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Wochenrückblick: Herbert Grönemeyer rettet die Demokratie in Wien, Ruprecht Polenz die CDU bei Twitter und Margarete Stokowski die deutsche Satire in Berlin

Wenn Erfindung und dokumentierte Wirklichkeit nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, dann ist das nicht gut. Nicht für die Wirklichkeit, nicht für die Erfindung, nicht für die Gesellschaft und vor allem nicht für den Autor, der sich als Autor naturgemäß mal auf dem Boden der Dokumentation bewegt und mal auf dem Terrain der Parodie, also der ähnlichen Erfindung.


Der Autor bekommt von seinen Lesern immer wieder die neunmalkluge Frage gestellt, wenn es um Zitate geht: Hat er das wirklich gesagt? Hat sie das wirklich gesagt? Ist das wirklich passiert? Meist handelt es sich gerade dann um keinen erfundenen Stoff. Umgekehrt: Wer heute ein paar Tweets der Berliner Staatssekretärin und Kurznachrichtendienstchefin des Senats Sawsan Chebli parodiert, der findet mindestens ein Dutzend Leser, die das Ergebnis für authentisch halten. Was es ja, auf einer anderen Ebene, irgendwie auch ist.

Die Orientierung kostet in diesen Tagen schon ein wenig Mühe. Wenn beispielsweise Herbert Grönemeyer mit überkippender Stimme ins Mikrofon brüllt:

„Und ich glaube, es muss uns klar sein, auch wenn Politiker schwächeln, das ist glaube ich in Österreich nicht anders, als in Deutschland, dann liegt es an uns (hier anschwellendes Geschrei aus dem Publikum) dann liegt es an uns zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat“, dann führt das zu der Frage:
Kann es wirklich sein, dass der deutsche Außenminister Grönemeyer dafür mit den Worten beglückwünscht:
„Es liegt an uns, für eine freie Gesellschaft einzutreten und die Demokratie gemeinsam zu verteidigen. Danke an Herbert #Groenemeyer und allen anderen, die das jeden Tag tun.“?

Ein Außenminister ist ja, zumindest formal betrachtet, nicht irgendwer.
Handelt es sich, um fortzufahren, um Parodie beziehungsweise einen Hackerangriff auf das Netzwerk der Frankfurter Allgemeinen, wenn das Blatt, das ja ähnlich wie die Position des Außenministers vor allem bürgerlichen Existenzen einmal etwas bedeutet hatte, über Grönemeyers Auftritt schreibt:
„Grönemeyer hat sich schon oft gegen den Rechtsruck ausgesprochen – nun auch bei einem Konzert in Wien. Auf Twitter regt sich Kritik: Die Rede erinnere an totalitäre Sprache von früher, beklagt etwa eine AfD-Politikerin.“

Tatsächlich: Er hat sich im Sportpalast beziehungsweise in Wien „gegen den Rechtsruck“ ausgesprochen?
Dochdoch, die FAZ-Zeile ist authentisch und auch nicht parodistisch gemeint. Der Tagesspiegel schreibt ganz ähnlich:
„Grönemeyer ruft auf seiner Tour dazu auf, ‚keinen Millimeter nach rechts’ zu rücken. Dafür wird er im Netz angegriffen. Minister Maas stellt sich hinter ihn.“

Auf der Plattform Meedia, die sich vor allem an Journalisten wendet, sich auch hinter den, nunja, Sänger stellt, und bei der es sich trotzdem um keinen Satireaccount handelt, wird Grönemeyers Gastspiel in der Ostmark so beschrieben:
„Die AfD hat sich stattdessen am Wochenende wieder einmal über Herbert Grönemeyer aufgeregt. Der hatte bei einem Konzert in Wien einen Aufruf gegen ‚Ausgrenzung, Rassismus und Hetze’ ins Mikro gerufen: ‚Diese Gesellschaft ist offen, humanistisch, bietet Menschen Schutz.’ Und: ‚Keinen Millimeter nach rechts!’“

Umgekehrt gefragt – könnte eigentlich ein Parodist genau diese Texte schreiben, die auf Grönemeyers Satz vom Diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat, überhaupt nicht eingehen, ihn noch nicht einmal zitieren, und stattdessen so tun, als würde nur die AfD den Auftritt des Sängers grotesk finden? Beziehungsweise: Jeder, der ihn grotesk findet, ist irgendwie AfD.

Meedia lobt stattdessen einen Twitterer namens Shahak Shapira (Berufsbezeichnung: Satiriker, dochdoch, wirklich), der schrieb:
“Vergleichen Leute jetzt #Groenemeyer mit Goebbels, nur weil er eine Rede in ähnlicher Lautstärke gehalten hat? Mein Föhn ist ungefähr so laut wie eine Kettensäge und ich bekomme trotzdem unterschiedliche Ergebnisse, wenn ich sie mir an den Kopf halte.“

Nanu, mit Goebbels? Das kommt für die Meedia-Leser jetzt etwas überraschend, der kleine Doktor aus Rheydt war ja nun nicht gerade für Aufrufe gegen Ausgrenzung bekannt, noch nicht einmal, wenn es Gehbehinderte betraf.
Aha, es geht und ging also um die Lautstärke.
Shapira hat offenbar schon die Wirkung von Fön und Kettensäge an seinem Kopf ausprobiert, sonst könnte er uns nichts darüber mitteilen; allerdings, das legt sein Tweet nahe, fielen die Ergebnisse wohl doch nicht ganz unterschiedlich aus.

Wer die Kommentare unter der Mitteilung von Heiko Maas liest, findet dort übrigens überhaupt keinen AfD-Politiker, jedenfalls auf den oberen dutzend Positionen. Dafür einen Kommentar des Medienanwalts Joachim Steinhöfel, des Publizisten und Karikaturisten Peter Bulo Böhling und von Ralf Fücks, dem ehemaligen Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung.

Um es kurz zusammenfassen: Sie „stören sich an dem Wort ‚diktieren’“, um es einmal mit den Worten der FAZ zu sagen, und sehen darin und in dem Stil der Darbietung einen gewissen Widerspruch zur Idee der Demokratie. Ganz im Gegensatz zu Heiko Maas, im Gegensatz auch zu Ruprecht Polenz, dem CDU-Generalsekretär der Herzen:


Auch dieser Tweet ist echt. Sogar Ruprecht Polenz selbst ist echt. Auch, dass die FAZ, quatsch, die taz Polenz kürzlich „den Twittergott der CDU“ nannte, ist echt, echt und nochmals echt, verdammt noch mal. Ich erfinde das nicht.

Es handelt sich auch um keine Erfindung, dass ein etwas grönemeyeresk erregter Mann bei deiner Fridays-For-Future-Demonstration vergangene Woche in Berlin, über die Henryk Broder für die WELT berichtete, nicht nur SUVs abschaffen wollte, sondern auch die Fahrer, und das auf dem allerpraktischsten Weg:
„Man müsste mal den Auspuff ins Innere der Autos leiten, dann würden die sehn, was da hinten alles rauskommt.“
Worauf Broder den Herrn darauf aufmerksam machte, dass diese technische Lösung gerade in Deutschland nicht ganz neu ist. Die Szene kann man sich auf WELT und Welt24 ansehen. Man sollte es sogar.

Ganz echt ist auch, um nun endlich zum Ausland zu kommen (Österreich beziehungswiese Wien, wo Grönemeyer seine Ansprache hielt, gehört ja nach hiesiger Medienüberüberzeugung nicht richtig dazu), ganz echt ist auch die Neudefinition des Begriffs „Despot“, die die Süddeutsche vornimmt:

Nicht nur die Putschherrscher in Albion und USA sind dran. Auch Italien „schwächelt“ (Grönemeyer). Die Tagesschau informiert: „Salvini droht mit Referenden“.

Ursprünglich lautete die Überschrift bei der Tagesschau übrigens: „Salvini droht mit Wahlen“.

Ebenfalls nicht erfunden – jedenfalls nicht von mir – ist die Meldung, dass die SPIEGEL-Schreiberin Margarete Stokowski den Tucholsky-Preis erhalten hat. Ihre Kolumnen, so die Jury, „zeichneten sich durch eine kompromisslose Entlarvung gesellschaftlicher Missstände, präzise Sprache und gekonnte Ironie aus. Damit steht sie unzweifelhaft in der Tradition Kurt Tucholskys.”

Mein Stokowski-Lieblingstext ist übrigens ihr Aufruf zur Abschaffung des gesellschaftlich missständigen Spargels:

Der Spargelkult muss enden
Es ist das privilegierteste Gemüse Deutschlands, der alte weiße Mann der Kulinarik, Dickpic-Ersatz im Netz – auch Markus Söder hat was dazu zu sagen. Ach ja, die Ernte ist übrigens auch menschenverachtend. Eine Abrechnung.“

Ironie ist in dem Text nicht aufzuspüren, noch nicht mal gekonnte. Auch in den anderen Texten Stokowskis nicht. Aber überhaupt: welche anderen Stokowski-Texte? Variations- beziehungsweise vielfaltstechnisch ist die Preisträgerin ja eher der Dieter Bohlen unter den preisgezeichneten guten deutschen Publizisten. Da war Claas Relotius einfallsreicher.

Wenn ein Schreisack, der schon einen Millimeter rechts von sich den Faschismus marschieren sieht und dafür plädiert, das Gute einfach zu diktieren, als Demokrat durchgeht, Heiko Maas als Außenminister, ein Shapira als Satiriker und Margarete Stokowski als kongeniale Nachfolgerin des toten weißen Tucholsky, dann klingt das so und hört sich so an, als wäre das Politik- und Mediendeutschland von Avataren besetzt, denen Autoren von „South Park“ auf Crystal Meth die Texte schreiben. Offenbar gibt es dafür auch ein Publikum. Mich zum Beispiel.

Vorerst erfunden ist die Meldung, dass Margarete Stokowski und Ruprecht Polenz die neue Doppelspitze der CDU bilden, eine Bertelsmann-Studie die Klimaschädlichkeit von Wahlen beleuchtet, Herbert Grönemeyer nach Diktat resp. seinem Flug nach England von dem dortigen Despoten interniert wird, und dass er deswegen zur Aufmunterung von Heiko Maas den Georg-Trakl-Lyrikpreis in absentia bekommt.
Den bekommt nämlich schon Bushido aus der Hand von Sawsan Chebli, und zwar in echt.
Und 2020 umgekehrt.

 

 

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Kommentare anzeigen (30)

  • Zur Zeit kann ich nur noch resigniert den Kopf schütteln. Ich stehe mittlerweile auch in der zweiten Hälfte meines Lebens und wenn ich mir zu viel von diesem Zeug zu Gemüte ziehe, dann bekomme ich aber gehörig Blutdruck!
    Nehmen wir die Berichterstattung über die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt: Schämen sich die Journalisten denn gar kein bisschen mehr? Was sind das für Menschen, die am Wochenende nichts Besseres zu tun haben, als dem Messestandort Frankfurt am Main großen Schaden zufügen zu wollen, ebenso der deutschen Autoindustrie! Und die Presse bejubelt diese auch noch! Ich habe keinen kritischen Beitrag gelesen. Denken diese Leuchten auch nur im Ansatz daran, wie viele Arbeitsplätze sie vernichten wollen? Was meinen die denn, wer denen dann ihr Hartz IV erarbeitet, damit die sich weiter rund um die Uhr mit der Rettung der Welt beschäftigen können? Ich habe da langsam keine Lust mehr, 5 Tage die Woche (manchmal auch 6 Tage) 45 km einfache Strecke ins Büro zu düsen, und dann mit Steuerklasse 1 diesen Unsinn mit zu finanzieren! Und zum Dank lasse ich mich dann beschimpfen! Klar! Das ist Demokratie, wie ich sie liebe!

  • Herr Wendt, bisher habe ich Ihre Beiträge aufgenommen bzw. aufgesogen und fand, dass Ihren Worten eigentlich nichts mehr hinzuzufügen wäre bzw. dass jeder Kommentar eigentlich nur verwässernd wirken könnte.

    Aber heute fiel mir auf, dass Sie zu wenig für Ihre Aufsätze gelobt, was sage ich, gepriesen werden, und möchte das hiermit tun.

    Danke für Ihren Einsatz gegen das deutsche und internationale Deppentum. Jetzt muss ich nur noch Ihren Spendenbutton finden.

  • Wir haben in Deutschland keinen Rechtsruck, sondern einen regelrechten Linksruck. Und am allerkrassesten nach links gerückt ist für mein Empfinden die Maas-Stegner-Schwesig-Chebli-Steinmeier-Kahane-SPD. Die kennen nur noch ein fanatisch verfolgtes Thema: Kampf gegen Rechts (bzw. Kampf gegen die AfD). Wie mir scheint, eine sehr erfolgversprechende Strategie auf dem Weg in den Untergang.

    Nun zu Grölemeier in Wien: Mein Erster Gedanke war: Sind schon wieder Wahlen in Österreich? Mein zweiter Gedanke war: Ja so ist es (29. September).
    Das war offenbar der Wahlkampfbeitrag von Grölemeier. Ich denke, die Österreicher werden nicht unbedingt so wählen, wie Grölemeier sich das wünscht.

  • Irrsinnige, die ihre eigene Verblendung zum Maßstab für alle machen (wollen), geben heute, zumindest lautstärkemäßig, den Ton an. Wenn solche einen Standpunkt, den man vor zehn Jahren als normal und mittig allgemein anerkannte, heute als "rechts" und "rechtsradikal" definieren, sollte das eigentlich ihr Problem sein.
    Durch die manipulativen Mainstreammedien erhalten sie leider eine Macht und Bedeutung, die umgekehrt proportional zu ihrer geistigen Potenz steht. Das Hauptproblem ist derzeit darin zu sehen, dass aus Journalismus Propaganda der übelsten Sorte geworden ist, zumindest in den nicht alternativen Medien. Danke, Herr Wendt, für ihre stets investigative und kritische Berichterstattung.

  • das hat auch mich fatal an joseph goebbels erinnert, von dem ganzen duktus her. ich hab nur drauf gewartet, dass der fragt: "wollt ihr den totalen krieg gegen rechts? nun sturm brich los und antifa steh auf!"

  • Wo sind wir eigentlich hingeraten? Ich hoffe immer wieder, daß mich mal jemand kneift und ich aus diesem neudeutschen (oder wie darf/muß ich es nennen?) Albtraum aufwache. Ich fürchte, es kommt keiner. Hoffentlich kommt auch keiner mehr, der mir diktieren will, wie laut seinen Vostellungen Demokratie zu funktionieren hat. Diktat und Diktatur haben den gleichen Sinn; Zwang, etwas vorgedachtes wortwörtlich zu übernehmen/umzusetzen. Wo, Sie Diktaturratgeber Grölemeyer, wo zahlen Sie eigentlich Ihre Steuern? Und wenn ich dann lese, welche flachgeistigen Ergüsse amtierende Politikdarsteller so absondern; mir wird übel...

  • Meine nur ich, daß dieses Land einfach verrückt geworden ist? Und es kommt jeden Tag eine neue Verrücktheit dazu.
    (Daß in Chemnitz mit Billigung des Außenminister-Darstellers auf den Gräbern getanzt wurde, war allerdings nicht nur verrückt, sondern bösartig-makaber.)
    Als ich irgend so eine Spinatwachtel skandieren sah und mit den Worten hörte: "Wer nicht hüpft, ist ein Nazi", habe ich mir an den Kopf gefaßt. Worin besteht eigentlich die Verbindung von Hüpfen und Nicht-Hüpfen mit dem Nationalsozialismus?
    Wie wäre es mit: Wer keinen Ring in der Nase hat, ist ein Nazi; Wer keinen Käse ißt, ist ein Nazi; Wer sich nicht mindestens drei Haare ausreißt, ist ein Nazi?
    Wie tief ist dieses Land gesunken?

    • Im Deutschland des Jahres 2019 hungern Kinder und Erwachsene. Rentner suchen im Müll nach Flaschen! Also ist die Armut schon sehr weit verbreitet und die Volksverräter in Berlin holen immer noch Millionen Nichtsnutze ins Land! Wer also heute noch bei diesen Politikern an eine Wende glaubt, der ist anscheinend vollkommen dumm! Demnächst werden wir nicht am Klimawandel sterben, sondern verhungern!

  • Es haben einfach nach der Jahrtausendwende zu viele Ungebildete irgendwas mit Medien studiert und sind arbeitsplatztechnisch in die Konjunktur des sogenannten Onlinejournalismus reingeschlittert. Hier tun sie nur das, was sie können und sind dabei im Zweifel aufgrund der eigenen Prekariatssituation überaus käuflich. Gleichzeitig verlieren durch die Digitalisierung klassische Industrien in Europa an Relevanz. Der Klimazirkus ist das Framing, das uns die bevorstehende Freisetzung von Arbeitskräften (aka Massenarbeitslosigkeit) in den Generationen ü 30 plausibelmachen soll.