken in allen Ehren, ich bewundere Ihre Langmut. Ich habe sie leider nicht, denn ich bezweifle, dass auch nur Ihr Micky diese mit Ihnen teilt. Ich habe mit diesen Leuten in den 70ern studiert, die sind voller Häme, voller Zynismus und denen geht es um Eines ganz besonders NICHT, den Ausgleich und die Verständigung. Ihnen geht es tatsächlich um Spaltung und Zerschlagung und jetzt, da sie erfolgreich ihren langen Marsch durch die Institutionen abgeschlossen haben, wollen sie nur noch Eines: Die Revanche für 1933! Als wären wir oder einer der noch Lebenden für das Verantwortlich, was damals geschehen ist. Aber es geht hier nicht um Ratio, Vernunft und gesellschaftliches Miteinander. Meine Vermutung war schon immer, dass diese Leute, ja, unsere Gegner von heute, bevorzugt Familien mit dezidierter Nazivergangenheit entstammen. Sie haben ihr ganzes bisheriges Leben mit der tiefen Schuldverstrickung ihrer Eltern gelebt und unter ihr gelitten und auf den großen Moment der Katarsis, hauptsächlich der eigenen Reinwaschung, hingearbeitet. Und sie haben alle die Übrigen, die damals zu Mitläufern und Mittuern vergattert wurden unter Androhung der Auslöschung zu geistigen Komplizen ihrer verhassten Vorfahren gemacht. Daher "Volkstod!" Daher "Deutschland verrecke!" So ergibt sich eine völlig logische Linie von der RAF bis hin zu Maas, Claudia Roth, Stokowski, Prantl, taz, Spiegel, ZEIT, ja sogar bis zur FAZ und zur CDU/CSU und tief hinein in die beiden deutschen Kirchen von heute. Die anzestrale Verstrickung wird so zu Selbsthass und Hass auf alles und alle. Wir sollten realistisch sein: Wir haben es nicht mit politischen Gegnern zu tun sondern mit Feinden, die uns tatsächlich auslöschen wollen. Ja, das ist zutiefst krank, denn die Hetze und der Hass gegen uns Deutsche muss sich ja gerade auch gegen sie selber richten, zumal mit ihrer geburtlichen Verstrickung.
    Daher vermute ich, ist Ihr verständlicher und achtenswerter Versuch der Vermittlung zum Scheitern verurteilt, weil Sie die andere Seite völlig falsch einschätzen.

    • Sieht so aus als hätten wir zur gleichen Zeit studiert. Leider haben Sie Recht, aber auch wieder nicht: Herr Wendt tut, was er tut, aus Überzeugung und weil er so ist, wie er ist.
      Das macht ihn in meinen Augen zu einem Vorbild.

      • @Karl Kaiser:
        ...und die Gegenseite tut ebenfalls, was sie tut, aus Überzeugung und weil sie so ist wie sie ist.
        .
        Und nu?

        • Auf der Gegenseite sind keineswegs alle "Überzeugungstäter"!

          Denken Sie nur an Merkel, die schon ihren Abflug nach Süd- oder Nordamerika durch dortigen Immobilienerwerb vorbereitet, damit sie es nicht mit ausbaden muß, was sie hier anrichtet. Oder an die vielen Abgeordneten, die bei Merkel nur deshalb katzbuckeln, weil diese über ihren Listenplatz, also ihre materielle Absicherung bestimmt. Oder an Abgeordnete, die selbst sagen, daß sie längst bei der AfD wären, könnte diese ihnen die entsprechende Position samt Gehalt anbieten (ungelogen!), man denke an die Berufsdemonstrierer, die in Bussen durch ganz Deutschland gekarrt werden und für "Demo-Geld" ihre Stimmbänder ruinieren. Oder an die vielen, die sich einfach geschmeidig angepaßt haben, um einen Job zu bekommen und jetzt vielleicht deshalb besonders gehässig hetzen, damit niemand merkt, daß sie eigentlich gar nicht dahinterstehen ...

          Es ist aber gut, für seine Überzeugungen einzustehen. Es ist nicht gut, sich korrumpieren zu lassen. Daher werden wir, die wir uns nicht aus Haß, sondern aus Liebe zu Heimat, Volk und Kultur einsetzen, am Ende siegen. Denn am Ende siegt immer das Gute.

          "Am Ende wird alles gut!
          Und wenn es noch nicht gut ist,
          ist es noch nicht das Ende."

          (Oscar Wilde)

      • Sie haben recht, Herr Kaiser, ich sagte ja, dass ich die Haltung Herrn Wendts bewundere, den Respekt und die Mäßigung. Das sind hohe Werte.
        Es gibt aber Gegner, in deren Augen Respekt, Anstand und Mäßigung nur als Schwäche, als die Winselei eines Cretins erscheinen. Vor denen muss man sich in acht nehmen, denn sie werden dich zertreten und darüber noch hämisch lachen.

    • Gesellschaftliche Meinungen sind wie tiefe Rillen in einer Schallplatte, du rutschst immer in eine ausgefurchte Rille, es sei denn, du fängst an, deinen eigenen Beobachtungen zu trauen. Die Gegenseite, selbst der weichgespülte Merkel-Hofschrat Laschet redet nicht vom "politischen Gegner", sondern er sagt, "Der Feind steht rechts!" - Da hilft auch nichts, dass der ehem. Bundespräsident Gauck dazu aufruft, man müsse mit den Rechten reden. Als er noch im Amt war, hat er selber Öl ins Feuer gegossen, so wie sein Nachfolger heute. Soweit sind wir in Deutschland und es wird kein zurück mehr geben hinter diese geistigen Schützengräben. Wir leben offensichtlich in einem gesellschaftlichen Kalten Krieg - und jeder Funke kann die Katastrophe entzünden. Und das ist neu entstanden in der Ära Merkel und insbesondere nach 2015. Und die Entstehung des Kalten Krieges, so wie die Entstehung der AfD sind WIRKUNG nicht URSACHE! Wer das nicht erkennt, ist entweder zu dumm oder ein Brandstifter.

    • Märtyrer - - wie müssen Menschen gestrickt sein, die sich für die Produkte ihrer Phantasie, für ideologische Wahnvorstellungen beliebiger Art ans Kreuz nageln oder wie auch immer freudig vom Leben zum Tode befördern lassen? --- Die Opfer von heute sind die Täter von morgen - - was geschieht, wenn potentielle Märtyrer an die Macht gelangen, den Sieg erringen? Kinder-/Kreuzzüge (im Namen eines Gottes, der „liebet eure Feinde“ predigt), Inquisition, Hexenverbrennungen, Vierteilen, alles was Folterkammern hergeben ….

      Das Psychologisieren über auslösende Ursachen wie „Familien mit dezidierter Nazivergangenheit“, „Tiefe Schuldverstrickung der Eltern“, ersehnte „Katharsis“ ist müßig (wie erklärt man mit derartigen Argumenten eigentlich die gesellschaftliche Entwicklung beispielsweise in Schweden?)

      Tatsächlich sind die Inhalte ideologischen Wahns völlig bedeutungslos. Egal ob Christen, Muslime, Sozialisten, Faschisten, Feministen, Ökologisten und was sonst an Ideologien war und sein wird – es zählt, daß der Un- oder Andersgläubige bekehrt oder beseitigt werden muß. ABWEICHENDE MEINUNGEN SIND GLAUBENSEIFERERN UNERTRÄGLICH. In der Menschheitsgeschichte werden, dessen bin ich mir sicher, die weitaus meisten keines natürlichen Todes gestorbenen Menschen zu Tode gekommen sein, weil sie irgendeinen unpassenden Glauben am falschen Ort zur falschen Zeit gehabt haben oder dessen auch nur verdächtigt wurden. Deshalb hat Albert Schultheis insoweit recht, als er resümiert: „Wir sollten realistisch sein: Wir haben es nicht mit politischen Gegnern zu tun, sondern mit Feinden, die uns tatsächlich auslöschen wollen.“ Deshalb ist der von mir hochgeschätzte Alexander Wendt mit seinen unermüdlichen, unverzagten Verständnis- und Vermittlungsbemühungen eine tragische Figur.

    • Sie haben weitgehend recht, Herr Schultheis.

      Aus meiner Studienzeit kurz nach der Wende in Marburg weiß ich noch, dass Diskussionen mit andersdenkenden Studenten - anders als in der Wendezeit und danach in Mitteldeutschland - nicht möglich waren. Die Frage lautete: "Bist Du dafür oder dagegen?" Differenzierung war nicht erwünscht, vielleicht oft aus intellektuellem Unvermögen, aber eben auch aus ideologischer Verhetztheit. War man nicht kritiklos "dafür", war man der Feind, mit dem nicht mehr gesprochen wurde. Aus solchen Studenten mußten notwendig die Medienschaffenden und Politiker, die heute das Sagen haben, werden. Ein gebürtiger Ossi kann sich das vielleicht nicht so richtig vorstellen.

      Ich will auch gern zugeben, dass es in Marburg sehr selten auch Ausnahmen gab, die gesprächswillig und -fähig waren und es sogar ertragen konnten, wenn man sie widerlegte.

      Ich fürchte auch, dass Diskussionen immer seltener möglich sind. Wenn die Gegenseite überzeugt davon ist, dass sie recht hat und die anderen böse, bestenfalls dumm und damit minderwertig sind, warum sollte sie dann noch diskutieren wollen? Zumal wenn sie ohnehin schon weitgehend die Diskurs- und politische Macht hat, sich in der Mehrheit glaubt und die anderen nicht zu brauchen meint? Würden Sie - nur als Beispiel genommen - darüber diskutieren, ob man nicht doch alte Menschen ausrauben und foltern darf, um an ihr Geld zu kommen? Das wäre für Sie und die meisten anderen, Herr Wendt, nicht diskutabel. So geht es den anderen beispielsweise in der Migrationsfrage. Sie sehen uns als das Ewiggestrige oder sogar absolut Böse, dem man "keine Plattform bieten" darf. Es sind keine Bürgerlichen wie Sie, Herr Wendt, die auch politschen Gegnern Grundrechte zugestehen. Es sind Sozialisten auf dem Weg in die Diktatur.

  • Guten Tag Herr Wendt...mir schwant, der Rubicon ist bereits überschritten. Die Verantwortlichen könnte ich Ihnen nennen. Ich bin mir aber sicher, sehr sicher - auch Sie kennen die. Alle.

  • Ein sehr nachdenklich stimmender Bericht. Alle Achtung für Ihre stets vorhandene intellektuelle Fähigkeit, „unaussprechliche und damit undenkbare“ Gedanken zu formulieren und damit beim Namen zu nennen. Dazu gehört ganz sicher ein sensibler Mensch, der Sie in meinen Augen sind.

    Zitat:“ Überhaupt spielen Beherrschungs-, -Bestrafungs- und Auslöschungsfantasien bei den verbalen Aufrüstern der Gutdenk-Seite eine zentrale Rolle, die sich gar nicht so grundsätzlich von den Gedankengängen des Täters von Hanau unterscheiden. Hass & Hetze dieser Sorte findet sich auch nicht vorwiegend im Zuständigkeitsbereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, sondern in Qualitätsmedien, auch in Publikationen von schnellen Hassbrütern wie der Kahane-Stiftung.“ Zitatende.

    Wie wahr und wie soll es weitergehen? Die Fronten scheinen sehr verhärtet. Wer aber verhärtet sie? Nach meiner Beobachtung die linke Seite, die zwar kulturpolitisch bereits das Wort führt, aber nun auch gesamtpolitisch die „Staatsmacht“ werden will. Bei dieser Perspektive sehe ich da kaum Raum für gemeinsame Gespräche, so sehr auch ich sie begrüßen würde.