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Als würde jeden Tag ein Politikergehirn abstürzen

Bayerns Ministerpräsident Söder stößt in völlig neue Corona-Totenvergleichsdimensionen vor. Übereinandergestapelt reichen die Politikerbinsen mittlerweile bis zum Mond

Mit einem Hauch von Frivolität versucht die Münchner Abendzeitung, die neuen Lockdown-Ankündigungen der Politik auf ihrer Titelseite so zu beschreiben, dass der Kaufimpuls potentieller Leser die rote Linie überschreitet: „Noch härter. Noch länger.“

Ob sich die früher bewährte Mischung von Eros & Thanatos am Kiosk auszahlt, bleibt eine wacklige Vermutung. Die Zeile beschreibt allerdings ein grundsätzliches Problem in Coronazeiten: Wer sich erst einmal entschieden hat, das Infektions- und Sterbegeschehen mit einem Bänkelgesang aus Katastrophenbildern und täglich neu explodierenden Zahlen zu begleiten, der muss sich irgendwann etwas einfallen lassen. Erstens, um sich von anderen im Wettbewerb des Schreckens abzusetzen. Und zweitens, weil Überbietungsmetaphern mittlerweile knapp werden wie Toilettenpapier im Frühjahr.

Als Politiker, der im Wettbewerb um die geringsten Covid-Infektionszahlen zwar nicht ganz vorn liegt, dafür aber in der Kraft-durch-Schrecken-Rhetorik, stößt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder jetzt in ganz neue Dimensionen vor. „Wir dürfen keine Zeit verlieren“, meint der Ministerpräsident: „Die Todeszahlen sind aktuell so hoch, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen.“ Die Größenordnung stimmt ungefähr, das Umrechnen von an und mit Corona Gestorbenen in Passagiere beispielsweise einer Boeing 747 bietet sich als naheliegender Vergleichsmaßstab an. Pro Tag sterben in Deutschland etwa 2400 bis 2600 Menschen, was etwa sieben Flugzeugabstürzen entspricht. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts fallen in Deutschland jährlich 10 000 bis 20 000 Menschen so genannten nosokomialen Infektionen durch Krankenhauskeime zum Opfer.

Auch diese Zahl ließe sich wieder durch die Einheit einer wöchentlich abstürzenden Groß- beziehungsweise täglichen Kleinmaschine plastisch machen, wahlweise durch ein bis zwei explodierende Atomkraftwerke. Fragt sich nur: wem? Wen und was glaubt Söder eigentlich damit zu erreichen? Sehr viele Deutsche wissen, dass es sich bei Covid-19 um eine gefährliche und vor allem für Ältere und Vorerkrankte potentiell tödliche Atemwegserkrankung handelt. Sie gehen nicht leichtsinnig mit dem Risiko um, zumal es sich gerade im Spätherbst und Winter nicht um die einzige Infektionsmöglichkeit handelt. Die meisten brauchen also keinen Ministerpräsidenten, der ihnen Corona- als Absturztote vorrechnet beziehungsweise umgekehrt, ohne damit den allerkleinsten Erkenntnisgewinn zu erzeugen. Wer dagegen nicht an die letale Wirkung des Virus glaubt, dürfte sich auch von Söders Desasterologie nicht beeindrucken lassen.

Politiker und ihre PR-Stäbe lieben plastische Vergleiche, beispielsweise den von übereinandergestapelten 100-Euro-Scheinen, die bis zur Spitze eines schmelzenden Eisbergs reichen, der seinerseits einen Bodensee von anderthalbfacher Saarlandgröße füllen könnte. Ist doch nur eine Metapher!
Das Problem der rhetorischen Kapazitätsüberlastung zeichnete sich schon im Spätsommer ab, als Markus Söder mit Blick auf Corona sagte: „Die Krankenhäuser laufen voll“.

Damals lag die Zahl der intensivmedizinisch betreuten Covid-Patienten in Bayern im zweistelligen Bereich, deutschlandweit im niedrigen dreistelligen. Steigen dann die Zahlen der Erkrankten und Beatmeten tatsächlich an – wie für den Herbst zu erwarten – dann muss ein Politiker, der schon alle herkömmlichen Warnbegriffe verbraucht hat, zwangsläufig in exotische Bereiche ausweichen.
Was bei Söder, einem Karl Lauterbach und anderen auf Dauerbetrieb gestellten Sirenen überhaupt nicht mehr durchdringt, ist die Erkenntnis, dass Viren, Epidemien, Infektionen und auch der Krankheitstod zu den Lebensrisiken zählen, die sich nicht im Bild einer technischen Katastrophe beschreiben lassen. Es ist richtig, Covid-19-Infektionen so weit wie möglich zu verhindern, besonders gefährdete Personen besonders zu schützen und Erkrankte so gut wie möglich zu therapieren, so, wie es auch nötig ist, Krankenhauskeime zu bekämpfen und eine ganz reguläre Grippewelle wie die von 2017/18 einzudämmen, die damals etwa 25000 Tote in Deutschland forderte. Aber auf Null werden sich Infektionsrisiko, Krankheit und Tod nicht drücken lassen. Schon gar nicht mit Textbausteinen, die so klingen, als würde ein Kanzlerkandidatenkandidat schon einmal für seine Lebensverfilmung üben.

Die Frage allerdings, wie weit sich Todesfälle reduzieren lassen, und mit welchen Mitteln: Die sollte ein Politiker durchaus stellen, zusammen mit der Überlegung, ob er von anderen etwas lernen könnte. In Frankreich liegt die Zahl der an und mit Covid-19 Verstorbenen aktuell bei 50 327, in Spanien, das im Frühjahr den härtesten Lockdown der Welt über die Bevölkerung verhängte, bei 43 668. In Japan beläuft sich die Zahl der Toten laut Johns Hopkins Research Centre bis jetzt auf 500, in Vietnam auf 35, in Singapur auf 28, in Taiwan auf sieben. Skeptiker können und werden einwenden: Die drastisch niedrigeren Zahlen aus Ostasien sind alle gelogen. Aber auf Dauer sollte es den Regierungen dort schwer fallen, tausende Tote zu verstecken, zumal es sich bei den Ländern nicht durchweg um Despotien beziehungsweise autokratische Herrschaften handelt.

Auch in Neuseeland und Australien, wo sich die Behörden eher an den ostasiatischen Beispielen orientierten, liegt die Todesrate deutlich unter der in Frankreich, Spanien und anderen westeuropäischen Ländern. Für den sehr viel besseren Corona-Verlauf in Ostasien gibt es etliche Gründe. Nach der Erfahrung mit SARS waren sie besser auf eine Virusepidemie vorbereitet, sie ergriffen sehr früh Maßnahmen wie Einreisekontrolle und Quarantäne, während in Europa noch im März Großveranstaltungen stattfanden. Es hilft, dass in der ostasiatischen Kultur körperliche Nähe eher gemieden wird, ganz anders als in der südeuropäischen. Dafür ist die Neigung größer, staatliche Maßnahmen zu akzeptieren. Im Vergleich fällt aber auch auf, dass die Regierungen ostasiatischer Länder sehr früh ihre Maßnahmen setzten, und sie dann beibehielten. Sie muteten ihren Bürgern keinen ständigen Strategiewechsel zu, keinen Noch-länger-noch-härter-Überbietungswettbewerb, kein Crescendo der Katastrophenrhetorik.

Vor allem fehlt in Ostasien augenscheinlich eins: Der Versuch wie in Westeuropa, Corona als Schwungmasse für Gesellschaftsumbaupläne zu nutzen, für den „Great Reset“, den großen Neustart, den beispielsweise der Chef des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab bewirbt, aber auch die EU-Kommission, die Grünen und ihre medialen Trabanten. Zwischen Singapur und Seoul kommen Fernsehprediger wie ARD-Chefredakteur Rainald Becker kaum vor, die das Virus geradezu als Helfer für den großen Sprung nach vorn feiern: „Der Status quo ante – also zurück zur alten Normalität – ist vielen Wirrköpfen, die sich im Netz unter Widerstand 2020 und anderen Namen tummeln, nachgerade ein Herzensanliegen“, trommelte Becker bekanntlich: „All diesen Spinnern und Corona-Kritikern sei gesagt: Es wird keine Rückkehr zur Normalität mehr geben.“

Die nächste Runde mit Angela Merkel, Markus Söder und den anderen apokalyptischen Vorreitern könnte sich doch einmal mit der Frage befassen: ’Glauben Sie, dass das Gerede vom großen Neustart und Nie-mehr-Normalität der Akzeptanz alltäglicher Corona-Maßnahmen a) eher nützt oder b) eher schadet?’

In Singapur gibt es das Programm TraceTogether; wer sich durch die Stadt bewegt, muss sich mit seinem Smartphone im öffentlichen Verkehr, in Läden und in Restaurants ein- und auschecken und damit eine umfassende Datenspur hinterlassen. Dafür bleibt aber das Wirtschaftsleben mit kleinen Einschränkungen intakt. Diesen stillschweigenden Gesellschaftsvertrag scheinen die meisten Einwohner zu akzeptieren. Es mag deutsche Politiker irritieren: Aber offenbar überzeugt der Versuch, so viel Normalität wie möglich zu erhalten, die meisten Menschen besser als das Gegenteil. Vor Kurzem stellten Marina Rudyak vom Centrum für Asienwissenschaften der Universität Heidelberg, der Experte für globale Technologiepolitik Maximilian Mayer von der Universität Bonn und der Soziologe Marius Meinhof in der Neuen Zürcher Zeitung die Frage: Warum sind die meisten Politiker hierzulande so wenig bereit, von asiatischen Ländern zu lernen?

„Statt einer gesunden Portion Neugier darauf, welche politischen, organisatorischen, technischen und medizinischen Maßnahmen den fulminanten Erfolg gegen Covid-19 in Asien ermöglicht haben“, stellen die Autoren fest, „dominiert Ignoranz“. Mustergültig zeigt sich das an der Berichterstattung der „Tagesschau“ vom 18. November, dem Tag, als Bundestag und Bundesrat das „Dritte Bevölkerungsschutzgesetz“ im Eilverfahren verabschiedeten.
Neben ihrem Tatütata-Journalismus über die bevorstehende Invasion Berlins durch protestierende Reichsbürger und Nazis meldeten die ARD-Medienschaffenden auch atemlos einen „neuen Tagesrekord“ von Covid-Neuinfektionen in Tokio, um diese Zahl dann gleich mit Spekulationen über die Olympischen Spiele 2021 zu verknüpfen. Der Subtext lautete: Auch in Asien brechen gerade alle Dämme. Die Zahl der Neuinfektionen für Tokio lag an diesem Tag bei 493; in der Stadt leben gut 38 Millionen Menschen. „Tagesrekord“ bedeutet also: An den anderen Tagen des Jahres 2020 rangierte die Zahl der Covid-Neuinfektionen in der Metropole noch unter dieser schon extrem niedrigen Quote.

Markus Söder als ausgewiesener Star Trek-Liebhaber mag sich als Captain Kirk der Pandemiepolitik sehen. In Wirklichkeit ähnelt er eher Kapitän Francis Queeg in dem Film „The Caine Mutiny“ („Die Caine war ihr Schicksal“), einem Kommandeur, der sich in Details verbeißt, ständig Disziplin und Ordnung fordert, konfuse Befehle erteilt und die Mannschaft mit seinem rastlosen Herumfuhrwerken in den Wahnsinn treibt. Am Ende verliert er übrigens sein Kommando.

Die Länder Ostasiens bleiben offenbar nicht nur von tausenden Corona-Toten verschont, sondern auch von Politikern und Kommentatoren, die im aufmerksamkeitsökonomischen Wettbewerb auf keinen wöchentlichen Inzidenzwert von maximal 50 blödsinnigen Sprachbildern und Vorschlägen mehr achten. Was Söder das abstürzende Flugzeug, ist Karl Lauterbach das Böllerverbot zu Silvester, Saskia Esken der nächste Plan für coronabegründete Steuererhöhungen und Margot Käßmann die theologische Engführung, warum es kein Recht auf Weihnachten gibt. Deren Begründung lautet: weil auch Maria und Joseph damals nur im kleinen Kreis zusammenfanden. Allerdings gab es in der Heiligen Nacht auch noch keine Kirche und keine Staatskirchenleistungen. Es gab noch nicht einmal VW-Limousinen, Bommerlunder und Ampeln in Hannover, und es gibt bis heute kein Recht für die Schreckschraubenbeauftragte der EKD, ernst genommen zu werden.

In dieser Kakophonie gehen leisere Stimmen wie die des Mediziners Matthias Schrappe fast unter. Der frühere stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates Gesundheit plädiert beispielsweise dafür, bei PCR-Tests nicht nur einfach zwischen positiv und negativ zu unterscheiden, sondern anhand des CT-Werts auch zu fragen, ob eine Person tatsächlich infektiös ist. Er wirbt auch dafür, nicht flächendeckend allen das Gleiche zu verordnen, sondern besonders gefährdeten Gruppen einen deutlich besseren Schutz zu bieten. Er schlägt also vor, die Gefahr zu skalieren. Das ist natürlich anstrengender als die Erfindung dpa-tauglicher Umrechnungsgrößen für Tote.

Das Recht der Bevölkerung, von seinen steuer- und abgabenfinanzierten Forderern, Fuchtlern und Fernsehgrößen nicht in den Wahnsinn getrieben zu werden, gibt es dagegen durchaus, unter anderem abgeleitet aus dem ersten Verfassungsartikel.
Corona samt seiner ökonomischen Folgen ist schon schlimm genug. Die Begleitmusik dazu muss nicht auch noch so klingen, als würde jeden Tag ein Flugzeug auf dem Hausdach landen.

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

 


 

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Kommentare anzeigen (47)

  • Aber Trotz dem leben wir ja im "besten...je gab". Der Schwerpunkt liegt auf Trotz. Wohlan...

  • Dank für diesen Artikel, Herr Wendt!
    Erstaunlich aber ist, wieviele Menschen (bis in meine Familie hinein) den Herrn Söder als "zupackenden Macher" mit einer "kämpferischen Rhetorik" verstehen! Mir ist das unbegreiflich, denn meine eigene Analyse zu den Söder-Auftritten an der Seite seiner Kanzlerin bzw. auch solo hat mich zu ähnlichen Betrachtungen, wie Sie sie im Artikel anstellen, geführt.
    Man kann nur hoffen, dass der Enthusiasmus mancher Zeitgenossen einer (bei immer mehr sich verhärtenden "Corona-Maßnahmen") gelasseneren Betrachtungsweisen und wirklichen Erkenntnissen, die Hohlheit dieses Menschen und dieser Argumentationen betreffend, weicht.

    Hoffentlich kriegt Bayern den Söder bei den Eiern! (würden wahrscheinlich Amerikaner sagen)
    Und wir diesen polternden Demagogen nicht auch noch als Bundeskanzler-Kandidaten!

  • Das ist halt die Crux mit der Politik, wenn in ihr primär Personen agieren, deren Bildung auf Einbildung basiert und deren Wissen sich aufs Intrigieren beschränkt. Ansonsten gilt was seinerzeit Karl Kraus meinte: Von einer Regierung verlange ich vorausschauende Verwaltung, empathisch bin ich selber.

    • Wenn diese Politk-Nullen statt 'Intrigieren' in der Schulmathematik 'Integrieren' ansatzweise gelernt hätten, könnten sie einmal anfangen, sich mit der Physik der Atmosphäre zu beschäftigen.

  • Ich sage jetzt leider nichts Neues, aber diese Art von Politkern sind das Problem, und nicht die Problem-
    Löser. Das ist allerdings schon sehr lange absehbar. Professor von Arnim hat dazu schon vor langer Zeit einige gute Bücher geschrieben. Diese Sorte von Politikern verfügt in erster Linie über eine gestörte Psyche, gespeist von Machtgier, Ahnungslosigkeit und grenzenloser Selbstüberschätzung. Was dagegen sehr dünn gesät ist bei dieser Art von Mensch, sind eine wirkliche allumfassende Bildung, eine anständige Biografie, Freunde und eine charakterliche Eignung für irgendeinen Beruf mit Verantwortung.

    • Dieses Phänomen zeigen alle Politkbereiche: Klimahysterie, Energie'wende'versuch zu Zappelstrom, Euro'rettung' durch grenzenlose Geldverehrung und noch einige mehr. Lustig ist, dass die Politker umso lauter kreischen, je ungebildeter sie in der Sache sind. Das hochkomplexe Thema Klima ist ein Lehrbeispiel dazu. Eine 16jährige und grüne Studienabbrecher glauben am besten zu wissen, wie Strahlungsphysik der Atmosphäre funktioniert.

  • Bin über die Argumentation verwirrt.

    ► Wie kann man der Politik Versäumnisse vorwerfen und gleichzeitig einen Überbietungswettberb? Worin soll dieser überhaupt bestehen? Die Regierung hat chronologisch von Anfang an jedesmal spät reagiert.

    ► Ist die ostasiatische Version nicht die denkbar höchste Spitze der Überbietung?

    ► Warum sollten der Situation angegpasste Maßnahmen schlechter sein als eine einmal festgelegte und zudem drastische Konstante wie in Ostasien?

    ► Hätte die deutsche Bevölkerung ostasiatische Maßnahmen überhaupt akzeptiert, wo wir doch keine Kultur des körperlichen Abstands kennen, uns um Datenschutz und Freiheit Sorgen machen und auch nicht x-Mal unnötig in Quarantäne kommen möchten, wenn im Häusercaree oder am Arbeitsplatz immer mal wieder eine Person Corona hat. In Ostasien greifen die Behörden rigoros durch. Von wegen „normaler Betrieb“!

    Dass es um körperliche Distanz gehen muss, gilt auch in Deutschland. Darauf zielen die Maßnahmen unserer Regierung.

    Das große Ganze im Auge behalten! Dann versteht man auch, warum Söder & Co die neuen Maßnahmen der Bevölkerung verkaufen muss. Er muss vor allem diejenigen erreichen, die bislang immer noch nicht erreicht sind, weil sie sich dagegen sperren oder auch einfach nur im Alltag saumselig sind. An dieser Stelle würde ich bei Zahlenvergleichen nicht kleinlich sein. Die große Botschaft der Politik lautet zusammengefasst: „Die Sache ist brisant und wichtig – also haltet Abstand wo immer es geht.“

    Der „mündige“ Bürger ist es, der in der Epidemie eine schlechte Figur macht. Eine Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme wie in Ostasien gibt es bei uns deutlich weniger und bei manchen gar nicht. Die Politik muss ihnen hinterherlaufen.

    • Sehr geehrter Herr Wolkenspalter, 

      die Argumentation des Textes ist eigentlich nicht geeignet, jemanden zu verwirren. In dem Beitrag geht es um einen rhetorischen Überbietungswettbewerb unter Politikern (und Medien). Und der kann durchaus zu inkonsistenten und widersprüchlichen Maßnahmen passen. Im Fall Söders gibt es ja einen offensichtlichen Kontrast zwischen seiner Kraftrhetorik, die ihn als starken, zupackenden Führer beschreiben soll, und der außerordentlich mäßigen Bilanz der Corona-Eindämmung in dem von ihm regierten Bundesland. Bundesweit ist die katastrophische Wortwahl zumindest gut geeignet, um praktischen Fragen auszuweichen, wie sie beispielsweise der Mediziner und frühere Vizevorsitzende des Sachverständigenrates Matthias Schrappe stellt, nämlich, warum bisher so wenig zum Schutz von Alten- und Pflegeheimen unternommen wurde.

      Sie fragen: "Warum sollten der Situation angegpasste Maßnahmen schlechter sein als eine einmal festgelegte und zudem drastische Konstante wie in Ostasien?“ Damit unterstellen Sie erstens, die Maßnahmen in Deutschland und Europa seien an die Situation besonders gut angepasst. Angesichts der realen Ergebnisse, vor allem der Zahl der Toten, spricht allerdings nichts dafür. Was Sie mit „drastischer Konstante“ meinen, erschließt sich mir nicht. In Singapur und Taiwan etwa gab es ja gerade keinen totalen Lockdown wie in Spanien und Frankreich. Die totale Lahmlegung des wirtschaftlichen Lebens scheint mir ein sehr viel drastischerer Eingriff zu sein als Quarantänemaßnahmen und Einschränkungen, die das gesellschaftliche Leben aber nicht zum Erliegen bringen. Vor allem sind es die Zahlen selbst, die dafür sprechen, dass wir in Europa von Ostasien lernen können: 43000 Tote in Spanien, 500 in Japan, um ein Beispiel herauszugreifen. In den ostasiatischen Ländern sehe ich auch keinen politischen und medialen Überbietungswettbewerb um immer schrillere Katastrophenbegriffe und immer ausgefallenere Einzelmaßnahmen („Böllerverbot“). Mir erschließt es sich also nicht, warum Sie meinen, die Seuchenbekämpfungsstrategie in Taiwan bis Südkorea sei die "denkbar höchste Spitze der Überbietung“. Überbietung bedeutet, eine Formulierung und eine Maßnahme am besten im Tagesrhythmus mit der nächsten zu übertrumpfen. Davon ist in Ostasien nichts zu sehen. 

      Dass viele Maßnahmen in Ostasien nicht ohne weiteres in Deutschland akzeptiert würden, schreibe ich ja in meinem Text. Ihre Formulierung „in Ostasien greifen die Behörden rigoros durch. Von wegen 'normaler Betrieb'!“ lässt mich offen gestanden ratlos zurück. Dass Behörden in Singapur, Taiwan, Südkorea und China Anordnungen mit teils empfindlichen Strafen durchsetzen, gehört dort ja gerade zur breit akzeptierten Normalität. Das war schon vor Corona der Fall, und beschränkt sich auch nicht auf Corona. Es wird also von den allermeisten nicht als Bruch der Normalität empfunden. Ich plädiere auch gar nicht, wie Sie nachlesen können, dafür, alle Maßnahmen ostasiatischer Länder einfach zu übernehmen. Ich werbe dafür, sich anzusehen, was wir von diesen Ländern für unsere Situation lernen können.

      Sie schreiben, Söder müsse eben mit seiner Rhetorik von Flugzeugabstürzen "die Maßnahmen" „der Bevölkerung verkaufen“. Ich bezweifle – und darum geht es in meinem Text – dass sprachliches Gefuchtelt dazu geeignet ist. Ich glaube, dass er damit wenn überhaupt eher das Gegenteil erreicht.
      Schließlich meinen Sie: "Der ‘mündige‘ Bürger ist es, der in der Epidemie eine schlechte Figur macht. Eine Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme wie in Ostasien gibt es bei uns deutlich weniger und bei manchen gar nicht. Die Politik muss ihnen hinterherlaufen.“ Ich nehme das anders wahr. Soweit ich es beobachten kann, tragen in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Läden nahezu 100 Prozent der Menschen eine Maske. Die allermeisten halten auch Abstand. Aber vielleicht unterscheidet das unsere Wahrnehmung, möglicherweise nehmen Sie vor allem die wenigen Ausnahmen wahr und setzen dort mit Ihren Schlussfolgerungen an. Mein Menschenbild ist es jedenfalls nicht, dass die Bürger schlechthin unverantwortlich sind und von "der Politik“ auf Schritt und Tritt beaufsichtigt und ermahnt werden müssen. 
      Um noch einmal auf den Punkt weiter oben zurückzukommen: Vor allem interessiere ich mich für den messbaren Erfolg von Strategien. Wenn die Zahl der Toten in einer weltweiten Viruserkrankung zwischen verschiedenen Weltteilen so drastisch voneinander abweicht, dann wird das nicht nur an einem Grund liegen. Aber es sollte doch ein vernünftiger Ansatz sein, den Ursachen nachzugehen. Genau damit beschäftigt sich mein Text.

      Alexander Wendt

      • "Ich glaube, dass er damit wenn überhaupt eher das Gegenteil erreicht."

        Bei mir: ja.
        Ich mache bewusst nicht das, was solche Sprücheklopfer von mir (der Bevölkerung) verlangen. Weil, wie es weiter oben jemand schreibt:
        "Diese Sorte von Politikern verfügt in erster Linie über eine gestörte Psyche, gespeist von Machtgier, Ahnungslosigkeit und grenzenloser Selbstüberschätzung. Was dagegen sehr dünn gesät ist bei dieser Art von Mensch, sind eine wirkliche allumfassende Bildung, eine anständige Biografie, Freunde und eine charakterliche Eignung für irgendeinen Beruf mit Verantwortung."
        Sollten letztere mir etwas sagen, erklären, ja, vorschreiben, wäre ich gerne bereit, zuzuhören und ihnen zu folgen.

      • Sehr geehrter Publico (Alexander Wendt selber?)

        Offensichtlich sind beim Lesen meines Textes Fehlinterpretationen zustandegekommen, die sich aus meinem Text defintiv nicht ergeben und auch nicht so gemeint waren.

        Ich will an dieser Stelle nicht in den Clinch gehen, um die mehreren Punkte geradezurücken. Mal geht es um Vergleich von Prinzip mit Prinzip (ohne Hintergedanken, was „besonders gut“ sein soll), mal einfach nur um Mangel an Information, welchen anderen Preis der vermiedene Lockdown in Ostasien hat. Von nichts kommt Nichts. Das sollte plausibel sein. Dort ist man mit vorbeugender Quarantäne sehr umgriffig und rigoros – und die allermeisten Betroffenen sind Gesunde. Das kann einem mehrmals passieren. Ein versteckter Lockdown anderer Art. Übrigens ist unser Lockdown nicht „total“, wie Sie schreiben. Ich weiß gar nicht, wie ich mit so viel aufgeladenem Wumm umgehen soll. Darum lasse ich es als Meinung stehen – real ist es nicht.

        Ansonsten muss man über subjektive Einschätzungen nicht nochmal im Detail streiten. Haben Sie wirklich ein Gefühl, was unter dem Strich nutzt bzw. kontraproduktiv ist – bei wem und wievielen? Sie müssen das jetzt nicht alles schreiben, aber ich stelle mir auch mal eine Art Langzeitbilanz eines Publizisten vor, die Sie im Stillen machen können. Dazu eine Frage: Was ist für Sie Erfolg? Wie messen Sie ihn? Ist er eingetreten, bahnt er sich wenigstens an, oder geht es sogar in die andere Richtung? Und was macht das mit Ihnen?

        Meine anderen Kommentare kennen Sie ja.

        • Sehr bezeichnend finde ich Ihre abschließende Frage:

          "Und was macht das mit Ihnen?"

          Darum erlaube ich mir den Hinweis auf einen anderen Artikel von Herrn Wendt:

          https://www.publicomag.com/2020/11/scholl-und-hitler-fuer-alle/

          Dort heißt es z. B.:

          "Ständig muss die Frage erörtert werden, was das mit uns macht, der mental load, diese tägliche Entscheidung, ob man heute gegen den 156 Jahre alten Faschismus, den globalen Klimatod oder mit den Tränen kämpfen soll."

          Oder gegen Corona ... oder gegen Rassismus. Oder ... Weiter schreiben Sie:

          "Ich weiß gar nicht, wie ich mit so viel aufgeladenem Wumm umgehen soll."

          Ich bei Ihnen auch nicht. "Darum lasse ich es ..."

    • Man kann es versäumen, sinnvolle oder zumindest erfolgversprechende Maßnahmen zu ergreifen, nicht beratungsresistent zu sein, übersteigerte Aktionen bei offenkundiger Erfolglosigkeit auch wieder zurückzufahren und sich gleichzeitig in einen verrückten Überbietungswettbewerb hineinsteigern. Genau das bekommen wir gerade geboten und das legt Herr Wendt m.E. schlüssig dar. Ihre Verwirrung verwirrt diesbezüglich wiederum mich. Sie stammt vermutlich daher, dass Sie eine katastrophale Pandemie mit bisher nicht dagewesenen Verheerungen und entsprechendem Bedarf an durchgreifenden (milde ausgedrückt) Maßnahmen der Politik erkennen, Herr Wendt das aber offensichtlich etwas tiefer hängen möchte. Er hat für seine Sichtweise auch einige, m.E. einleuchtende Gründe genannt. Sie übergehen hingegen gleich mal die Begründung, sondern setzen schlicht voraus, dass Maßnahmen der Politik je härter desto mehr helfen würden und allein deswegen nicht wie gewünscht wirken, weil einige "saumselig" sind. So könnte ich mir zumindest Ihre Verwirrung erklären...

    • Gut argumentiert. Ich habe Wendts Beitrag - wohl aus grundsätzlicher Sympathie - zu unkritisch gelesen. Danke für diese Einwendungen.

    • Auf Ihren Kommentar kann ich nur antworten: Operation gelungen, Patient tot. Und ja, es gibt Alternativen, die nicht das ostasiatische Modell beinhalten (z.B. KBV, Arbeitskreis evidenzbasierte Medizin, Great Barrier Declaration, usw.). Merkel, Söder und Co. ignorieren diese komplett. Die haben ja nicht einmal verlässliche Zahlen, mit denen sie ihre Entscheidungen begründen könnten. Wie sagte das ehemaliges Mitglied des Saxhverständigenrates im Gesundheitswesen, Prof. Schrappe, im ZDF Interview: Die Zahlen des RKI sind das Papier nicht wert, auf die sie gedruckt sind.

  • Es mag ja sein, dass pro Tag ein Äquivalent einer Flugzeugfüllung das Zeitliche segnet. Aber fliegt man deshalb weniger? Fressen, saufen und rauchen die Menschen weniger, obwohl jeden Tag 800 Menschen an kardiovaskulären Erkrankungen sterben, 600 an Krebs und 50 an Alkoholmissbrach? Pro Jahr sterben in Deutschland ca. 950.000 Menschen. Soll man deshalb das Leben verbieten oder gar Suizid aus Angst vor dem Tod begehen?

    Der Mensch sollte in seinen Entscheidungen frei bleiben und sich nicht von unqualifizierten Politikern Denken, Demonstrieren, Arbeiten, Reisen und Sport verbieten lassen.

  • "Von Ostasien lernen"? Na ja, so pauschal gilt das halt nicht. Schließlich liegt die VR China auch in Ostasien, und die hat der Welt wohl den ganzen Schlamassel eingebrockt (was merkwürdigerweise überall unter den Teppich gekehrt wird).

  • Das allseits kritisierte Schweden hat mit relativ laxen Corona-Maßnahmen, bei ca. 10 Millionen Einwohnern, bis jetzt 6622 Corona-Tote zu beklagen. Spanien hat gut 47 Mill. Einwohner, sehr strenge Corona-Maßnahmen, und 44374 Tote. Belgien hat, bei 11 Millionen Einwohnern und strengen Maßnahmen, 16219 Tote.
    Also irgendwie scheint die Gleichung "länger + härter = weniger Coronatote" nicht so ganz aufzugehen. -
    Die 'case-fatality ratio' ist laut Johns-Hopkins-Webseite in Frankreich insgesamt 2,28%, in der Lombardei 5,4%, in Latium 1,98%, in Kampanien (Neapel) 1,02%, in Madrid 3,29%, in Andalusien 1,69%; in Baden-Württemberg 1,84%, in Berlin 0.85%, in Österreich 1,06%. Es spielen also offensichtlich eine Vielzahl von Variablen eine Rolle - sonst würden die Zahlen innerhalb eines Landes (auch bei ähnlichen oder landesweit gleichen Maßnahmen) nicht so differieren.

  • Daß in Asien viel weniger Coronatote gezählt werden kann eventuell auch daran liegen, daß Asiaten eine höhere Immunität aufweisen. Immerhin kommt das Virus ja aus Asien. Es sollen ja auch Schwarze in den USA stärker betroffen sein als Weiße.
    Im Übrigen sollten Sie die Frage stellen warum Sie von keiner Stiftung gefördert werden. Grundsätzlich darauf verzichten sollten Sie nicht. Von denen, von denen Sie nicht gefördert werden wollen, bekommen Sie sowieso nichts. Aber andere Menschen, denen Wahrheit etwas bedeutet, könnten Ihnen doch was stiften.

    • Ich will mich eigentlich nicht in das Spendenwesen einmischen, kann mir aber denken, dass Stiftungen dort am ehesten Spenden, wo sie eine Sache nicht schon für verbrannt halten. Das muss gar nicht an einem selber liegen, es kann auch durch Bad Neigbourhood geschehen, dort wo man (auch) schreibt.

      Dafür wird man sich als Konservativer oder Liberaler sicher keinen Rat von Links holen. Wie aber sieht die Sache aus, wenn sogar Konservative, die jemand als politische Freunde betrachtete, Abstand von einem nehmen, wie z.B. Friedrich Merz, der die Annahme eines Stiftungspreises aus der Hand eines konservativen Marktwirtschaftlers verweigerte oder Hugo Müller-Vogg, der im liberal-konservativen Blog derselben Person nicht mehr schreibt und seine Kolumne „Gegen den Strom“ mit sämtlichen Publikationen sogar komplett löschen ließ. Und das ist noch nicht alles an Pleiten und „freiwilligen“ Rückzügen.

      Das Problem nebst gravierender Patzer eindeutig jenseits der roten Linie im Einzelfall, die sich ins öffentliche Gedächtnis einprägen, dürfte sein, dass man sich notorisch auf Regierungskritik eingeschworen hat, und sich selber zwingt, tagtäglich Begleit- und Nebensachen (die sowieso nur gemäß Meinung Fehler sind) groß aufzublasen und vernichtend auf die Regierung einzudreschen…

      …d.h. nicht, wie es in beispielhafter Publizistik sein sollte, ergebnisoffen, ohne personalisierte Aversion gegen Akteure, Für und Wider fair abwägend an jede neue Angelegenheit heranzugehen.

      Wer das (falsch) tut, ist für seriöse Politik verbrannt und im übrigen vorhersehbar. Wenn die Politik etwas beschließt oder auch vorher erst mal darüber diskutiert, dann ist er dagegen. Über die politische Unbrauchbarkeitkeit solcher Haltung in einer Demokratie will ich erst gar nicht reden.

      Wir bräuchten hervorragende Publizisten, die über den Lagern stehen. Ich bin Optimist und denke, dass man das entwickeln kann.

      • "[...] wie es in beispielhafter Publizistik sein sollte, ergebnisoffen, ohne personalisierte Aversion gegen Akteure, Für und Wider fair abwägend an jede neue Angelegenheit heranzugehen [...] Wir bräuchten hervorragende Publizisten, die über den Lagern stehen."
        So ist es. In Amerika gibt es solche Publizisten bereits.

      • Ich bedauere es übrigens, dass Herr Wendt zu Tichy gegangen ist und sich den von Ihnen beschriebenen Zwängen aussetzt. Würde er sich zum Beispiel einmal die Aufgabe stellen, die komischen Aspekte von Reitschuster et al oder die Dummheit vieler AFD-Slogans oder einfach mal zur Abwechselung den Hass von rechts oder oder oder in einem Text zu behandeln, wäre das sicher köstlich - niemand könnte das besser als er. Aber von wenigen Ausnahmen der letzten Jahre abgesehen, setzt er sein rhetorisches Talent vor allem für Erwartbares ein und dafür, dem auf mich immer platter und bemühter wirkenden "WIR-SIND-DAGEGEN-LAGER" zu gefallen. Hierzu gehört auch die gezielte und unkritische Platzierung rechter Topoi ("great reset") oder "Kraft-durch-Schrecken-Rhetorik" (will sagen: Söder ist der wahre Nazi (,Kraft-durch-Freude'); wobei er solche Näherungen sonst kritisiert: "Die Vergleiche und Näherungen zu Hitler und dem Nationalsozialismus sollte jeder so sparsam verwenden wie, sagen wir, Vergleiche und Näherungen in bezug auf Stalin und Pol Pot"). Er könnte es besser, konsistenter, geistig freier; er hätte es intellektuell nicht nötig; Publico hätte eine intelligentere Version von "Übermedien" sein können - mit fraglos konservativerer Ausrichtung, aber geistiger Offenheit. Warum er diesen Weg gegangen ist, bleibt sein Geheimnis. Vermutlich wollte er es sich einfach nicht mit allen verscherzen, vermutlich war es einfacher und mit weniger Risiko verbunden oder lag in der Logik unserer zersplitterten Öffentlichkeit.

        • Halte das für Quatsch. Vielleicht wäre mehr drin, wenn er freier alles schreiben würde, was durch seinen klugen Kopf geht, aber der Erfolg gibt ihm recht. Er muss davon leben.

        • Aha, auch hier sind schon die Spalter unterwegs. ;-)
          Ich bin sehr zufrieden mit Tichy & Co. Die alternativen Medien haben sich auf Merkel- und Regierungskritik spezialisiert, weil sich die Mainstreammedien zunehmend nicht mehr als "Vierte Gewalt" verstehen, sondern nur noch als Propagandaorgane der Herrschenden. Entsprechend lückenhaft ist ihre Berichterstattung. Wenn die alternativen Medien jetzt auch noch anfingen, um Merkel & Co. herumzuschleimen, sich gegenseitig zu kritisieren und zu zerfleischen, verlören sie ihre Akzeptanz und ihre Daseinsberechtigung.
          Da ALLE Mainstreammedien die AfD ohne Unterlass brutalstmöglich angreifen, kritisieren und dämonisieren, finde ich es ganz erholsam, dass ich diese permanente Medienhetze gegen die AfD nicht auch noch bei Tichy und Co. lesen muss. Tichy ignoriert die AfD komplett, hat KEIN freundliches Wort für sie übrig, dämonisiert sie aber auch nicht so, wie es die Mainstreammedien landauf landab permanent praktizieren. Ich denke, dass Tichys Einblick bisher ganz gut mit dieser Startegie gefahren ist.

        • Vielen Dank für Ihr positives Feedback, @Sepp. Ich hätte mit sowas gar nicht gerechnet.

          Dazu Folgendes:
          1) Auch in Deutschland findet man „solche Publizisten“, die in Richtung der aufgezeichneten Spezifikation liegen. Mir fällt dazu Wolfram Weimer ein.

          2) Zu Alexander Wendt (und weil wir hier sind) nur noch eine Bemerkung: Ich kenne weder seine finanzielle noch seine eventuellen vertraglichen Situationen, weshalb (und auch sonst) ich mit ihm nicht weiter ins Gericht gehen will.

          Ich kann also nur gedankliche Anregungen geben. Dazu eine Beobachtung von mir, fast eine Art Selbstversuch. Ich hatte mehrere Monate ausgesetzt, die „alternativen“ Publikationen zu verfolgen. Aus dem zeitlichen Abstand sieht man Entwicklungen und Trends deutlicher als wenn man tagtäglich nur kleine Veränderungen miterlebt bzw. produziert, und diese auch nicht stetig, geradlinig verlaufen. Aus dem Abstand sehe ich nun, wie sehr sich die alternative Publizistik in ihre Sache regelrecht verbissen hat und zwar immer mehr und stringenter. Und ich glaube, dass der eine oder andere Publizist zu Beginn bzw. vor längerer Zeit dies von sich selber eigentlich gar nicht wollte. Er wollte genau die Ansprüche erfüllen, die ich aufzeichnete und die Sie bestätigten. Sich mit einer Sache bzw. einem Lager nicht gemein machen… und das andere Angesprochene, das handwerklich dazugehört.

      • Das liest sich ein bißchen so, als wollten Sie Herrn Wendt ganz unauffällig auf seine "bad neighborhood" hinweisen und andeuten, dass Kontaktschuld gar kein unmodernes Konzept ist. In heutigen Zeiten kommt mir da unwillkürlich der Verdacht, dass das nur die erste, noch fast aufmunternd gestaltete Stufe ist, bei der man höchstens mal auf die Beule in der Jackentasche zeigt. Es scheint allerdings so zu sein, dass es immer und überall ein paar Wenige gibt, die aufmucken, ihre eigene Meinung haben und sagen und schreiben und sich gar erdreisten, eine Regierung als verbrannt anzusehen. Und diese Regierung dann nicht nur in Einzelfragen, sondern von ihrem gesamten Ansatz her kritisieren. Und stellen Sie sich vor, solche Typen fragen sich gar nicht mal danach, ob man das in einer Demokratie gebrauchen kann und ob das Herr Merz gut findet! Am Ende ist vielleicht der Wendt ein gar solcher?!

        • Ihr Kommentar erinnert mich außerdem an den Parteisekretär im Kombinat, der mit gespielter Empörung ausruft "Aber Genossen! Selbstverständlich kann bei uns jeder konstruktive Vorschläge zur noch stärkeren Verbesserung des Sozialismus machen. Nur leider sind da viele Störenfriede, die vom Klassenfeind gesteuert sind und denen geht es gar nicht um konstruktive Kritik. Die wollen unseren Sozialismus abschaffen! Das können wir doch nicht dulden!"
          Und übrigens: ich brauche keinen Publizisten, der über den Lagern steht (oder besser gesagt: so tut, als ob). Ich will nur nicht für Publizisten des anderen Lagers bezahlen und mich gar von ihnen beschimpfen lassen!

      • Den glänzenden Nasenring, an dem hier sehr fleißig geschmiedet und gefeilt wird, erkennt hoffentlich auch Herr Wendt. Wenn nicht, überlasse ich Ihnen Herr Wolkenspalter und dem Herrn Sepp, (was für ein einig Team hier in dieser Sache) gerne das Feld. Das ist mir zu durchsichtig, zu wohlfeil. Da spiele ich nicht mit.

  • "Schreckschraubenbeauftragte der EKD" ... das war nicht nötig und ist unter Ihrem Niveau.