2026 wird vieles schlechter, was schon 2025 schlecht war. Kommt auch etwas Gutes? Durchaus. Immer mehr politisch-mediale Quälgeister leiden an Realitätsphobie. Das macht ein bisschen Hoffnung. Cheers!
Was kommt im neuen Jahr? Einerseits lautet die Antwort: vor allem eine Fortsetzung des alten, und das auf fast allen Gebieten.
Wer über die Aussichten für 2026 schreibt, steht vor der Entscheidung, sich entweder ganz auf Zeitloses zu beschränken, beispielsweise, indem er ganz allgemein über Hoffnung und Erwartung schreibt. Das wäre weder schlecht noch falsch, gerade dann, wenn der Autor und die Leser erst einmal einen unverschleierten Blick auf die Ausgangslage werfen. Es gibt Zahlen, die mittlerweile fast jeder kennt. Beispielsweise den Verlust von 114 000 Stellen allein im verarbeitenden Gewerbe, davon gut 50 000 in der Automobilbranche, wo sich das Beschäftigungsniveau inzwischen auf dem tiefsten Stand seit 2011 befindet. Die Zahl der Insolvenzen erreichte 2025 den höchsten Wert seit elf Jahren. Eine Lawine stoppt nun einmal nicht auf halber Hanghöhe. Auch im kommenden Jahr schwindet die industrielle Basis des Landes weiter. Falls das Wirtschaftswachstum trotzdem ganz leicht über null liegt – die Schätzungen sagen 0,1 Prozent –, dann wegen der öffentlichen Ausgaben. Die deutsche Staatsquote erreicht 50 Prozent, zum Vergleich: In der Schweiz liegt sie bei 32 Prozent, das Wachstum der Wirtschaftsleistung betrug dort in diesem Jahr 1,3 Prozent.Manche Daten und Prozente dringen noch kaum in die Öffentlichkeit vor. Nach der Messung des Instituts für Qualität (IQB) im Bildungswesen erreichten in diesem Jahr 34 Prozent der Neuntklässler nicht einmal den ohnehin sehr niedrigen Mindeststandard in Mathematik, 25 Prozent verfehlen ihn in den Naturwissenschaften. Schon 2022 stellte das IQB fest, dass fast genauso viele Schüler in der neunten Klasse die Minimalanforderungen an die Lesefähigkeit nicht erfüllen, 20 Prozent in Sachsen, 37,3 Prozent in Nordrhein-Westfalen und 45,8 Prozent in Bremen. Das nach Einwohnerzhl größte deutsche Bundesland entlässt also mehr als jeden dritten, der Stadtstaat fast jeden zweiten Jugendlichen als funktionellen Analphabeten. Die Analphabetenrate der Bundesrepublik liegt inzwischen bei 12 Prozent und damit nur noch knapp unter dem globalen Schnitt. Faktenfinder der ARD interviewten dazu schon 2024 eine Wissenschaftlerin, die empfahl, den Begriff „Analphabetismus“ nicht mehr zu benutzen und als Ersatz „gering literalisiert“ vorschlug. Der Hauptzweck des Interviews bestand in der gemeinsamen Aussage von Faktenfindern und Expertin, zwischen extrem schnell sinkenden Schulleistungen und Armutseinwanderung bestünde kein Zusammenhang, beziehungsweise, er sei nicht nachweisbar.
Das führt uns zu einem Großtrend, der zwar nicht erst 2025 entstand, aber sein bisher bestes Jahr erlebte: die Herausbildung einer hermetisch abgeschlossenen politisch-medialen Parallelwelt, die sich ähnlich wie das Weltall beständig ausdehnt. In dieser Spezialwelt besteht nicht nur kein Konnex zwischen Migration und Bildungsniveau. Es existieren überhaupt nur sehr wenige Zusammenhänge. Beispielsweise auch keiner zwischen Migration und Kriminalität: „Die Migration steht nicht in Zusammenhang mit mehr Kriminalität“, erklärt beispielsweise Extremismusforscherin Julia Ebner in einer Sendung mit Dunja Hayali. Schuld an der gegenteiligen Wahrnehmung und an der ebenfalls gegenläufigen Polizeistatistik tragen nach Ebners Ansicht die sozialen Medien. Den gleichen Befund stellt auch das Magazin „Quarks“ (WDR) aus, so ähnlich bestätigt das auch Generalexperte Marcel Fratzscher in der Zeit. Speziell zur Frage, warum die Gewalt durch Messerstecher zunimmt, vermutet ein vom ZDF befragter Experte, das liege wahrscheinlich an der Inflation: „Das Leben ist teurer geworden.“
Weitere Schlagzeilen und Meldungen aus der Anderswelt im Schnelldurchlauf:
„Woher kommt die grenzenlose Sympathie und das Mitleid für die AfD?“ (Stern).
Frauen fühlen sich nachts in Städten unsicher, weil die Architekten männlich sind (funk, also ARD/ZDF).
Wer sich dagegen ausspricht, Forstflächen zugunsten von Windrädern zu roden, etwa im Reinhardswald, bildet eine „Allianz mit Rechtsextremen“ (Hessischer Rundfunk).
Die nichtlinke und nicht mit öffentlichem Geld finanzierte Buchmesse „SeitenWechsel“ in Halle ist „ein organisierter Angriff auf den Rechtsstaat unter dem Vorwand der Kultur“ (FAZ).
Ebenfalls FAZ: „Das Risiko von Arbeitslosigkeit war noch nie so gering […]. Das Risiko entlassen zu werden, ist auf einem historischen Tiefststand. Wenn Stellen abgebaut werden, geht es oft um Abfindungen und Renteneintritte“ (Patrick Bernau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28. Dezember 2025). Außerhalb Deutschlands sieht man das meist ein wenig anders. FAZ-Bernaus Text, das nur zur Verdeutlichung, bezieht sich auf Deutschland, nicht auf Argentinien, wo schlimme Zustände herrschen, über die man bei der ARD mit einer Bühnenshow aufklärt.
Der Beitrag in der „Zeitung für Deutschland“ erinnert im Großen und Ganzen an die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten, der mitteilte, viele Menschen im Land würden sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, vermutlich, weil sie die FAZ nicht lesen und deshalb nicht wissen, dass sie der Mär aufsitzen, hier finde so etwas wie eine Deindustrialisierung statt. Gegen diese Furcht empfahl das Staatsoberhaupt das Motto der „Pfadfinderinnen und Pfadfinder“, nämlich: „ein Funke Mut“. Eine letzte Wortmeldung noch aus dem Wirtschaftsressort der parallelweltlichen Medienkongregation: Die EU-Kommission wirft der Autoindustrie mit dem Verbrennerverbot einen „Rettungsanker“ zu, den diese aber in ihrer Kurzsichtigkeit verschmäht (ntv).
Für die Anderswelt gilt das Gore-Tex-Prinzip: Es dringt etwas heraus, aber nichts herein. Zu dem, was ausströmt, gehört neben der Versicherung, dass es weder Kriminalitätsverstärkung noch Bildungsverfall durch Migration und auch keine flächendeckende Vernichtung wertschöpfender Arbeitsplätze gibt, auch die mehr oder weniger amtliche Bestätigung, dass eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Land der Meldestellen und Polizeibesuche nicht stattfindet. Eine staatlich finanzierte Zensurlobbyistenorganisation wie HateAid behindert, wie die Zeit informiert, nicht nur nicht die freie Rede. Sie schützt sie.
Immerhin weiß man jetzt, dass die Redaktion in Hamburg nichts von einer ganz ähnlichen Formulierung Carl Schmitts von 1934 ahnt. Anderenfalls hätte man vermutlich doch eine andere Überschrift gewählt. Wobei: Ganz sicher ist das nicht. Neben den schon aufgezählten Nichtphänomenen gibt es in der politisch-medialen Parallelwelt außerdem: keine Islamisierung, keinen importierten Antisemitismus, keinen Rassismus gegen Weiße und keine Pullfaktoren, die Armutsmigranten nach Deutschland ziehen. Zum anderen leuchten diverse Hoffnungsfunken den immer noch nicht Überzeugten außerhalb der Sonderwelt heim. Würden nur noch Elektroautos gebaut, käme die Wirtschaft wieder nach oben, würden noch mehr Windräder aufgestellt statt von Rechtsextremisten verhindert, fielen die Strompreise ins Bodenlose, ließe das Patriarchat endlich Frauen Städte planen, müsste sich nachts beim eiligen Durchschreiten der Bahnhofsunterführung niemand mehr mulmig fühlen.
Wie sich Bildungskalamitäten bekämpfen lassen, macht gerade Niedersachsens Schulministerin Julia Willie Hamburg vor: Sie ordnete an, schriftliches Dividieren und den Umgang mit Dezimalzahlen aus dem Grundschullehrplan zu werfen, und zwar mit der Begründung, diese Rechenoperationen seien zu schwierig und fehleranfällig. Anders als eine in gewisser Weise immer noch herrschende Kanzlerin meinte, gibt es die einfachen Lösungen manchmal doch. Hamburg – übrigens eine Bildungsministerin ohne beruflichen Abschluss und Arbeitserfahrung außerhalb der grünen Politik – erkennt parallelweltlich schon ganz korrekt, wo das eigentliche Problem liegt: in der Formulierung von Mindestanforderungen.
Außenpolitisch befassten sich die Andersweltler 2025 nahezu exklusiv mit den USA. Daran dürfte sich auch 2026 nichts ändern. Zum einen berichtet man täglich über den Diktator im Weißen Haus; die ARD fragt: „Wie Nazi sind die USA schon und wohin führt das noch?“ Andererseits informieren die deutschen Medienschaffenden sehr ausführlich darüber, wie oft Donald Trump vor Gerichten scheitert und welche machtvollen Demonstrationen gegen ihn stattfinden. Zur Wahl eines neosozialistischen Bürgermeisters in New York läuteten in den jenseitigen deutschen Redaktionen alle Glocken. Kurzum, es herrscht also Faschismus auf der anderen Seite des Atlantiks, der Rechtsstaat liegt in Trümmern, andererseits taumelt der oberste aller Faschisten ohnmächtig seinem Ende entgegen. Auch in den nächsten zwölf Monaten.
Ohne fremde Hilfe finden Parallelweltler nicht nach draußen. Diese Hilfe wünschen sie aber ausdrücklich nicht. Bei ihrer Welt handelt es sich noch nicht einmal um einen Safe Space, sondern um einen Panikraum, den sie um keinen Preis öffnen. Schon ein kleiner Spalt kann ihnen den mentalen Tod bringen. Manche Nordkorea-Kenner spekulieren, dass es bei einem Kollaps des Regimes zu einem millionenfachen psychischen Zusammenbruch bei den Anhängern käme. Für diese Konsequenz braucht es diese harten, diktatorischen Verhältnisse allerdings gar nicht. Der Soziologe Erving Goffman entwickelte den Begriff der totalen Institution, die sich ihm zufolge durch Hyperinklusion auszeichnet. Das heißt, sie bestimmt die gesamte Existenz ihrer Insassen und lässt sie nicht mehr aus ihren Fängen. Wer lange Zeit darin verbringt, kommt in anderen Lebensverhältnissen nicht mehr zurecht.
Und hier liegt die Pointe für 2026 und folgende Jahre: Wer sich in seinen Panikraum einschließt, um dauerhaft dort zu leben, mag sich dort subjektiv wohlfühlen. Aber er nimmt sich dadurch auch selbst jede Wirksamkeit außerhalb der Panzerwände. Es geht also gar nicht darum, jemanden aus dieser Welt zu befreien. Im Gegenteil, Bewohner der Anderswelt machen in der Realwelt nur noch begrenzt Ärger. Das lässt sich an den Auflagenzahlen vieler älterer Medien ablesen, an den Kirchenaustrittszahlen, an der Wählerwanderung. Man sollte das als Chance begreifen. Als echten Hoffungsfunken.
Vor einiger Zeit verfasste der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu, einer der ziemlich Vernünftigen in der Partei (ja, sie existieren in Nischenbiotopen), einen bemerkenswerten Text auf X, in dem es hieß:
„Wir sind aufgewachsen in einem Land, in dem die Straßen gut, sicher und sauber waren, der Arztbesuch jederzeit möglich, Bank und Postamt zu Fuß erreichbar, die Mieten bezahlbar, der Traum vom Eigenheim realistisch. In dem Amtsgänge spontan möglich waren und Schulunterricht kaum jemals ausfiel. In dem nicht bei jeder Fahrt mit der S-Bahn irgendein Unglücklicher um Geld bettelte. Und in dem man sich auf Bus und Bahn hundertprozentig verlassen konnte. Das haben wir nicht vergessen. Und glauben deshalb irgendwie immer noch, dass die Steuern und Abgaben, die wir bezahlen, uns auf all das ein Anrecht geben.“
Es kommt tatsächlich darauf an, das nicht zu vergessen. Also darauf, die reale Welt real zu halten. Das klingt bescheiden. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Aufgabe, die auch 2026 und danach alle Kräfte braucht, die ein Normalbürger aufbringen kann. Aber es ist möglich.
Auf ein Neues! Publico wünscht ein Jahr, von dem man am Ende sagt, es wäre gar nicht so schlecht gewesen.
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