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Der Absteiger kommt

Die SPD trennte sich von allem Altmodischen. Ihr Los ist kein Einzelschicksal. Kevin Kühnert sollte die Partei auf den letzten Metern führen

Die SPD zerfällt in zwei Flügel: den ihrer Ex-Vorsitzenden, und den ihrer Mitglieder, denen noch eine Chance bleibt auf das schönste Verweseramt neben dem Papst (so etwa F. Müntefering). Es handelt sich um eine Partei, die sich im Streit zerfleischt, was die Bordkapelle spielen soll, während das Vorschiff schon unter der Wasserlinie steht.


Alle Scherze über die SPD sind gemacht. Trost bietet den Sozialdemokraten nur die Gewissheit, dass sie kein Einzelschicksal erleiden. Die französischen Sozialisten pulverisierten sich bei der letzten Parlamentswahl selbst. Die tschechischen Sozialdemokraten schrumpften zu einer Kleinpartei mit einem Stimmenanteil von gut sieben Prozent; Ungarns Sozialisten halbierten ihren Wähleranteil, Israels Arbeiterpartei holte bei der letzten Knesset-Wahl gerade fünf Prozent. Bei all diesen sozialistischen bis sozialdemokratischen Formationen handelte es sich noch vor 20 Jahren um politisch prägende Kräfte ihrer Länder. Vor 21 Jahren überzeugte Gerhard Schröder mehr als 40 Prozent der deutschen Wähler, 21,5 Millionen in absoluten Zahlen.

Da „das Elend der SPD“ (423 000 Google-Treffer per 3. Juni), wie es in Berlin Mitte heißt, abkommentiert ist, und zwar vollumfänglich schon mindestens seit dem vorletzten Vorsitzenden, bleibt dem Chronisten nichts anderes übrig, als eine private Geschichte zu erzählen.

Mein Großvater war nie Mitglied der SPD. Aber er gehörte zu dem Milieu, das die Sozialdemokratie vertreten hatte, und das umgekehrt dafür sorgte, dass sie bis 1933 und im Westen nach 1949 eine kritische Größe behielt. Von 1918 bis 1970 arbeitete mein Großvater als Elektriker. Nicht als Handwerker, sondern als Werkselektriker im Agfa-Farbfilmwerk Wolfen. Selbst in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise, 1929, als sein Betrieb ihn vorübergehend nicht mehr beschäftigen konnte, fand er eine vorübergehende Anstellung bei Bergmann-Borsig in Berlin, bevor er zu Agfa zurückkehrte. Facharbeiter wie er kannten ihren Wert. In seinem Dorf, aus dem er zur Arbeit pendelte, gehörte er zu den Aufsteigern. Er verdiente deutlich mehr als die Landarbeiter. Zusammen mit meiner Großmutter, die als Hauswirtschafterin bei wohlhabenden Leuten arbeitete und sich später um ihre eigenen Kinder kümmerte, war er der Büchergilde Gutenberg beigetreten, einem Buchclub, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, Literatur durch große Auflagen preisgünstig und damit populär zu machen. In ihrem Bücherschrank standen unter anderem Thomas Manns „Buddenbrooks“, Gottfried Kellers „Grüner Heinrich“ und Jeremias Gotthelfs „Schwarze Spinne“ (ein Buch, das mich als neugierigen Jungen, der sich ausgerechnet diesen Band herausangelte, beim Lesen in eine Art Duldungsstarre aus Grusel und Spannung versetzte). Über dem Sofa hing ein guter Kunstdruck von Vermeers Briefleserin, dessen Original zur Dresdner Gemäldegalerie gehört. Für meinen Großvater, Jahrgang 1905, Volksschüler, verstand sich das Prinzip des Aufstiegs durch Bildung mehr oder weniger von selbst. Der Grüne Heinrich half ihm nicht beim Verlegen von Elektroleitungen. Aber das beherrschte er sowieso. Die Bücher, die Vermeer-Kopie, der gute Anzug am Sonntag, das alles stellte für ihn einerseits einen Wert für sich dar, anderseits eine Art Aussichtsplattform auf die Gesellschaft. Von dort aus konnte er den Wert eines gebildeten Facharbeiters als Typus taxieren. Er verglich sich mit den Bürgern und sah, dass er dabei nicht schlecht abschnitt. Genau dieses Ziel einer Plattform verfolgten die Sozialdemokraten damals auch mit den Volksbibliotheken und Arbeiterbildungsvereinen.
Den Grundsatz, sich kulturell nach oben zu orientieren, hätte mein Großvater, wenn überhaupt, mit der Gegenfrage kommentiert: Wohin sonst?

Die Farbfilme aus Wolfen markierten damals den weltweit höchsten Standard. Die Sicherheit, etwas für sich erreicht zu haben, verband sich mit dem Stolz auf eine führende Industrie. Beides begründete ein ausgeprägtes Arbeitsethos. Selbst am 20. April 1945, dem Tag, als gegen Mittag amerikanische Panzer in sein Dorf rollten, war er morgens wie immer in den Zug gestiegen und zur Arbeit gefahren. Er verließ gegen sechs Uhr das Großdeutsche Restreich, um am späten Nachmittag in die amerikanische Besatzungszone zurückzukehren. Das Werk, in dem er arbeitete, das vermutete er richtigerweise, würde den Epochenbruch überleben.

Es lässt sich nicht ohne weiteres feststellen, wie weit dieser Aufstiegswille vorhielt. Vielleicht bis in die siebziger Jahre, möglicherweise in einigen Ausläufern noch weiter. Einen solchen Ausläufer bildete das sozialdemokratische Milieu Ostdeutschlands, das sich gewissermaßen in der DDR eingekapselt hatte, um nach dem Mauerfall festzustellen, dass die SPD, die man sich dort vorstellte, nicht mehr existierte. Gerade eingetretene Genossen aus Leipzig und Erfurt lasen das damals ganz frische Parteiprogramm von drüben, in dem nichts mehr von sozialem Aufstieg stand, sondern unter anderem der Satz: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.“

Die meisten Ost-Frauen, auch diejenigen, die in die SPD gegangen waren, hatten gegen männliche Gesellschaft nichts einzuwenden. Sie definierten Emanzipation auch anders als nach dem Ausbreitungsgrad des Binnen-I, der Doppelnamen und der Frauenbeauftragten.
Mein Großvater war schon in den frühen achtziger Jahren gestorben. Ihm musste also niemand erklären, wie zurückgeblieben er mit seinem Aufstiegsdenken und seinem Statusstolz war. Der Leipziger Schriftsteller Erich Loest, Jahrgang 1926, versuchte nach 1990, die SPD wieder an ihre Wurzeln zu erinnern. Von ihm stammte der Satz: „Das Sozialdemokratischste sind die städtischen Bibliotheken, gefolgt von der Fußballmannschaft zweiten Grades.“ Die führenden modernen westdeutschen SPD-Genossen (es gab kaum andere) blickten mitleidig auf den Sonderling.

Die Argumentation, warum die Interessenvertretung von Arbeitern, Bauleuten und Handwerkern heute keinen politischen Sinn mehr ergibt, geht innerhalb und außerhalb der SPD ungefähr so:
Erstens soziologisch – eine Arbeiterklasse in diesem Sinn existiere gar nicht mehr, bestenfalls in Restbeständen, ein stolzer Facharbeiteradel erst recht nicht.
Zweitens identitätspolitisch: Bei der Aufstiegsorientierung handle es sich um eine heikle Angelegenheit, zumal, wenn sie von weißen Männern gehegt wird, die auch noch stolz auf ihr Land und dessen Industrie sein wollen. Denn sie begreifen einfach nicht, dass nach der Doktrin der links von der Mitte und darüber hinaus flächendeckend dominanten intersektionellen Linken eine Berliner Staatssekretärin mit fünfstelligem Monatsgehalt, eingewanderten Eltern und muslimischem Selbstmarketing als Opfer der Gesellschaft zu gelten hat, wenn sie auf einem Inlandsflug von der Stewardess ‚tea or coffee’ gefragt wird, während ein autochthoner Arbeiter, der bei 1800 Euro Monatsbrutto 135 Euro Steuern zahlt, tunlichst seine Privilegien als weißer Mann checken sollte.
Drittens: Für eine klassische sozialdemokratische Partei gibt es heute nichts mehr zu tun. Die arbeitende Bevölkerung ist schon ausreichend emanzipiert.

Zum ersten: In der Industrienation Deutschland existiert trotz der mehrfach ausgestellten Totenscheine noch eine ansehnliche Arbeiterschaft. Zusammen mit den Beschäftigten des Bauhauptgewerbes und den Handwerkern machen sie gut 20, in Bayern und Baden-Württemberg noch mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus. Rechnet man die Arbeiter in Rente dazu, die in aller Regel auch im Ruhestand ein positives Verhältnis zu ihrem Stand pflegen, liegt der Anteil dieses Milieus noch deutlich höher. Eine tatsächlich marginale Rolle spielt der produzierende Teil der Gesellschaft nur in der Kevin-Kühnert-Stadt Berlin, dem Standort des Willy-Brandt-Hauses.

Zweitens: Aller Propaganda zum Trotz wird ein Arbeiter in Sawsan Chebli niemals ein Opfer sehen. Schon gar nicht eins, das unter ihm zu leiden hätte.

Zum dritten: Die Arbeiterschaft insgesamt ist nicht depraviert. Auf Klassentreffen stellen Politikwissenschaftsdiplominhaber mit Teilzeitbeschäftigung in NGOs immer wieder fest, dass sie, die von Politik, Medien und Kirchen umschwirrte Gesellschaftscreme, oft noch mit knapp 40 in einer Berliner WG hausen, während ihre gewerblich orientierten Schulfreunde trotz der Steuerlast schon ein Eigenheim bewohnen. So kann es gehen.
Trotzdem gäbe es für sozialdemokratische Politik eine Menge zu tun. Der Staat greift schon bei Kleinverdienern zu. Selbst ein Single, der Vollzeit zum Mindestlohn schafft, zahlt Steuern. Ein Handwerksmeister muss für ein Teil seines Einkommens schon den Spitzensteuersatz abliefern. Beides ist ungerecht. Der Geldregen über den erneuerbaren Energien muss enden, damit die Stromkosten nicht noch weiter steigen. Auch Großstadtschulen in weniger guten Wohnvierteln müssen gut sein. Selbst in Berlin. Vor allem: Respekt ist den meisten Arbeitern und Handwerkern sogar wichtiger als materielle Gerechtigkeit. Als Wichtigstes müsste die Migrationspolitik geändert werden: Hilfe für tatsächlich Verfolgte, offene Türen für tatsächlich benötigte Fachleute. Aber keine Einwanderung ins Sozialsystem.

Was die Aufstiegsorientierung von Arbeitern angeht: die existiert individuell immer noch. Zu meinem Bekanntenkreis gehört ein Schweißer, in dessen Buchregal – im Eigenheim – Bände von Gilles Kepel und James Joyce stehen (gelesen). Außerdem ein Schlosser, zu dessen Haushalt sechs Musiklexika und eine bemerkenswerte Sammlung von Klassik-CDs gehören, und zwar in einer Eigentumswohnung. Ein x-beliebiger Handwerksmeister versteht mehr von Ökonomie als der gesamte SPD-Parteivorstand. Egal, welcher. Egal ob er es auswendig kennt oder nicht, er weiß jedenfalls um die Aufforderung von Bertolt Brecht: „Prüfe die Rechnung / Du musst sie bezahlen / Lege den Finger auf jeden Posten / Frage: wie kommt er hierher“.
Es gibt also durchaus noch das Milieu, zu dem mein Großvater gehörte. Dass es nicht mehr SPD wählt, spricht für seine politische Wachheit. Eine sozialdemokratische Partei könnte also dank dieser Leute leben. Sie müsste nicht dahinsiechen. Stattdessen begeht sie Suizid.

Die Gründe für diesen Suizid sind multipel. Aber bei diesem Text handelt es sich um eine Art Erzählung, die es erlaubt, einen einzelnen Agenten der Geschichte einzuführen. Stellen wir uns also ein Wesen vor, halb Klein Zaches, halb Grinch. Dieser Kleingrinchzack schlich schon vor Jahren zu der SPD-Führung und erzählte ihr, es sei jetzt an der Zeit zu erkennen, dass ihre fleischessenden autofahrenden gewerblich tätigen Wähler für die Vergangenheit stehen. „Vergangenheit“, sagte er grinchend, „ist schlecht. Ihr solltet daran mitwirken, ein paar Milliarden Euro über den Betreibern von Windrädern und Solaranlagen auszuschütten, also über Leuten, die sowie schon zu den Privilegierten gehören. Davon wird der Strom teurer, auch für die Supermarktkassiererin. Es wäre auch eine famose Idee, mit den Steuern unter anderem dieser Kassiererin den Käufern von 40 000 Euro teuren Elektrowagen noch eine Anschaffungsprämie zu zahlen. Und überhaupt solltet ihr Minderheiten in den Mittelpunkt eurer Politik stellen. Und Frauen! Frauen müssen in Aufsichtsräte. Das ist entschieden wichtiger, als der Kassiererin mehr Netto zu verschaffen. Und denkt ansonsten an das Klima!“

Altgediente Genossen fragten: „Werden wir damit Erfolg haben?“

„Papperlapapp, Erfolg“, erwiderte Kleingrinchzack. „Ihr werdet modern sein.“

Der CDU riet er praktisch das Gleiche wie der SPD. Im Jahr 2015 schaute er bei der Kanzlerin vorbei und unterbreitete ihr den Plan, die Grenzen für alle und jeden zu öffnen, und nicht groß nach Ausweisen und tatsächlicher Verfolgung zu fragen.

„Was soll ich den Bürgern sagen?“ fragte Merkel, die wir uns – es ist ja eine Erzählung – einmal skrupulös denken wollen.

„Sagen Sie einfach: Wir schaffen das.“

„Das reicht aus?“

„Für diesen Satz werden Sie 2019 sogar die Ehrendoktorwürde in Harvard bekommen.“

„Mein kleiner grüner Freund, waren Sie es nicht, der mir 2011 geraten hatte, aus der Atomkraft auszusteigen?“

„Haargenau. Und? Hat es Ihnen geschadet, Frau Doktor?”

Zu den Medien hüpfte unser Topberater auch, um ihnen einzuschärfen, künftig vor allem Haltung zu zeigen, Haltung, Haltung, ihren Lesern die Regierungspolitik zu erklären und vor jeder Recherche zu fragen, ob sie den Falschen nützen könnte.
Den Kirchen rief er noch zu, vor allem von Klima und Migranten zu predigen und das Kreuz ruhig mal unterm Beffchen zu verstecken, falls es zu provozierend wirken sollte.

„Für Liebhaber von religiösem Klimbim“, kicherte er, “sagt Ihr einfach, wie faszinierend Ihr den Islam findet.“

Und allen zusammen zischte er ins Ohr: „Deutschlands größtes Problem ist seine Automobilindustrie. Und weiße Männer. Besonders die älteren.“

Das Unwahrscheinliche wurde Ereignis. Alle taten, wie ihnen Kleingrinchzack geraten hatte. Alle bis auf die Zurückgebliebenen.
Bald zeigten die Wahlergebniskurven der SPD wie die der CDU, die Mitgliederkurven der Kirchen und die Auflagenkurven der meisten Medien synchron und irreversibel nach unten. Und nur die Kurve von zwei Parteien nach oben: die der Grünen, außerdem die einer neuen Truppe, die praktisch in allem das Gegenteil der Grünen verkörperte.

Über die Frage, in welche Einzelagenten Kleingrinchzack in Wirklichkeit zerfällt, ließen sich viele Seiten füllen. Aber niemand hätte seinem Rat folgen müssen. Es gab nie einen objektiven Zwang. Denkbar wäre das alles nicht ohne die Bereitschaft von großen, ehemals einflussreichen Institutionen, sich selbst zu zerstören. Um noch einmal Bertolt Brecht zu  zitieren: „Vielleicht müssen sie so sein. Aber sie müssen nicht sein.“

So selten kommt das in der Geschichte nicht vor. Der alte französische Adel vor 1789 schaffte das bekanntlich auch. Die SPD marschiert nur an der Spitze einer Bewegung, der viele folgen. Abstieg und Selbstzerstörung ist jedenfalls, anders als der Aufstieg, fast immer eine kollektive Angelegenheit.

Maliziöse Stimmen behaupten, Kleingrinchzack besitze die Fähigkeit, auch in verschiedenen Gestalten aufzutreten. Mal als vielfach preisgekrönter Spiegel-Autor, mal als bezopftes schwedisches Mädchen. Und mal als Kevin Kühnert.
Kühnert sollte sich einen Ruck geben und die SPD übernehmen. Denn er verkörpert exakt das Gegenteil des alten sozialdemokratischen Aufstiegsmodells: kein Studium beendet, keinen normalen Beruf ergriffen, ein aufgeblasener Medienkasper. Der SPD-Vorsitz ist heute eine Art Dschungelcamp. Wer würde besser dorthin passen als er?

In dem Moment, in dem er die Partei endgültig in den Boden rammt, hätte er zum ersten Mal in seinem Leben etwas zu Ende gebracht.

In der Zwischenzeit könnten andere eine sozialdemokratische Partei in Deutschland gründen. Sie würde gebraucht.

 

 

 

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Kommentare anzeigen (55)

  • Ach, herrlich. Eigentlich todtraurig, aber nein: herrlich. Herr Wendt, wenn Sie behaupten krank zu sein und daher einstweilen nicht schreiben zu können, dann möchte ich Ihnen widersprechen: Sie können doch schreiben (nämlich großartig), und gesünder als Sie könnte man im Kopf gar nicht sein. Hoffen wir, dass Kühnert sein Erfolgserlebnis bekommt.

  • Was alle diese klugen Autoren auslassen: Es ist das Volk, das alles zu 85% mitmacht!! Der übelste Spuk seit NS und DDR wäre schnell und längst vorbei, wenn es das Volk nur wollte!! Die Wahlergebnisse sind kein Zufall, das Volk ist nämlich genauso degeneriert wie die Politikerkaste, und wenn es diese sozialdemokratisch gesinnte Arbeiterschaft noch gäbe, warum gehen dann 10% SPD-Verlust zuletzt zu 9% an die neureich-arbeiterfernen GRÜNEN??! Weiße Rose 1943: "Vergeßt nicht, daß ein jedes Volk die Regierung verdient, die es aushält!" - PS. Und bei der AfD ist auch nicht alles koscher!!

    • Sie sagen es, info68. Wir sind von politisch Unmündigen umzingelt. Mehr als 70 Jahre Frieden für alle und bescheidener oder unbescheidener Wohlstand für die meisten, das hält der ökologisch, klimatologisch, sozial-/politisch und generell gut und korrekt sein wollende deutsche Michel männlichen, weiblichen und sonstigen Geschlechts einfach nicht mehr aus. Er sehnt sich zurück in die gute alte Zeit, als die eigenen Füße noch Fortbewegungsmittel Nr. 1 waren, als hier und da Pferdefuhrwerke durch Wald und Wiesen und verschlammte Straßen zogen, Nachttopfinhalte unkompliziert aus dem Fenster auf die Straße entleert wurden, Ölfunzeln für das nötige Licht sorgten, als das Herdfeuer noch per Hand gehütet wurde, die Frauen fröhlich schwatzend mit der Wäsche unterm Arm zum Fluß zogen, sie dort schrubbten und walkten und anschließend auf den Steinen bleichten, als die alleinerziehenden Mütter mit ihren Bankerten in der Kirche noch vom anständigen Teil der Gemeinde separiert wurden, als der Landmann mit Hansi, seinem Ackergaul, das Feld umpflügte und 1A Ökojauche in den Boden verbrachte, statt mit chemischen und biochemischen Keulen auf die Menschheit einzudreschen und Insekten- und Kleintiergenozid zu begehen, als in Jahren der Dürre und schlechter Ernten noch richtig gehungert und gestorben werden konnte … und, besonders erstrebenswert für den entscheidungsschwächeren Teil der Menschheit: als sie, die Frau, dem Manne noch Untertan sein durfte. Dieses verlorene Paradies gilt es mit Gretas Hilfe, der ihrer Spin-Doktoren und Strippenzieher und natürlich der zahllosen neuen Facharbeiter und Ärztinnen, die uns immer wieder geschenkt werden, zurück zu erobern. Nur das Handy soll bitte so bleiben wie es ist. --- Es wird auch in diesem Jahrhundert hoch hergehen in Europa.

    • Ja so ist es: Ein großer Teil der Wähler läuft einfach mit dem Wahnsinn, der von den Politikern als wohl überlegte Doktrin verkauft wird. Kaum jemand schreit auf, stattdessen lassen sich Menschen einschüchtern: sie wollen kein Nazi, nicht frauenfeindlich, nicht islamfeindlich, nicht gegen die Umwelt sein. Statt ihre Meinung zu äußern gehen diese Menschen in die geistige innere Immigration, wählen Grüne ohne Konzept oder AfD mit einem trüben rechten Rand, den diese Partei nicht los wird. Ein Trost sind nur solche Artikel wie dieser und die Hoffnung, dass die SPD es versteht, gescheiterte Studenten und Theoretiker mit dem Sympathiewert eines Stegners oder einer Schwesig zu überwinden

    • Völlig richtig, doch so etwas möchte 'das Volk' aber nicht hören, den Bockmist verzapfen immer andere. Selbsterkenntnis wäre gefragt, bekanntlich der erste Schritt zur Besserung, aber wer traut sich schon, diesen zu tun? Der Spatz in der Hand ist allemal besser als die Taube auf dem Dach und was ich hab' , das weiß ich, was wird, eben nicht. So muß eben alles bis zum bitteren Ende weiterfaulen.

  • Ich habe diesen Artikel mit Wehmut und an meinen Opa denkend gelesen. Er, Jahrgang 1907, starb mit 90 Jahren. Bis '33 Kommunist, ab 1949 konsequenter SPD-Wähler. Warum? Für ihn bedeutete SPD, dass ein (Fach-)Arbeiter mit seiner Familie ein auskömmliches Leben hat und sich hocharbeiten kann, wenn er fleißig und ehrgeizig genug ist. Von dieser Partei sind nur drei Buchstaben geblieben. Sonst nichts.

    • Auf den Punkt gebracht, Herr Richter! :)
      Mein Vater (Jg. 22), eigentlich Nazi bis zum Schluss, hat mir permanent in heftigen Niedermachungen erklärt, warum "schwarz" gut und "rot" böse ist. Hat W.Brandt einen Varterlandsverräter geschimpft. Ich bin dann zu Hause ausgezogen, weil es einfach nicht mehr ging. Habe weiter sozial gewählt, weil ich der Ansicht war, dass diese Partei am meisten für die Frauen tut. Weil ich Helmut Schmidt damals schon für unglaublich kompetent gehalten habe - er war ein Staatsmann!! Mit Schröder hat sich meine Solidarität verdünnissiert. Einmal noch gewählt, danach und davor war ich Wahlverweigerer, besonders als diese "Fingernägelknabberin" die Macht an sich gerissen hat. Ich habe dieser Xantippe noch nie getraut. Kohl allerdings auch nicht...der war einfach nur doof und hat sich in einem Erfolg gesonnt, der ihm nicht zuzurechnen ist/war. Noch dazu hat er sich von diesem SED-Mädchen reinlegen lassen.
      Aber nun ist es so, dass Millionen es für richtig halten, dieser vermaledeiten und völlig unbegründeten Ideologie nachzulaufen. Ich bin einfach nur fassungslos und entsetzt. Weiß aber natürlich ganz genau, wodurch dieses ganze Desaster ausgelöst wurde. Und anstatt zu regieren tut dieses Hornspäne knabbernde Ungeheuer nichts! Sie lässt sich als führender Gaul einspannen! Ausschließlich aus machterhaltenden und vielleicht sogar echt boshaten Gründen...

  • Welch ein phantastischer Artikel! Welch ein phantastisch guter Artikel! Wie auch Ihre anderen! Aber dieser hier...einfach nur atemberaubend gut! Danke dafür!

    • Ich bin tendenziell derselben Meinung - doch hüten wir uns vor dem Gift der Übertreibung. Auch der geschätzte Herr Wendt ist nur ein Mensch... möge er uns lange erhalten bleiben und seinem Großvater immer ähnlicher werden.

  • Aus diesem Aufsatz, diesen Bildern, spricht eine tiefe Depression und eine tiefe Traurigkeit über die verlorene politische Heimat. Und sie ist berechtigt.
    Ich selber (Jg. 1951) habe zwar noch nie die Sozialdemokraten gewählt, aber gäbe es heute noch die SPD der geschilderten früheren Zeit, wäre die AfD nicht nötig. Sie hätte dann auch gar nicht entstehen können.

    • Frau oder Herr P. Groepper, bei mir, Jahrgang 1945, löst Ihr Beitrag 'tiefste Depressionen' aus. Wen kann es ob solcher, Ihrer Ansichten noch verwundern, was sich politisch in diesem Lande ohne merkliche Gegenwehr tagtäglich mit Zustimmung von 87 Prozent des "Wahl(Vieh)volkes" abspielen kann. Angemerkt sei, daß ich diese Partei vier Jahrzehnte als meine politische Heimat ansah, nun ja, die letzten 10 Jahre davon eher - aus heutiger Sicht eigennützig - zwangsverpflichtet, wofür ich mich sehr schäme. Heute bin ich ein überzeugter Wähler der AfD - und ich stehe dazu.

  • Lieber Alexander Wendt,
    schön dass Sie dem großen E.T.A. Hoffmann Ihre Reverenz erweisen. Und hoffen wir, beide noch das Staatsbegräbnis für Klein Grinchzack zu erleben.
    Gute Wünsche und Grüße vom in den Schwarzwald entkommenen Rentner

  • Alles richtig, Herr Wendt. Es kommt noch dazu, dass die genannten Parteien sich gegenseitig kannibalisierten, will sagen: Inhalte der jeweils anderen oder von "angesagten" Gruppierungen (wie die Grünen, denn das ist nicht wirklich eine Partei sondern eine Ansammlung von Unwissenden und Realitätsverweigerern) in ihr Gewese integrierten. Damit machten sie sich eigentlich zusätzlich noch ununterscheidbar von einander, von eventuell wählbaren Alternativen ganz abgesehen. Und: Die "Persönlichkeiten" an der Spitze der Sozialdemokratie sind nach Schmidt nur solche gewesen, die mit Vehemenz Interessen von anderen und vor allem von sich selbst verfochten haben. Das gilt auch für die Typen bei der CDU seit Kohl. Oder wie muss man sehen, dass Frau Dr. M. die Welt zu retten beabsichtigt, obwohl sie weiß, dass sie die Lebensbedingungen ihres Staatsvolkes massiv beeinträchtigt und außerdem und vor allem, jeder deutsche Beitrag dazu derart marginal ist, dass im Gesamtmaßstab dieser Welt NICHTS herauskommt. Dafür soll man sie wählen??
    Und gerade die "Sozialdemokraten" (bzw. deren "Führung") macht das lustig mit. Wie dämlich muss man denn sein, um nicht die Zeichen der Zeit zu erkennen?
    Bald hat sächsisches Dunkel-Bier mehr Prozente als die SPD bei Wahlen. Aber wenn die CDU nicht aufpasst (und sie passt auch NICHT auf), dann passiert mit ihr dasselbe...

  • Das ist eine der bündigsten und klarsichtigsten Darstellungen zum Thema SPD-Niedergang, die ich bisher gelesen habe. Der von ihnen haargenau beschriebene Typus des sozialdemokratischen Wählers ist den "Genossen" so unbekannt wie ein Alien vom Beteigeuze. Und Typen wie Nahles oder Kühnert u.v.a. sind nicht zu entschuldigen. Derartige Missgriffe im Personellen darf man sich nicht als SPD leisten. Auch als Nichtwähler der SPD tut mir der Niedergang dieser verdienstvollen Partei von Herzen leid.

    • Auch als Nichtwähler der SPD tut mir der Niedergang dieser verdienstvollen Partei von Herzen leid.
      Entschuldigen Sie, aber darüber kann man doch nur schallend lachen.