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Die Kraft des Zweifels

Skepsis und Wissenschaft gehören zusammen. Das bohrende Fragen findet sich allerdings auch in der christlichen Überlieferung. Ostern bietet eine gute Gelegenheit, um an diese Dialektik zu erinnern

Von dem Physiker Richard Feynman stammt der Satz: „Religion ist eine Kultur des Glaubens, Wissenschaft ist eine Kultur des Zweifels.“ Das stimmt überwiegend. Aber nicht ganz. Eignet sich Zweifel als Thema für den höchsten Feiertag? Ja, durchaus. Skepsis hält in der Wissenschaft jede Erkenntnis im Stadium des Vorläufigen. Aber auch dort, wo es um das Ewige geht, im Christentum, spielt der Zweifel seine notwendige Rolle.


Zu den berühmtesten Bildern von Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, gehört seine Darstellung des auferstandenen Jesus, dem Thomas seinen Finger in dessen Lanzenwunde legt oder vielmehr hineinsteckt. Das Gemälde deutet diese Geste nicht nur metaphorisch an. Es stellt sie so realistisch dar, wie ein illustriertes Handbuch der Medizin eine Operationstechnik zeigt. Vielleicht leitet sich von dieser biblischen Szene das Wort vom bohrenden Zweifel her.
Die Wendung vom ‚ungläubigen Thomas‘ führt in die Irre. Passend wäre der zweifelnde oder skeptische Thomas. Er legt den Finger nicht deshalb in die Wunde, weil er Jesus‘ Botschaft verwerfen würde. Sondern, weil er sich in einer so zentralen Erscheinung wie der Auferstehung die größtmögliche Sicherheit verschaffen möchte. Er prüft mit allem, was ihm zur Verfügung steht.

Über der Figur des Jüngers liegt in der Überlieferung oder besser in ihrem Verständnis dem ersten Anschein nach ein leichter Spott: Statt sich wie die anderen auf die Erscheinung zu verlassen, braucht er auch die Berührung, mit der er wie mit einer Sonde in den Körper eindringt. Der Verdacht, die Spiritualität des Gefolgsmanns sei klein und vielleicht etwas zu schwach für einen, der dem Religionsstifter nachfolgen will, verflüchtigt sich allerdings beim Blick auf die ganze Erzählung. Denn Jesus fordert Thomas auf, buchstäblich in seinen, Jesus‘ verletzten Körper hineinzufassen. Die Skepsis des Jüngers stellt für ihn überhaupt keine Ungehörigkeit dar. So zeigt ihn Caravaggio: Er zieht sein Gewand zurück, damit der andere besser tasten kann.

Die Skepsis spielt eine Doppelrolle, als Antreiber der Wissenschaft, aber auch als dialektisches Element im christlichen Glauben. Allerdings nur hier; im Islam, der auch die Trennung in weltliche Wissenschaft und religiöse Sphäre nicht kennt, gilt der Koran bekanntlich als Buch, „in dem kein Zweifel ist“.
Auf den Zweifel innerhalb und außerhalb des Glaubens kam Benedikt XVI. immer wieder zurück. „Der Glaubende wie der Ungläubige“, heißt es bei ihm, „haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil, wenn sie sich nicht vor sich selbst verbergen und vor der Wahrheit ihres Seins. Keiner kann dem Zweifel ganz, keiner dem Glauben ganz entrinnen.“
Das Prinzip der Skepsis, der Fragestellung durchzieht zumindest in der westlichen Welt alle öffentlichen Debatten von Gewicht. In der Wissenschaft ging ausnahmslos jede Entdeckung aus einem Zweifel hervor. Ihr Modus ist die Skepsis, die Prüfung, das stochernde Eindringen in Gedankengebäude. Was dem Falsifizierungsversuch widersteht, bleibt stehen. Alles andere nicht. Und auch hier gilt, dass sich ihre großen Vertreter nicht davor fürchten, wenn ein anderer ihre Theorie in Frage stellte.

Andere schon. Eine Wissenschaftlerin an einem wichtigen deutschen Wirtschaftsinstitut beklagte vor kurzem das „Gift des Zweifels“. Während der Covid-19-Zeit lautete der Vorwurf gegen Wissenschaftler, die das Maßnahmenregime kritisierten, sie würden „Zweifel sähen“. In der Zeit forderte ein Autor, bestimmte Aussagen von Autoritäten, beispielsweise zum Klimawandel, dürften nicht mehr öffentlich in Frage gestellt werden. Die beiden Autoren des Buchs „Gekränkte Freiheit“ über den von ihnen exklusiv entdeckten „libertären Autoritarismus“ benutzen die durchaus negativ gemeinte Wendung „Konsensleugner“. Eine in den öffentlich-rechtlichen Medien hochaktive Wissenschaftsjournalistin erfand den ganz ähnlichen Begriff der „Konsensdiskriminierung“. Nicht Leugner, aber erfolgreiche Skeptiker gegen den Konsens ihres Fachs waren Ignaz Semmelweis, Alfred Wegener und Albert Einstein, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
Denjenigen, die das Prinzip der Skepsis am liebsten aus der Wissenschaft und mehr oder weniger auch aus der Gesellschaft verbannen und durch den Konsens ersetzen möchten (ohne näher zu erklären, wie der überhaupt zustande kommt), denjenigen halten ihre Kritiker oft entgegen, sie wollten eine Art Religion errichten. Aber auch das trifft es mit dem Blick auf die biblische Überlieferung, wie die Geschichte von Thomas und der Wunde am Tag der Auferstehung zeigt, nicht ganz. Auch im christlichen Glauben beansprucht der Zweifel seinen dialektischen Platz.

Wer den Zweifel aus der Öffentlichkeit verdrängen und ihn zumindest als etwas Schädliches brandmarken möchte, errichtet eine ganz spezielle Form der (in diesem Fall innerweltlichen) Religion, nämlich die Orthodoxie.
Die Figur des Jesus ist vieles, aber bestimmt kein Stifter einer Lehre, die niemand mehr anrühren darf.

Publico wünscht allen Lesern ein Frohes Osterfest.

 

 

 

 

 

 

 


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9 Kommentare
  • Albert Schultheis
    10. April, 2023

    Herzlichen Dank für den blitzgescheiten Osterwunsch, Herr Wendt, auch Ihnen und den Lesern wünsche ich ein Frohes Ostern!

  • Frank Danton
    10. April, 2023

    Jesus hat nicht daran gezweifelt Gottes Sohn zu sein, sonder seinen Zweifel gegen Gott gerichtet. Damit sollte jede Geschichte dann auch schon beendet sein. Der Zweifel ist ein individuelles Ereignis das sich primär gegen sich selbst richten sollte. Alle die, die den Zweifel gegen andere richten ohne sich selbst in Frage zu stellen, denen ist nicht zu trauen. Greta ist so ein Fall, aber auch all die anderen die seit Jahrzehnten in Politik, Medien und Gesellschaft dominieren. Machen wir uns nichts vor, weder der alte Jesus noch die neue Jesusine (Greta) sind in der Lage Geschichte zu schreiben die uns der Weisheit, dem Übersinnlichen oder der Wahrheit näher bringen. Sie sind Symptome ihrer Zeit, um die sich Geschichten ranken die dazu genutzt werden die eigene Unzulänglichkeit, die eigene Kritikunfähigkeit anderen zu unterstellen. Der Mensch ist wenig mit Fortschritt und Zivilisation (im Sinne Rousseaus) gewachsen, sondern schaut die meiste Zeit aus seiner Höhle in eine Welt die ihm unerklärlich bleibt. Wären wir wirklich im Jahr 2023 angekommen, dann hätten wir eine Welt voller Individuen die sich selbst reflektieren könnten, und die Fähigkeit besitzen kausale Zusammenhänge zu begreifen. Aber wir sehen Menschen und Ikonen die fest im Glauben an sich selbst, gegenüber jeder Auseinandersetzung mit der Menschwerdung, oder wenn sie so wollen, gegen jede Logik der Evolution resistent sind. Zweifel ist keine moralische Instanz. Er ist zweifellos im Verstand beheimatet. Dementsprechend bedarf es einer Distanz und Selbstkontrolliertheit die all den omnipräsenten “Helden” und “Verantwortungspersönlichkeiten” aber nicht nachgesagt werden kann. Im Grunde haben wir es mit unfertigen Persönlichkeiten zu tun die ihr Seelenheil in frühchristlichem Missioarseifer finden. Das man dem anderen Extrem, also dem Islam-in all seiner kaum zu überschauenden Auslegungsvielfalt unterstellen kann, das er in seiner Allmachtphantasie und seiner Menschenverachtung Mensch und Zweifel mit Gewalt unterdrückt, ist nicht nur berechtigt, sonder gibt uns einen Einblick in die Zukunft. Fazit: Wer heute in die Wunde eines Auferstandenen greift gilt nicht als Zweifler sondern als Leugner. Es ist nicht mehr der Glaube der die Menschen gegeneinander aufstachelt, sondern die Überzeugung. Diese Überzeugung ist Teil der Angst die man in den Menschen schürt. Nicht der Zweifler/Kritiker ist der Feind, sondern der Impuls im Menschen diesen Zweifel zuzulassen. Die kommenden Generationen werden ihren Beweis dafür ablegen.

  • Skepticus
    10. April, 2023

    Wer als echter Wissenschaftler sich beim Wort “Zweifel” gekränkt fühlt, hat wohl nicht verstanden, was echte Wissenschaft ist. Sie ist entstanden, weil Menschen grenzenlos und vorurteilsfrei etwas wissen wollen. Daher ist der Zweifel unerläßlich. Die von Herrn Wendt beschriebenen “Wissenschaftler” wollen keinen “Gift des Zweifels”, sie wollen keinen Widerspruch, sie wollen, wie auch in der Politik: Orthodoxie. Wie sagt man so schön: Man ist kein Ignorant, wenn man etwas nicht weiß. Man ist aber ein Ignorant, wenn man etwas nicht wissen will. Semmelweiß und Wegner wurden damals verlacht oder gar in eine Anstalt gesteckt. Es war das (gesunde) Gift des ständigen Zweifels, das die Wahrheit dann doch hervorbrachte. Wäre das heute noch möglich? Ich habe bei den undemokratischen Parteien so meine Zweifel, allerdings steckt da kein Gift, sondern eher Pessimismus dahinter. Dennoch: Ihnen, Herr Wendt, und allen Lesern wünsche ich von Herzen ein FROHES OSTERFEST.

  • R.J.
    10. April, 2023

    Vielen Dank, Herr Wendt, für diese Analyse. Erlauben Sie mir bitte einige ergänzende Anmerkungen, die vielleicht auch für Leser von Interesse sind.

    (A) Sie schreiben „In der Wissenschaft ging ausnahmslos jede Entdeckung aus einem Zweifel hervor. [….] Was dem Falsifizierungsversuch widersteht, bleibt stehen.“ Es gibt eine Vielzahl von Entdeckungen, die sich primär dem Zufall verdanken (serendipitous), ferner Entdeckungen, die sich Zweifeln verdanken, welche sich als falsch begründet (und insofern sachlich unbegründet) herausstellten; natürlich müssen die Befunde immer systematisch überprüft werden. In der Wissenschaftstheorie und -historie äußert sich das als Unterscheidung zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang.

    (B) Es gibt sehr wohl Themen mit ausformuliertem Konsens in der Wissenschaft, beispielsweise in der Medizin. Allerdings betrifft der Konsens in der Regel Gebiete, auf denen man sich nicht ganz sicher ist, und schließt Caveats und Vorläufigkeit ausdrücklich mit ein. Ich selbst habe erlebt, wie sich ein Konsens, eine inhaltliche Einschätzung und Empfehlung innerhalb von 30 Jahren in das genaue Gegenteil verkehrte. Die von Ihnen genannte hyperaktive „Wissenschaftsjournalistin“ weiß nicht, wovon sie redet, doch reicht die Kombination von Schimmerfreiheit, Selbstüberschätzung und politischer Servilität heute, um eine „Gastprofessur“ für „Wissenschaftskommunikation“ (Propaganda) angetragen zu bekommen.

    (C) Der Begriff der „Religion“ scheint in der Tat zu vieldeutig, um hier sinnvoll anwendbar zu sein. Beispielsweise ist der Islam primär ein Ordnungs- und Beherrschungssystem und wurde auch genau zu diesem Zweck im 8.-10. Jahrhundert geschaffen. Der inkohärente „spirituelle“ Hokuspokus (für die Elite gnostischer Natur) ist ebenso aufgesetzt wie abgekupfert. Immer geht es um legal/illegal, nicht um wahr/falsch, so finden sich in der Shari’ah genaue Regeln zum gebotenen Lügen, zu verbotenem Wissen usw. Sie schreiben: „im Islam, der auch die Trennung in weltliche Wissenschaft und religiöse Sphäre nicht kennt, gilt der Koran bekanntlich als Buch, „in dem kein Zweifel ist“.“ Mehr als das, im Qur’an ist Zweifel ausdrücklich verboten, und in der Shari’ah (siehe z.B. „The Unsheathed Sword“ oder „Reliance of the Traveller“) ist genau ausgeführt, dass Zweifel in jedem Fall bestraft werden muss, und zwar in der Regel mit dem Tode. Die hohe Zeit der “islamischen Wissenschaft” („Haus der Weisheit“ in Bagdad) fiel in eine Periode, in der der Islam noch im Entstehen war. Als er konsolidiert war und der prinzipiell denkfeindliche radikale Okkasionalismus über den Kausalismus/Rationalismus gesiegt hatte (spätestens um 1100), war es mit der Wissenschaft ein für allemal vorbei. Im Islam gilt seitdem die Auslegung der Shari’ah als „Wissenschaft“.

    • Werner Bläser
      11. April, 2023

      Im ‘Haus der Weisheit’ des Islam waren die Muslime in der Minderheit – Christen, Juden, und andere, bestimmten wesentlich die Arbeitsvorgänge. Das wird oft ignoriert, wenn man von früher islamischer Wissenschaft spricht. Auch das “Goldene Zeitalter” in Cordoba-Spanien fußte wesentlich auf jüdischen und christlichen Wissenschaftlern. –
      Wenn Herr Wendt sagt, dass auch die Religion den Zweifel kennt, dann muss man unterscheiden, erstens, welche Religion, und welche Form der Religion; Religionen können sektiererhafte und fanatische Züge annehmen, dann ist der Zweifel lebensgefährlich. Wir kennen alle die Beispiele aus unserer europäischen Geschichte.
      Das muslimische Andalusien bietet geradezu ein Paradebeispiel, wie sich das eine in das andere wandeln kann… aber das ist ein zu weites Feld, um hier besprochen zu werden.
      – Es mag so sein, dass Religion den Zweifel kennt. Aber mir ist – for all practical purposes – Wissenschaft lieber. Und da gähnt bei uns ein klaffender Problem-Abgrund.
      Unsere Alma Mater ist inzwischen in weiten Teilen so verkommen, dass rationales Arbeiten ins Hintertreffen gegenüber der korrekten “Haltung” geraten ist. Der Öffentliche Rundfunk spiegelt das nur wider.
      Die politische Einmischung in die Berufungsprozesse für Professoren ist zwar ein alter Fakt, aber nie war die Bevorzugung von Polit-Aktivisten gegenüber Fachleuten so deutlich – und so schamlos – wie heute.
      Das macht es dann für den Laien so schwer, zwischen ‘Experten’ und ‘Aktivisten’ zu unterscheiden. Sind doch fast alles “Professoren”, schliesslich.
      Figuren, wie sie in unserer Regierung herumlaufen, können das erst recht nicht. Denn um einen echten Experten von einem Blender zu unterscheiden, muss man selbst wenigstens Teil-Experte sein.
      Man muss sich grundsätzlich mit wissenschaftlichem Arbeiten auskennen und sich lange mit einer Materie befasst haben. Erst dann kann man die Spreu vom Weizen trennen. Sonst hält man sich eine Art “Rasputin”, einen Einflüsterer und Pseudo-Experten, wie es Habeck mit Greichen tut.
      Allerdings widerspricht dies den politischen “Fliehkräften”. Politiker wollen keine unabhängigen Expertenmeinungen, sondern “Experten”, die ihnen nach dem Mund reden. Und die werden gefördert. Irgendwann verdirbt das das ganze System.
      Und über diesen Punkt ohne Wiederkehr sind wir in Deutschland längst hinaus. Nur so kommen irrwitzige Äusserungen zur Unzulässigkeit von Zweifeln zustande.
      Karl Popper ist tot. Torquemada, Bernard Gui, Konrad von Marburg sind heute praktisch en vogue. Obwohl die keiner kennt.

    • Mimus Polyglottos
      12. April, 2023

      Besten Dank R.J. für Ihre Anmerkungen A und B (zu C kann ich nichts sagen, weil ich mich nicht auskenne). Es ist in der Tat bedauerlich, dass der wissenschaftliche Fortschritt zurzeit oft ausschließlich beim Zweifel (der “Geisteshaltung”) bzw. der Falsifikation (der methodischen Umsetzung des Zweifels) im Sinn des Kritischen Rationalismus verortet wird. Da ist was dran. Es ist aber nur eine Seite der Medaille. Wir erleben gerade dass bei “Corona” und “Klima” Zweifel verteufelt und damit wissenschaftlicher Fortschritt behindert wird.
      Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass, wie Sie in zwei Abschnitten ausführen, nicht nur Zweifel sondern auch die schrittweise Weiterentwicklung bestehender Mehrheitsmeinungen (Kuhn nennt dies “Puzzle-Solving”) wissenschaftlichen Fortschritt bringen kann. Man muss nicht immer die Mehrheitsmeinung über den Haufen werfen um neue Einsichten zu gewinnen. Oft genügt es, alte Einsichten anzupassen.
      Nicht nur die revolutionäre Umgestaltung von Paradigmen, auch die schrittweise Verbesserung bestehender Paradigmen ist Wissenschaft und kann zu neuen Erkenntnissen führen.
      Insofern ist es interessant, wie wir wohl in einigen Jahren die momentane Corona-Diskussion bewerten werden: Haben die Zweifler, die Revolutionäre, die “Falsifikationisten” obsiegt oder gewinnen die Reparaturtrupps – wenn man so will die Puzzle-Solver des Pandemienarrativs die Oberhand? Oder, wenn man es an Personen festmachen möchte: Werden die Franks oder die Streecks letzlich gewinnen?

  • Thomas
    10. April, 2023

    Grundsatz

    *Auch im christlichen Glauben beansprucht der Zweifel seinen dialektischen Platz.*

    So ist es. Und das ist gut so.

  • Peter Thomas
    10. April, 2023

    Danke für die Ostergrüße, lieber Alexander Wendt!
    Zwei erhellende und tatsächlich erheiternde (!) Begriffe nehme ich aus Ihrem Text mit in den Abend des Ostermontages. Das ist erstens der “Konsensleugner”, und zweitens die “Konsensdiskriminierung”.
    Beim “Konsensleugner” ist die Sache immerhin klar: Der widerspricht dem (tagesaktuellen) Gebot der Partei und muß also liquidiert werden. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Diese Leute hießen früher auch Abweichler, Ketzer, Wühler oder Diversanten. Und der Kern der Demokratie ist schließlich, daß alle das Gleiche meinen.
    “Konsensdiskriminierung” hingegen ist eine harte Nuß. Die Wortform weist auf eine Tätigkeit hin. Eine Tätigkeit braucht Handelnde, hier also “Konsensdiskriminierer”. Sind der oder die “K.” demnach Leute, die Übereinstimmungen unterscheiden? Befassen die sich mit den Unterschieden zwischen Ideologien oder zwischen Religionen, bzw. deren Anhängern? Oder meinen die, daß nur eine einzige Übereinstimmung existieren darf, und bekämpfen darum Leute, die auf zwei oder mehr Übereinstimmungen bestehen? Das sind drängende Fragen, die drängendste aber ist: Sind die “Konsensdiskriminierer” schlimmer oder weniger schlimm als die “Konsensleugner”? Im ersten Fall sind sie natürlich ebenfalls zu liquidieren, im andern Fall aber könnte man sie vielleicht mit ein wenig Folter in den Konsens zurückholen.

  • pantau
    11. April, 2023

    Mir fällt da nur ein, dass wer etwas besonders Zweifelhaftes als unumstößliche Wahrheit durchsetzen will, stets das Zweifeln u. Infragestellen kriminalisiert respektive diabolisiert hat. Man muss von der Sache selber keine Ahnung haben (egal ob Gott, Klima, Corona oder mrna-Plürre), es reicht völlig, sich die Scheu vor offener Diskussion der Vertreter der genannten Themen u. Thesen anzuschauen. So scheuen Betrüger vor allzuviel kritische Beleuchtung zurück. “Zweifel säen” ist eine so überaus hässliche und verräterische Formulierung und wird so gerne von den heutigen Qualitätspropagandisten verwendet. Ich vermute dass die Islamophilie der Durchregierenden daher rührt, dass man mit Menschen, deren Zweifeln unterentwickelt bis unterdrückt geblieben ist, besonders leichtes Spiel hat.

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