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Die neuen Taliban, ihre vorübergehenden Erfolge – und woran sie scheitern werden

In angelsächsischen und in deutschsprachigen Ländern finden sich lagerübergreifend Intellektuelle gegen die Cancel Culture zusammen. Sie haben verstanden: Wer die Debatte wieder groß machen will, muss die Gouvernanten kleinmachen

Es gibt zwei Aufrufe, die einander ähneln. Einer erschien vor einigen Wochen in dem Magazin Harper’s, einer vor wenigen Tagen auf der Seite des gerade gegründeten Intellectual Deep Web Europe. In beiden Appellen finden sich Autoren und Wissenschaftler von der linken bis zur rechten Mitte zusammen, die unter normalen Bedingungen wahrscheinlich kein Manifest unterschrieben hätten.
Wenn die Front breiter wird als gewöhnlich, geht es meist um essentielle Dinge. An dem deutschsprachigen Appell, so viel gleich zu Beginn, ist der Autor dieses Textes beteiligt.

Beide Aufrufe verteidigen den freien Austausch von Meinungen, also eine Praxis, die im Westen entstand und dort bis vor ein paar Jahren nicht ernsthaft gefährdet schien.
Werfen wir erst einen kurzen Blick auf den gegenwärtigen Zustand, bevor es um die Aufrufe selbst geht.

Der amerikanische Datenanalyst David Shor, bis Mai 2020 einer der führenden Köpfe des Umfrageinstituts Civis, gehört zu den Hochtalentierten in seiner Branche. Schon als Zwanzigjähriger arbeitete er 2012 zu dem Team von Nate Silver, einem Statistiker, der damals mit seinem Modell den Ausgang der Wahl in 50 Bundesstaaten korrekt vorhersagte.
Nach dem Beginn der Black Lives Matter-Demonstrationen in den USA und den ersten Ausschreitungen retweetete Shor eine Untersuchung der Wahl- und Umfrageergebnisse seit 1968, in der der (farbige) Princeton-Wissenschaftler Omar Wasow nachwies, dass friedliche Straßenproteste die öffentliche Meinung zugunsten der Demokraten verschoben hatten, im Gegensatz zu gewalttätigen Übergriffen, die eher das Gegenteil bewirkten. Seine Absicht kommentierte sich von selbst; Shor gehört zum linksliberalen Lager, er wünscht sich erklärtermaßen den Sieg Bidens im November.
Als er seine Studie per Twitter veröffentlichte, fielen sofort Aktivisten über ihn her, die ihm vorwarfen, er als Weißer dürfe über die BLM-Bewegung nicht urteilen, auch nicht indirekt durch eine Analyse historischer Wahldaten, seine Veröffentlichung sei beleidigend. Die Daten selbst stellte niemand in Frage.
Shor entschuldigte sich öffentlich. Das nutzte ihm vor dem Twitter-Gericht nichts, die linken Aktivisten forderten seine Entlassung. Dazu kam es innerhalb weniger Tage. Civis feuerte seinen führenden Datenanalysten.

Ihm ging es ähnlich wie Gordon Klein, einem Dozenten an der Anderson School Of Management, die zur UCLA gehört: mehrere schwarze Studenten hatten ihn aufgefordert, ihnen bei der Abschlussprüfung Sonderkonditionen (“Accommondations“) einzuräumen, die mittlerweile an etlichen Hochschulen tatsächlich gewährt werden, um den emotionalen Stress und die Traumatisierungen auszugleichen, die farbige Studenten nach ihrem eigenen Bekunden durch den Tod von Georg Floyd und die folgenden Proteste erlitten hätten.
Klein fragte per Mail sarkastisch zurück, wie er denn mit Studenten mit einem farbigen und einem weißen Elternteil verfahren sollte. Eine halbe Sonderkondition? Vor allem fragte er, wie sich die Aufforderung nach besonderer Behandlung mit dem Gleichheitsideal von Martin Luther King vertragen würde:

„Eine letzte Sache noch, die mich beschäftigt: Erinnerst du dich daran, dass Martin Luther King bekanntlich sagte, niemand sollte seiner Hautfarbe nach bewertet werden. Glaubst du nicht, dass deine Bitte (um Sonderkonditionen) seiner Mahnung zuwiderläuft?”
(“One last thing strikes me: remember that MLK famously said that people should not be evaluated based on ‘the color of their skin’. “Do you think that your request would run afoul of MLK’s admonition?”)

Die Hochschule feuerte Klein sofort nachdem Studenten sich über seine „rassistischen Bemerkungen“ erregt hatten.

Weder bekam er Gelegenheit, sich zu rechtfertigen, noch mussten seine Ankläger darlegen, was in ihren Augen an seiner rhetorischen Frage eigentlich falsch war. Anklage, Urteil und Vollstreckungsbescheid waren praktisch identisch.

Den Fall von Shor hatte der Publizist und Politikwissenschaftler Yascha Mounk, derzeit an der Johns Hopkins University in Washington, kürzlich in einem Beitrag für die Zeit erwähnt, um zu illustrieren, dass so etwas wie Cancel Culture tatsächlich existiert. Denn zu der Debatte um den Hinauswurf von Falschmeinern, die Verhinderung von Veranstaltungen und den Druck auf Verlage gehört auch die regelmäßig von Wahrmeinern vorgetragene Behauptung, eine Cancel Culture gebe es in Wirklichkeit nicht, es handle sich um eine Erfindung beziehungsweise einen Kampfbegriff von nicht näher definierten Rechten.

Im deutschsprachigen Raum existiert dazu eine Art Liturgie mit drei bequem nacherzählbaren Fällen, die verschiedene Medien als Beweisführung gegen Cancel Culture fast wortgleich abspulen:
Gegen die zunächst vom Nochtspeicher” in Hamburg ausgeladene Kabarettistin Lisa Eckhart habe es ja keine ernsthaften Gewaltdrohungen gegeben, sondern nur das Gerücht, es könnte bei ihrem Auftritt zu spontanen linken Zornbekundungen kommen, die Ausladung sei auch wieder zurückgenommen worden, außerdem habe Eckhart dutzende Interviews zu der Angelegenheit geben können.

Zweitens sei die auf Druck von Twitter-Aktivisten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zuerst gelöschte Videobotschaft des Kabarettisten Dieter Nuhr – ein kurzes Plädoyer für die Vorläufigkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen, versehen mit einem kleinen Seitenhieb gegen Greta Thunberg – später wieder online gestellt worden. Also wieder keine Cancel Culture.

Und drittens die Autobiografie von Woody Allen „Ganz nebenbei“, gegen deren Publikation bei Rowohlt eine Reihe von Autoren des Verlags – Margarete Stokowski, Sascha Lobo und andere – mobil gemacht hatten mit der Begründung, wegen der (in Wirklichkeit juristisch nie belegten) Missbrauchsvorwürfe gegen Allen dürfe das Buch dort nicht erscheinen: Rowohlt ließ sich nicht erpressen, sondern veröffentlichte. (Übrigens kündigte dann doch keiner der erfolglosen Abkanzlerautoren seinen Vertrag mit Rowohlt, sie waren also bereit, weit zu gehen, aber nicht an ihre materielle Schmerzgrenze).
Die drei Geschichten dienen also als standardisierter Beweis dafür, dass Cancel Culture nirgends ernsthaft droht.

Es handelt sich wie gesagt um bequem nacherzählbare Fälle. Weniger passende lassen Verbreiter dieses Abwehrnarrativs lieber weg.
Etwa den des Leipziger Malers Axel Krause, der schon 2018 seinen Galerievertrag verlor, weil er auf Facebook die Migrationspolitik der Bundesregierung kritisierte, und im August 2020 von der Teilnahme an einer Ausstellung wieder ausgeladen wurde – weil dem Versicherer das Risiko von Anschlägen auf die Bilderschau zu hoch erschien.
Oder den Rauswurf des Chefs der hessischen Filmförderung Hans Joachim Mendig, dessen Vergehen darin bestand, dass er sich mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen aus Neugierde zu einem Mittagessen getroffen hatte.

Einen Punkt – keinen wirklichen Punkt, eher Fußnote – haben die Es-gibt-keine-Cancel-Culture-Erzähler hierzulande für sich: Im angelsächsischen Raum geht die Praxis des argumentationsfreien Ausschließens, Feuerns und Beschweigens viel weiter als in Deutschland. Das zeigt sich übrigens auch an Woody Allens Autobiografie: Während Rowohlt bei der Veröffentlichung blieb, strich sein amerikanischer Verlag Hachette das Buch nach dem Druck des Twitter-Mobs kurzfristig aus seinem Programm. Es sprang zwar mit Arcade Publishing ein anderer Verlag in die Lücke. Allerdings verändern und verengen sich Verhältnisse, wenn ein großes Haus wie Hachette – so wie Universitäten und Unternehmen – dem Druck der Twittertaliban nachgibt.

Ein weniger berühmter und wirtschaftlich weniger interessanter Autor als Allen muss jetzt damit rechnen, nach einer ähnlichen Anklage überhaupt keinen Verleger mehr zu finden. Und genau darin besteht das Ziel der Übung: Ein kleiner gutorganisierter Wächterrat bestimmt mehr und mehr die Regeln, und deren Regeln laufen grundsätzlich auf beweislose Anklagen, Begrenzung und Ausschluss hinaus. Auf bestimmten Themenfeldern liegen mittlerweile so dichte Minengürtel, dass Leute aus drucksensiblen Milieus sie vorsichtshalber nicht mehr betreten. Jedem Hochschulangestellten, jedem Mitarbeiter von Unternehmen, die sich dem Wächterrat unterworfen haben, kann es etwa bei der geringsten selbst indirekten Kritik an Black Lives Matter so gehen wie David Shor oder Gordon Klein.

In Großbritannien entwickelte sich der Komplex der so genannten Sex Grooming Gangs zu einer ähnlich gefährlichen Sperrzone. Von den Gangs muslimischer Männer– meist mit pakistanischen Wurzeln – waren in Rotherham und anderswo tausende überwiegend minderjährige Mädchen abhängig gemacht und missbraucht worden.
Polizei und Behörden verschlossen davor lange die Augen aus Angst, als ‚rassistisch’ gebrandmarkt zu werden. Als die Labour-Abgeordnete Sarah Champion aus Rotherham 2017 in einem Zeitungsbeitrag forderte, über die Verachtung der muslimischen Täter für ihre weißen Opfer zu diskutieren, verlor sie ihre Position im Labour-Schattenkabinett. Bis heute wird sie von identitären Linken als Rassistin angefeindet.
Vor kurzem gab es eine heftige Debatte, ob das (Tory-geführte) Innenministerium seine Untersuchung über die Sex Grooming Gangs überhaupt veröffentlichen sollte.

In dem Unterwerfungsfeldzug der Meinungswächter – das ist vielleicht der wichtigste und immer noch ungenügend verstandene Punkt – geht es darum, nach und nach ganze Themen für die Debatte zu sperren. Und erst in zweiter Linie um den Angriff auf einzelne Personen. Die individuellen Attacken sind Mittel, nicht das eigentliche Ziel. Der Streit um Debattenfreiheit ist keine Fehde unter Intellektuellen. Zu den Opfern des systematischen und korrekten Beschweigens gehören in erster Linie Leute wie die Missbrauchsopfer von Rotherham, die ganz andere Verluste zu ertragen hatten als ein gefeuerter Universitätsdozent.

Verglichen mit der Lage in den USA und Großbritannien ist die Cancel Culture in Deutschland tatsächlich noch ein Entwicklungsprojekt. Sie wirkt sich noch nicht so toxisch aus wie in ihrem Ursprungsland, auch wegen des deutschen Arbeitsrechts, das es nach derzeitigem Stand nicht erlaubt, einen Universitätsmitarbeiter zu feuern, weil sich Studenten verletzt fühlen.
Der Punkt ist: Sollte der Kampf gegen die Cancel Culture in Deutschland, der Schweiz und Österreich deshalb erst einmal nur mit halber Kraft geführt werden? Das wäre so, als würden Hausbewohner das Übergreifen eines Brandes von nebenan nur beobachten und sich darauf verständigen, dass erst gelöscht wird, wenn das eigene Dach komplett in Flammen steht. Der linksliberale Yascha Mounk sieht die Situation für die USA mittlerweile genau so wie sein liberal-konservativer Kollege Niall Ferguson:

Erst galt die Forderung nach ’safe spaces’ und Diskussionseinschränkungen als eher skurriles Anliegen einer Minderheit in Universitäten. Inzwischen beherrscht sie viele Universitäten komplett. Jetzt greift die Cancel-Ideologie weit darüber hinaus in immer größere Gebiete der Gesellschaft wie ein Feuersturm, der das alte Ökosystem vernichtet, in dem hunderte Meinungen nebeneinander blühen konnten. Mounk warnte deshalb seine deutschen Leser in dem Zeit-Artikel, den gleichen Fehler zu begehen wie viele in Amerika, die den Vernichtungsfuror der Wächterräte lange unterschätzten. Das linksliberale Lager unterschätze ihn so lange, bis es Leute aus dem eigenen Milieu wie Shor traf. Das Magazin Atlantic schrieb über Shor und andere: „Hört auf, die Unschuldigen zu feuern“. Was die Autoren übersehen: In einem talibanesken System gibt es keine Unschuldigen.

Mounks Name steht unter dem Aufruf von 153 Intellektuellen des englischsprachigen Raums in Harper’s, die sich für Grundregeln der freien Debatte einsetzen. Unter dem Appell von Harper’s sammeln sich Intellektuelle mit linksliberalen bis konservativen Ansichten, etwa die Schriftstellerin Joanne K. Rowling, der Politikwissenschaftler Noam Chomsky, der Autor Malcolm Gladwell und der liberal-konservative Philosoph Francis Fukuyama.
Der Aufruf gegen Gesinnungsdruck und für ein Ökosystem von Meinungen von Autoren und Wissenschaftlern aus Deutschland, der Schweiz und Österreich ähnelt dem Text von Harpers’s darin, dass sich dort nicht nur die üblichen Verdächtigen finden, sondern öffentliche Personen, die ansonsten in vielen Dingen miteinander streiten. Darum geht es ja gerade. Den deutschsprachigen Aufruf publizierte die Plattform Intellectual Deep Web Europe, die sich an den (ironischen) Begriff „Intellectual Dark Web“ anlehnt, eine Plattform für den von politischer Korrektness freien Meinungsaustausch, die von den Autoren Jordan B. Peterson, Sam Harris und anderen als Reaktion auf den wachsenden Gesinnungsdruck in Universitäten und etablierten Medien gegründet worden war.

Initiatoren des deutschsprachigen und weiter unten dokumentierten Aufrufs sind der Autor und Redakteur Milosz Matuschek (Der Schweizer Monat, Neue Züricher Zeitung) und der Publizist Gunnar Kaiser.
Zu den Erstunterzeichnern gehören Autoren wie Alexander Kluge, Monika Maron, Asfa-Wossen Asserate, Ralf Bönt, Cora Stephan, Dieter Nuhr und Günter Wallraff, der Philosoph Robert Pfaller, Wissenschaftler wie der Jurist Reinhard Merkel, der Historiker Jörg Baberowski, der Medientheoretiker Norbert Bolz, die Migrationsforscherin Sandra Kostner und die Ethnologin Susanne Schröter, Journalisten, Redakteure und Autoren mehrerer Medien, unter anderem Götz Aly (Berliner Zeitung), Michèle Binswanger (Tagesanzeiger), Frank Lübberding und Philip Plickert (FAZ), Harald Martenstein (Zeit, Tagesspiegel), Alexander Kissler (NZZ), Alexander Grau (Cicero) und Ferdinand Knauß (Tichys Einblick), der Autor dieses Textes wie gesagt auch.
Ein zentraler Satz des Aufrufs stammt von Jean Paul:
„Freiheit ist ein Gut, dessen Dasein weniger Vergnügen bringt als seine Abwesenheit Schmerzen.“

Die Unterzeichner des Appells bekennen sich zu Standards für die öffentliche Debatte, die den Raum offen halten sollen.
Erstens wenden sie sich gegen jede Form der Cancel Culture, also Druck auf Veranstalter, Multiplikatoren oder Plattformbetreiber. Wohlgemerkt: schon gegen erpresserischen Druck, nicht erst gegen vollendete Ausladungen, Absagen und Löschungen.
Zweitens solidarisieren sie sich mit denen, die unter einen Gesinnungsdruck gesetzten werden.
Drittens setzen sie eine Regel: Der öffentliche Raum und die Themen darin gehören allen. Niemand besitzt das Recht, Zugangsbeschränkungen auszurufen, etwa die, dass nur Farbige über Rassismus sprechen dürfen, oder dass deren Meinungen von vorn herein schwerer wiegen.
Und viertens lehnen die Unterzeichner das Prinzip der Kontaktschuld ab. Meinungen übertragen sich nicht durch Nähe auf einem Podium oder in einem Verlagsprogramm.

Was die 153 von Harper’s und die Erstunterzeichner des deutschsprachigen Appells zusammenbringt, sind drei Phänomene, die im blinden Fleck der Wächterräte liegen, nämlich Spiel, Spaß und Spannung. Überall dort, wo Aufpasser ganze Themenfelder abriegeln und Debattenteilnehmer bei Strafe der Verfemung dazu zwingen, jeden Satz auf heikle Formulierungen abzuklopfen, stirbt als erstes der Witz (früher einmal ein Synonym für Geist) und zweitens jede Überraschung.

Die Debattensimulation unter der Fuchtel der Korrektness erinnert an die Deklamationsabende im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die dort unter der Bezeichnung Talkshow laufen, an so genannte Diskurse an der Berliner Volksbühne oder die Kolumnen in der Meinungsabteilung von Spiegel Online. Buchstäblich jede Wendung dort lässt sich voraussehen, jedenfalls für den, der überhaupt noch zuschaut. Auftritte von Kasper, Krokodil und Schutzmann wirken dagegen vergleichsweise anarchisch.

Erstaunlich viele Autoren und Wissenschaftler in der öffentlichen Arena mit ansonsten unterschiedlichsten Ansichten merken, dass sie ein Quantum Witz und Spiel brauchen, weil sie sich sonst zu Tode langweilen. Und ihr Publikum auch. Mehr Gemeinsamkeit braucht es gar nicht.
Apropos zu Tode langweilen: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg sendete etwas zu dem deutschsprachigen Appell, allerdings achtete die Redaktion darauf, außer der Überschrift des Aufrufs nichts zu zitieren. Sie fasste noch nicht einmal seinen Inhalt zusammen, sondern suggerierte, es stünde darin, „dass man seine Meinung nicht äußern dürfe“. Das klingt dann so:

„Gerade am Wochenende war es zu sehen: Menschen dürfen in Deutschland sehr lautstark öffentlich ihre Meinung sagen. Dennoch ist die Ansicht offenbar weit verbreitet, dass man in Deutschland oder auch in anderen Ländern seine Meinung nicht äußern dürfe. Politische Korrektheit wird als Gängelung empfunden. Heute ist ein Appell im Internet veröffentlich worden, ’Appell für freie Debattenräume’, so der Titel.“

Warum auch nicht? Wer den ‚Sturm auf den Reichstag’ erfindet, kann notfalls auch einen ganzen Aufruf für das RBB-Publikum neu dichten und die uralte Strohpuppe des Abgedrifteten, der, höhö, sagt, dass er nichts sagen darf, auf die Gebührenfunkrampe zotteln. Dort sitzt sie dann zusammen mit Anatol Stefanowitsch, „Sprachwissenschaftler an der FU Berlin und Autor des Buches ‚Eine Frage der Moral – Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen’“. Er spricht mit einem RBB-Redakteur statt mit einem Unterzeichner des Aufrufs. Stefanowitsch weiß auch so, was Alexander Kluge, Asfa-Wossen Asserate, Monika Maron, Jörg Baberowski und andere „überwiegend männliche“ Unterzeichner des Aufrufs treibt, nämlich „die Angst vor dem Bedeutungsverlust“.

 

Ernsthaft: Wer hört bei diesen selbsttherapeutischen Gesprächen noch zu?
Das besondere der beiden Aufrufe liegt darin, dass im Feld der Unterzeichner wirkliche Vielfalt herrscht. Sowohl aus den Harper’s– als auch den Namen aus Deutschland, Schweiz und Österreich ließe sich sofort eine anregende und möglicherweise auch unkalkulierbare Diskussionsrunde zusammenstellen. Auch eine Tafelrunde. Oder die Autorenriege eines Mediums, für das ein Publikum freiwillig Geld ausgeben würde.

In der Geschichte gab es mehrere Moral- und Tugendregime, die den Kreis des Erlaubten immer enger und den der Sünder immer weiter zogen. Girolamo Savonarolas Herrschaft der Eiferer in Florenz (inklusive Kindersturmtrupps, die Fanciulli) Johannes Calvins Diktatur in Genf, Robespierres Jakobinerzeit. Alle dauerten erstaunlich kurz, denn alle übten ihre Macht durch ständige Verschärfung von Anklage und Urteilen aus, wodurch sie unablässig die Zahl ihrer Gegner vergrößerten. An einem bestimmten Punkt setzten sich Leute zusammen, die wahrscheinlich unter normalen Bedingungen nicht zusammengefunden hätten, um durchzukalkulieren, was sie riskieren, wenn sie sich verweigern, und was sie verlieren, wenn sie sich unterwerfen. Immer kamen sie zu dem gleichen Ergebnis. Insbesondere für Savonarola und Robespierre ging die Geschichte auch persönlich nicht gut aus.

In den USA, dem Mutterland der neuen Savonarolas, gibt es einige Anzeichen, dass ihre Ära diesen Punkt erreicht hat. Der Harper’s-Appell gehört dazu. Mit der Supermarktkette Trader Joe’s entschied sich gerade ein großes Unternehmen (nach kurzem Schwanken), seine angeblich ‚rassistischen’ Logos auf den Packungen von asiatischem, lateinamerikanischem und französischem Essen nicht wie von Aktivisten gefordert zu entfernen, sondern beizubehalten. Auch deshalb, weil die Hauptaktivistin, eine blonde weiße Kalifornierin, keine verletzten und beleidigten Kunden mit asiatischen und Latino-Wurzeln auftreiben konnte. Die Jobvermittlungs-Seite Unwoke umwirbt Firmen, die Fachkräfte suchen, während sie von narzisstischen Aktivisten verschont bleiben möchten.

In Großbritannien gewann die Labour-Abgeordnete Sarah Champion ihren Wahlkreis Rotherham wieder, obwohl es Labour im Dezember 2019 nicht leicht hatte. Sie blieb, der frühere Parteichef Jeremy Corbyn, der sie als Rassistin abkanzelte, endete ziemlich ruhmlos.

Die Hölle lässt sich ziemlich einfach ausmalen: Eine Talkshow im deutschen Gebührenfernsehen mit Savonarola, Calvin, Robespierre, Corbyn und irgendeinem ausgelosten Aktivisten m/w/d, dessen Namen sich keiner merken muss.
Es wäre sogar die Hölle für die Teilnehmer selbst.
Savonarola sieht übrigens auf sämtlichen Porträts (es gibt etliche) so aus, als würde er sein Ende schon kennen.

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

 


 

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Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (31)

  • Was für eine Infamie: Wenn die beabsichtigten "Cancel Culture"-Maßnahmen ausnahmsweise mal auf Widerstand stoßen (Nuhr, Eckhardt) und deshalb im Versuchsstadium steckenbleiben, feiert man diesen Widerstand groß als Beweis dafür, dass hier in Deutschland doch alles in Ordnung, die Meinungsfreiheit intakt sei und von Cancel Culture keine Rede sein könne. Dabei ist Nuhr ein absoluter Publikumsliebling, zudem Kämpfer gegen Rechts/AfD, und wenn sogar ihm so etwas passiert, ist die Cancel Culture schon verdammt weit fortgeschritten, 5 vor 12 sozusagen.
    Aus meiner katholischen Vergangenheit habe ich noch folgendes Bibelzitat in Erinnerung: "Wenn das am grünen Holz geschieht, was geschieht dann erst am dürren", also an den Leuten, die im Gegensatz zu Nuhr keine Fans und keine große Öffentlichkeit haben?
    Für den, der es nicht gar so religiös mag, ein anderes Zitat:
    " Denn die einen sind im Dunkeln
    Und die andern sind im Licht.
    Und man siehet die im Lichte
    Die im Dunkeln sieht man nicht. "
    (kennt wohl jeder)

    Hoffen wir mal, dass der Aufruf der 153 etwas bewirkt.
    Wieder mal ein Artikel von Alexander Wendt, der Maßstäbe setzt. Ich hoffe, seine gesammelten Artikel erscheinen dereinst als Buch, damit man nach dem Ende der Bleiernen Merkelzeit nachweisen kann: Es gab damals nicht nur framende Relotiusse und stromlinienförmige Merkeljournalisten, sondern auch ein paar anständige, kompetente, seriöse Journalisten, die trotz aller Widrigkeiten und Widerstände ihren Beruf noch ernst nahmen.

  • Apropos 'Grundregeln der freien Debatte'- Es gibt bei M.K. am 2.9.20 den hervorragenden Spruch: "Wer heute das Radio oder den Fernseher einschaltet, erlebt das Systematische dieses Regimes in seiner Vollendung: Sämtliche Themen sind bis ins Detail ihrer Behandlung hinein vorhersehbar." (Frank Lisson)

    • Der SWR in Stuttgart scheint solch eine Piazza di Signoria zu sein, auf dem die per ordre der savonarolenden Linksbrut als Luxus deklarierten demokratisch-freiheitliche Ballast aufgehäuft und angezündet werden kann.
      Heute Morgen ist mir während des Frühstücks bei der Sendung "Begegnungen" der Kragen geplatzt. In dieser Sendung führen meist kirchlich geprägte Personen/Perso_Innen eine verbissenene Framing-Campagne im "Kampf gegen rechts" und sehen in jedem mit abweichend-kritischer Eigenmeinung einen Neonazi.
      .
      In einer Mail bat ich den Sender darum, mir zu erklären, wo er z.B. im gutmenschlichen Stuttgart die Gefahr von "rechts" sieht und ob er die vandalisierte Königsstraße von kürzlich nicht eher der linken und migrantischen Szene zuordnen möchte. Aber nach meinen Erfahrungen mit dieser Sendeanstalt eine verlorene Liebesmüh´.

      • Dem SWR sitzt ja jetzt der Herr Gniffke vor, der lange Jahre den Kurs der Tagesschau/Tagesthemen vorgegeben hat (einseitige Sichtweise etc. pp.) - den Klinkhammer & Bräutigam stets heftig kritisiert haben.

      • Der tiefrote DLF ist auch nicht besser . Neulich gab es auf NDR -Info wieder einen Beitrag aus der Reihe "auf ein Wort" von diesem unsäglichen Florian Schroeder. Das ist auch so eine linke Sprechpuppe. Ein echter Framing Experte übelster Sorte. Da sah selbst ich mich genötigt zu intervenieren. Obwohl ich eigentlich bei den GEZ-Medien eh keine Chance sehe gehört zu werden. Und es kam nicht mal eine Antwort.
        Übrigens mal wieder ein sehr lesenswerter Beitrag, Danke Herr Wendt.

        • Ich habe meine Worte an den NDR nochmal ausgegraben:
          Nachricht:
          Hallo,
          was ich gestern wieder von diesem Florian Schröder hören mußte nervt einfach nur noch. Diese linke Sprechpuppe erinnert mich irgendwie an meinen alten Parteisekretär, nur dass der wenn er wollte auch witzig sein konnte. Ich will Dieter Nuhr zurück !
          Gruß B. Koslovski

          • Der Dieter Nuhr ist aus ähnlichem Holz wie der Schröder, werter Herr @ Koslovski. Der Nuhr kann das nur gepielt konspirativ besser rüberbringen. Alles linke Nagetiere (Selbstzensur).

  • „In der Geschichte gab es mehrere Moral- und Tugendregime, die den Kreis des Erlaubten immer enger und den der Sünder immer weiter zogen. Girolamo Savonarolas Herrschaft der Eiferer in Florenz (inklusive Kindersturmtrupps, die Fanciulli) Johannes Calvins Diktatur in Genf, Robespierres Jakobinerzeit. Alle dauerten erstaunlich kurz, denn alle übten ihre Macht durch ständige Verschärfung von Anklage und Urteilen aus, wodurch sie unablässig die Zahl ihrer Gegner vergrößerten.“

    Lieber Herr Wendt, ich hätte in keiner dieser von Ihnen als „erstaunlich kurz“ titulierten Zeit leben wollen. Die kurze Zeit der Mauer, der Eiserne Vorhang, der Antikapitalistische Schutzwall, blablabla sollte Ihnen doch Warnung genug sein.
    Zeit ist relativ, Herr Wendt.
    Und das ist kein so leicht dahingesagter Satz. Ein George Floyd, würde mir, würde er noch leben, in diesem Punkt recht geben, da waren bereits acht Minuten zu viel.

    Ungeachtet dessen, ist die Problematik der Moral- und Tugendregime, die zu allen Zeiten ihr Unwesen treiben, sehr gut von Ihnen beleuchtet, wie immer möchte man sagen.

    Ich war schon als Jugendlicher eine begeisterte Leseratte, habe hier bereits einige Leseempfehlungen zum Besten geben dürfen. Darunter auch einer meiner Lieblingsschriftsteller: Stefan Zweig. Habe alle wichtigen Werke von ihm gelesen, wie auch von Hesse, Böll usw. Eine Buchempfehlung möchte ich auch an dieser Stelle kundtun: Zweigs "Castillo gegen Calvin". Es ist voll mit Textmarker, Anstichen und Randbemerkungen, so liebte ich es damals. Das Buch passt zu diesem Thema und der Schreibstil von Zweig ist genauso exzellent wie Ihrer.

  • Super Kommentar. Man merkt (wieder mal), wie sehr dem Autor dieses Thema am Herzen liegt.

    Insofern ist es beachtlich, wenn andere meinen, es gibt keine Cancel Culture. Peng, aus, Ende der Diskussion.

    Zwei Dinge sind für mich von zentraler Bedeutung:

    1. „Das linksliberale Lager unterschätze ihn [den Vernichtungsfuror der Wächterräte] so lange, bis es Leute aus dem eigenen Milieu wie Shor traf.„

    2. „Übrigens kündigte dann doch keiner der erfolglosen Abkanzlerautoren seinen Vertrag mit Rowohlt, sie waren also bereit, weit zu gehen, aber nicht an ihre materielle Schmerzgrenze.“

    Punkt Eins: Kann ich für mich so bestätigen. Bis 2006 überzeugter Spiegel und Spiegel Online Leser. Bis zum Fall Ermyas Mulugeta. Das, was ich über den Fall las, entsprach überhaupt nicht den Veröffentlichungen in lokalen Medien oder dem was ich von Bekannten hörte. Spiegel und Co. erzählten eine eigene Geschichte, die nach Abschluss der Gerichtsverhandlung nichts mit der Realität zu tun hatte. Das war mein „Erwachungsmoment“.

    Punkt Zwei: Genau das, was diese Spezialisten fordern und behaupten, sind sie selbst nicht bereit zu erbringen. Der gängige Tenor lautet doch: Man kann alles sagen. Man muss nur den Gegenwind und die Konsequenzen ertragen. Der Unterschied ist eben nur, dass diese Forderer selbst nicht dazu gedrängt werden, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen und zu kündigen.

  • Ich hatte früher immer gedacht, dass der Mensch vernunftbegabt, also vernünftig, sei. Goethe flüsterte mir dann noch ins Ohr: Edel sei der Mensch, hilfrei und gut. Heute weiss ich, dank der Neurowissenschaften, dass alles, aber auch wirklich alles, was wir "vernuftbegabten" Wesen als Vernunft zu erkennen vermeinen, zunächst erst einmal durch das Kleinhirn muss, also ausgerechnet dort, wo wir Menschen Emotionen empfinden (Daher auch der direkte Zugang der Musik, weil die Ratio noch ausgeschaltet ist). Wären wir Menschen hingegen in der Lage, zunächst die Vernunft einzuschalten, wären all die von Ihnen, Her Wendt, exzellent geschilderten Irrungen und Wirrungen der Menschheit schnell korrigiert. So aber müssen wir uns damit abfinden, dass wir, ein jeder von uns "flawes", also Unzulänglichkeiten, haben, mit denen zu leben ist. Daher ist dem Aufruf zuzustimmen, in der Hoffnung, dass die Ratio/Vernunft gewinnt.

    • Das Welterbe der Menschheit ist und bleibt die Dummheit. (die Gier, der Geiz, die Völlerei sind da nur kleine Zweige des Riesigen Baums Dummheit). Das nicht dazulernen Wollen, nicht vergleichen Wollen, nicht selbstständig denken und handeln und rechtzeitig innehalten Wollen, ist masseimmanent. Dummheit ist so eklig anhaftend wie Hundekot am eigenen Schuh, und genauso schlecht zu beseitigen. Und wer viel unterwegs ist, wird sich diesem überall herumliegenden Kot nicht auf Dauer entziehen können. Dummheit ist eine solide Konstante, auf die man bauen sollte, wenn man nicht tagtäglich enttäuscht werden will. Dummheit vernichtet alles Vernünftige und Rationale, immer wieder, immer wieder aufs Neue. Man studiere die Geschichte, man lese große Biographien. Was ein Einzelner auch immer gedacht und in Gang gesetzt haben mag (Klugheit und Besonnenheit tritt häufig nur singulär, jedoch nie in Masse auf), sei sicher, es wird eher früher als später wieder zunichte gemacht werden. Die Masse flankiert von Ideologen und Propheten sorgt dafür, Hand drauf. Goethe lässt uns im Tasso auch geschliffen wie lapidar wissen: man fühlt die Absicht und ist verstimmt. Ach würde es doch nur bei Verstimmungen diesbezüglich bleiben. Nein, ich sage Ihnen voraus, ohne prophetische Fähigkeiten zu besitzen, das ist erst der Anfang, der Anfang vom Übel. Es wird noch schlimmer kommen, viel schlimmer. Ich persönlich durfte diesbezüglich schon reichlich Erfahrung in meinem Leben sammeln, bin jedoch nicht daran zerbrochen. Und das alles sage ich Ihnen, lieber Libkon, nicht als Pessimist, sondern als gestandener Realist, wie Goethe einer war. Lesen sie meine Buchempfehlung: "Castellio gegen Calvin" von Stefan Zweig oder die "Aphorismen zur Lebensweisheit" von Schopenhauer, und Sie verlieren die Illusion von hilfreich, gut und vernuftbegabt. All das soll es ja irgendwo und irgendwie geben, ja, aber all dies ist vermutlich so selten zu finden wie ein Alpenveilchen oder ein Einhorn.

  • Vielen Dank für diesen erstklassigen Artikel! Schneeflöckchen gab es schon immer. Der Unterschied ist, daß seit schon viel zu langer Zeit sich alle den Schneeflöckchen und ihren bei weitem schlimmeren Stellvertretern unterwerfen. Das ganze wird begünstigt durch ein Bildungssystem, das einen immer höheren Anteil an Menschen produziert, die unterhalb der Möglichkeit bleiben, ein Argument überhaupt auch nur zu begreifen. Daher die Regression auf archaische Denkformen wie Kontaktschuld, Kontamination, religiöse Kategorien und natürlich das Primat des Fühlens. Nichts gegen Gefühle, aber sie müssen immer wieder aus ihrer Hermetik rausgeholt werden. Sowohl durch Kunst als auch durch Realität. Entsteht Terror nicht immer aus einem Mangel an Bereitschaft, sich in seinen Befindlichkeiten irritieren zu lassen?

  • Ein wirklich guter Artikel von Ihnen, dem ich in allen Punkten zustimme. Ich habe den Aufruf auch schon unterschrieben. Den Link sollten Sie vielleicht noch mal besonders hervorheben. In diesen Kontext passt übrigens auch die RBB-Sendung "Corona-Demos - wieviel Radikalität muss die Demokratie aushalten?" vom 1.9.2020. Der "Moderator" Andreas Rausch missbrauchte seine Funktion in unverschämter Weise und entpuppte sich schnell als verbaler Schlagetod gegenüber dem eingeladenen Michael Ballweg, Gründer von "Querdenken 711". Er wurde nur noch übertroffen von seinem Kollegen Olaf Sundermeyer, der sich offenbar nur noch mit Schaum vor dem Mund artikulieren kann. Die Folge waren über 180 Kommentare von Zuschauern, die sich fast ausnahmslos über diese Art von "Debattenkultur" empörten. Das ist die gute Nachricht. Sind irgendwelche Folgerungen seitens des RBB zu erwarten? Nein. Das ist die schlechte Nachricht. Und noch schlimmer: Der ohnmächtige Zuschauer darf solche Rabauken über das GEZ-Zwangsgeld auch noch finanzieren.

  • Wie notwendig der Appell gegen "cancel culture" ist, wird in diesem gescheiten Text offensichtlich. Die Realität totalitärer Rituale kollektiver Unterwerfung untermauert ihn - und es versteht sich von selbst, mit der Gegenwehr zu beginnen, ehe die Guillotinen für die freie Meinungsäußerung aufgerichtet sind. Zeigen wir, wer damit die informelle Macht erringen, Geist, Kultur und Selbstbestimmung durch religiösen Gesinnungskitsch ersetzen will, zeigen wir die neuen Jacobiner als die ebenso lächerlichen wie menschenfeindlichen Figuren, als die sie historisch gescheitert sind. Die fröhliche Wissenschaft soll gelobt und munitioniert sein mit Sektkorken, spitzem Witz und leichter Feder.

    • "You can't fool all the people all the time!" - Sagt der amerikanische Volksmund und wir werden sehen, welche Mehrheit sich in der kommenden US-Wahl durchsetzen wird. Damit sind aber die Unis noch längst nicht zurückerobert und befreit. Die Reconquista des öffentlichen Raumes für die Freiheit muss endlich beginnen. Dafür danke an Sie, Herr Wendt, für ihr geistreiches Engagement! Ich möchte noch ein Thema hinzufügen, das mir die Wut im Bauch zum Kochen bringt: Zwei Mädchen aus meinem engsten Freundeskreis, die eine sogar Mischlingskind mit afrikanischem Vater (der allerdings deutscher denkt als die meisten meiner ehemaligen Schul- und Studienkameraden) wurden in jüngster Zeit vergewaltigt bzw. in dem einen Fall blieb es zum Glück bei dem Versuch, allerdings mit nachhaltigen traumatischen Folgen. In beiden Fällen wurde niemand angeklagt, geschweige denn verurteilt, es gab noch nicht einmal eine Anzeige! Die Täter waren in beiden Fällen nach Schilderung der Mädchen Migranten, der eine sogar entfernt mit dem Mädchen befreundet. Wie ist das möglich in Deutschland zumal nach einer #metoo-Debatte, die wie eine Sau durch die Sprengel der "Qualitätsmedien " gejagt wurde? Wie viele Mädchen, wie viele Familien gibt es noch in diesem besten aller möglichen Deutschlands, denen Ähnliches widerfahren ist und die schweigen? Zum Schweigen gebracht wurden! Welche Verlogenheit dieses #metoo-Rummels! Angesichts dessen kommt mir nur der Zynismus des Edellinken Adorno in seinem Brief an die Eltern hoch wie gallige Kotze: "Ich habe nichts gegen die Rache als solche, wenn man auch nicht deren Exekutor sein möchte - nur gegen deren Rationalisierung als Recht und Gesetz. Also: möchten die Horst Güntherchen in ihrem Blut sich wälzen und die Inges den polnischen Bordellen überwiesen werden, mit Vorzugsscheinen für Juden."

  • Ein ausgezeichneter Beitrag, bei dem es ja nicht nur um die Freiheit sondern auch um die Wahrheit geht. Wer bei uns die Energiewende kritisiert wird öffentlich-rechtlich als Klima-Leugner tituliert, wer das Corona-Masken-Diktat (ff für Schüler) kritisiert ist analog ein Corona-Leugner. Von meiner Mutter (Kriegerwitwe) erfuhr ich, dass man im sog. Dritten Reich Kritik an diesem nur leise und nicht öffentlich kundtun durfte. Hinter der hohlen Hand wurde dann gemurmelt: "Wenn das der Führer wüsste !" Bei meinen Verwandten- und Messe-Besuchen in Leipzig (DDR) erfuhr ich in den 70er-Jahren Vergleichbares. Sind bei uns bald nur noch die Gedanken frei und heißt es Schnauze halten ! Maske drüber ! ? Gott bewahre !

  • Sehr geehrter Herr Wendt!

    Ich schätze einmal mehr Ihre abgewogene und fundierte Gedankenführung. Sie ist gleichwertig zu dem Credo Markworts bei der Werbung für sein Kind, den FOCUS, das er immer in unnachahmlicher Pose den Zuschauern "ins Gesicht" zurief : "Fakten, Fakten, Fakten". Sich dem als Leser "auszuliefern" ist manchmal nicht einfach, aber am Schluss kann ich wenigstens aufatmen "Hier wirst Du nicht von einem Dummkopf, der unkündbar auf seinem Redakteurssessel sitzt, für dumm verkauft".

    Kennen Sie übrigens schon das Sarrazin-Interview in der neuesten JF? Es ist unglaublich, welch geistige Unabhängigkeit dieser (Noch?)-SPD-"Mann" seit Jahren unter Beweis stellt - und von welchen "Banausen" er verrissen wird. Ich erinnere mich lebhaft an seine Zeit als Berliner Finanzsenator. Er sagte damals (sinngemäß): Von Hartz IV kann man leben. Und wenn man im Winter friert, (Halbsatz 1) muss man sich eben einen warmen Pullover anziehen, (Halbsatz 2) wie wir das nach dem Krieg auch mussten" (Er, 1945 geboren, kann das als kleines Kind sehr wohl noch erlebt haben).
    Wie sind da die "Gutmenschen über diesen Barbaren hergefallen", indem sie sich an Halbsatz 1 dadurch abbarbeiteten, dass sie Halbsatz 2 unter den Tisch fallen ließen. Bei Publico (m.E. gab es das damals noch nicht) wäre das nicht passiert. Sarazzin gehört zu den Großen unserer Republik.

    Machen Sie weiter so! Und bleiben Sie dabei gesund!

    Das wünscht sich mit freundlichen Grüßen
    Heinz Albert Friehe

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