Der Mord an Charlie Kirk ist in vielen Medien kein Mord, ein Anschlag auf Israelis eine „Schießerei“. Die Wortwahl geschieht mittlerweile vollautomatisiert. Ein kleiner Überblick über eine verrottete Sprache


Von Dirk Schwarzenberg

Katastrophen und Verbrechen lassen sich auf verschiedene Weise kommentieren. Der Tonfall sagt etwas darüber aus, ob der Sprecher ein Ereignis tatsächlich für katastrophal und verbrecherisch hält oder es eigentlich nur rhetorisch vorbeiwinken will. Besonders dann, wenn es ein oder mehrere Mordopfer gibt, aber derjenige, der sich dazu äußert, genau diesen Begriff unbedingt vermeiden möchte.
Unmittelbar nach dem tödlichen Schuss auf Charlie Kirk, Gründer der Bewegung „Turning Point USA“ auf dem Campus einer Universität in Utah meldete der Spiegel:

„Er gilt als Verbündeter von US-Präsident Donald Trump und Einflüsterer dessen ‚MAGA‘-Bewegung. Nun hat es auf einer Veranstaltung von Charlie Kirk in Utah einen Schuss gegeben. Über seinen Zustand ist nichts bekannt.“

Über den Zustand des Schusses beziehungsweise der Patrone gab es sehr wohl Informationen, da der Attentäter Kirk aus etwa 200 Metern Entfernung vom Dach eines Gebäudes auf offener Bühne erschoss. Die Kugel zerstörte Kirks Halsschlagader. Der streitlustige Konservative befand sich auf einer Tour unter dem Motto „prove me wrong“ (Beweis mir, dass ich falsch liege), deren Konzept darin bestand, sich der Diskussion mit überwiegend linken Studenten zu stellen.

Der Schütze bewies Kirk tatsächlich, dass er falsch lag mit seiner Ansicht, er könnte öffentliche Debatten dieser Art mit seinen politischen Gegnern auf zivilisierte Weise führen. Der Spiegel berichtete, als Kirks Tod feststand: „Charlie Kirk, rechter US-Aktivist und Unterstützer der MAGA-Bewegung, ist nach einem Schusswaffenvorfall an einer Universität im Bundesstaat Utah gestorben. Das bestätigte Präsident Donald Trump. Kirk wurde 31 Jahre alt.“

Das ZDF berichtete nach dem gleichen Schema: „Der rechtskonservative US-Aktivist Charlie Kirk ist während einer Veranstaltung an einer Universität in Utah gestorben.“ Die Zeit: „Rechter Aktivist Charlie Kirk durch Schüsse getroffen.“ Und weiter: „Der rechtskonservative Aktivist und Trump-Unterstützer Charlie Kirk ist gestorben, nachdem ihn während einer Veranstaltung an einer Universität im US-Bundesstaat Utah ein Schuss traf“.

Ohne dass man sich dafür eigens hätte absprechen müssen, gibt es ein festes Muster: Erst einmal das Opfer politisch einordnen. Und dann unter allen Umständen den Begriff „Mord“ unterlassen. Die ZDF-Mitarbeiterin Sonja M. Lauterbach ging bei ihrer persönlichen Einordnung noch ein bisschen weiter als die Kollegen, als sie zu Kirk postete: „Ein Hetzer & Aufwiegler, der selbst Opfer eines Anschlags wurde.“

Ihre Kollegin Barbara Steinecke rief ihm nach: „Er säte immer wieder Zweifel an den staatlichen Maßnahmen während der Covid-Pandemie“. Na dann, heißt das ganz unverhüllt, soll sich niemand wundern. Ein gelegentlicher ZDF-Zuarbeiter gab flugs als Tagesparole aus: „Wenn Faschisten sterben, jammern Demokraten nicht.“

Die mediale Reaktion auf diesen politischen Mord reicht also von halbklammheimlicher bis zur lauten Freude, begleitet von einem gar nicht subtil unterlegten: geschieht ihm völlig recht. Der Moderator des linken landesweiten, US-amerikanischen TV-Senders MSNBC Matthew Dowd äußerte sich übrigens in ganz ähnlicher Richtung. Das Unternehmen feuerte ihn umgehend.

Dazu kommt es im politmedialen Deutschland mit Sicherheit nicht.
Das liegt unter anderem daran, dass die Verwendung von „gestorben“ für Mordopfer, die ein Apparat nicht so nennen will, längst zum etablierten Wording gehört. Beispielsweise bei der überwiegend steuerfinanzierten Amadeu Antonio Stiftung (AAS) in ihrer Mitteilung zu dem Tötungsfall in Friedland: Dort stieß am 11. August ein abgelehnter und ausreisepflichtiger Asylbewerber aus dem Irak die 16-jährige Liana K. vor einen Güterzug.

„Eine 16-Jährige ist gestorben – mutmaßlich, weil ein irakischer Geflüchteter sie vor ein Zug stoß (Schreibweise im Original). Obwohl er mit paranoider Schizophrenie diagnostiziert wurde, bekam er keine psychische Betreuung. Wie kann das sein? Die AfD instrumentalisiert den Fall.“

Da steckt wirklich alles drin: Das Mädchen ist nicht ermordet, sondern gestorben, der Täter, der sich gar nicht in Deutschland hätte aufhalten dürfen, nicht ausreichend umsorgt und daher das eigentliche Opfer. Abschließend noch der Hinweis auf das eigentliche Problem: Instrumentalisierung durch die AfD. Wie die Stiftung unmittelbar nach der Tat schon eine Entlastungsdiagnose zum Täter liefern konnte, führte sie nicht weiter aus. Etwas später löschte die AAS den Post, und bezeichnete das „gestorben“ etwas zerknirscht als „unangemessen“, bestritt allerdings, den Iraker zum Opfer erklärt zu haben. Dass die Stiftung überhaupt etwas einlenkte, könnte daran liegen, dass CDU-Bundesfamilienministerin Karin Prien ankündigte, sich einmal die Begünstigten des Geldtopfs „Demokratie leben!“ näher anzuschauen, und sich außerdem kritisch über den AAS-Kommentar zu Friedland äußerte. Die Stiftung erhält bis jetzt gut sechs Millionen Euro aus der öffentlichen Hand bei Personalkosten von ebenfalls etwa sechs Millionen für ihre 95 hauptamtlichen Mitarbeiter.

Da heißt es Vorsicht üben, wobei die erste Äußerung ganz authentisch zeigte, wie man in dieser Vorfeldorganisation denkt. Der Norddeutsche Rundfunk änderte seine Zeile zu Friedland dagegen nicht: „Liana K. starb, weil sie am Bahnhof von Friedland (Landkreis Göttingen) vor einen Zug gestoßen worden sein soll.“ Mit „soll“ hielt sich der ARD-Sender seinerzeit nicht auf, als ein halbes Dutzend angeschickerter Jugendlicher in der „Pony“-Bar auf Sylt zum Döp-döp-Lied „Ausländer raus“ skandierte. Da hieß es ganz direkt: „In einem Sylter Lokal haben feiernde junge Menschen rassistische Parolen gesungen.“ Später berichtete der NDR noch mit Empörungsunterton, eine Studentin, die im „Pony“ mitsang, werde nicht von der Universität geworfen.

Hier, so das Fazit, war ja auch niemand gestorben, sondern es handelte sich um einen gravierenden Fall, dem die Öffentlich-Rechtlichen eine ganze Berichtsserie und der Stern eine Titelgeschichte widmeten.

Zum Jahrestag des palästinensischen Olympia-Anschlags von 1972 auf israelische Sportler am 5. September 2025 steuerte auch das Bundesinnenministerium etwas zur Gestorben-Rhetorik bei. „Wir gedenken der Opfer des Olympia-Attentats 1972 in München“, hieß es in einer Mitteilung, „bei dem zwölf Menschen starben. Ihr Tod bewegt uns bis heute. Eine vom BMI eingesetzte internationale Historikerkommission erarbeitet mit dem Institut für Zeitgeschichte eine genaue Darstellung der Ereignisse.“

Vielleicht finden ja die Zeitgeschichtler heraus, woran und durch wen die 12 Israelis damals starben? Wobei: Etwas später entschuldigte sich die Behörde dafür, aber erst nach Protesten auf X. Immerhin scheint es weiter oben Beamte zu geben, denen der Ton noch auffällt, während diejenigen weiter unten schon mehr oder weniger automatisch wissen, wann sie zu den sprachlichen Abtönpartikeln greifen müssen, und wann es geboten ist, den Empörungsregler weit aufzureißen. Denn natürlich schrieb damals kein Medium über den Mord an Walter Lübcke: „Umstrittener CDU-Politiker starb durch Zwischenfall mit Schusswaffe“. Und kein wohlgesinnter Journalist in den USA oder Deutschland meldete zu George Floyd: „Kleinkrimineller stirbt an Luftmangel.“ Jeder, der damals auf das ja völlig unbestrittene Strafregister Floyds hinwies, stand umgehend als Rassist am Pranger. Die gleichen Politiker und Journalisten, deren allergrößte Sorge nach der Ermordung Kirks jetzt einer „Instrumentalisierung“ durch Trump gilt, rechtfertigten damals wochenlange Ausschreitungen mit mehr als einem Dutzend Mord- und Totschlagsopfern, Brandstiftungen und hunderten Plünderungen als berechtigten Protest, „feurig, aber friedlich“, wie es damals ein Fernsehreporter vor Brandkulisse formulierte. Und natürlich gerann „der Mord an George Floyd“ sofort zur festen alternativlosen Wendung.

Die Vermeidung von „Mord“, ja sogar „Anschlag“ gehört auch schon länger zur Medienroutine, wenn es sich bei den Opfern um Juden und den Tätern um palästinensische Terroristen handelt. Die „Tagesschau“ beispielsweise vermeldete den tödlichen Anschlag in Jerusalem (mit sechs ermordeten Zivilisten) so:
„Mehrere Tote bei Schüssen in Jerusalem.“

 

Geht es auch noch ein bisschen abgetönter? Durchaus, nämlich beim Spiegel:
„Bei einer Schießerei in Jerusalem sind mehrere Menschen verletzt worden.“

Dazu noch der Hinweis: „Die israelische Polizei spricht von einem Terroranschlag“. Also ausdrücklich nicht der Spiegel. Eigentlich fehlte nach dem Anschlag in Solingen durch einen Syrer 2024 die Schlagzeile: „Drei Festbesucher sterben nach Messerstecherei“.
Die Ausblendung der Täter ist gewissermaßen die kleine Schwester der Gestorben-Rhetorik. Weder ZDF noch ARD erwähnten bei ihren Meldungen zu dem Anschlag auf die Stromversorgung in Berlin, dass sich Linksextremisten auf Indymedia dazu bekannten. Stattdessen lautete der Tenor: „Stromausfall in Berlin“. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz erwähnte in seinem Post auf X die Täter nicht; stattdessen erweckte er den Eindruck, es handle sich um einen Sabotageakt ausländischer Mächte.

 

Mittlerweile kann ein aufmerksamer deutscher Mediennutzer ziemlich genau voraussagen, wann ein Mordopfer tatsächlich ermordet wird, und wann es nur stirbt, wann es sich um ein unschuldiges und wann um ein Selbst-Schuld-Opfer handelt, wann eine landesweite Empörungswelle anrollt beziehungsweise angerollt werden muss (Correctiv-Wannsee-Story, Sylt), und wann die Empörung planmäßig nicht stattfindet (linker Anschlag auf Stromversorgung) oder sogar wegen Instrumentalisierungsgefahr dringend verhindert werden muss (beispielsweise nach jedem Mord durch einen abgelehnten Asylbewerber). Für die einen wie die anderen Fälle gibt es Tasten auf der Klaviatur.

Nun könnten manche fragen: Wirkt das denn nicht entlarvend? Nur für bestimmte Zuschauer und Zuhörer, die allerdings sowieso durch die Larve sehen. Verstimmt reagiert, wer überhaupt eine Absicht erkennt. Immer noch sehr viele lassen sich ihre Wahrnehmung von Leuten regeln, die den Sound entweder hochdrehen, wenn es sich um die Tötung eines passenden Opfers handelt, oder ihn dämpfen oder ganz abstellen, wenn die Mord- und Totschlagsumstände oder die Anschlagsurheber nicht ihrem Playbook entsprechen.
Das Instrumentalisieren gehört nämlich in die Hände von Experten, die wissen, wie man so etwas macht.

 

 

 

Dirk Schwarzenberg verfasste früher Kriminalromane und bleibt auch als Journalist dem Genre im weitesten Sinn treu. Er lebt und arbeitet in Bayern. In der neuen Publico-Kolumne „Frisch gepresst“ behandelt er gesellschaftliche Stilfragen.

 

 


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