Publico-Autoren empfehlen, was Sie sich selbst und anderen zu Weihnachten schenken können: den große Ausstieg, Lämmer, Wein, Sinfonik, Lyrik und einen Staatskrimi


Entzug – ein Geschenk für uns selbst

von Jürgen Schmid

Meine Weihnachtsempfehlung ist eigentlich eine Adventsempfehlung, die nicht käuflich zu erwerben ist und mit deren Verwirklichung sich viele (mich eingeschlossen) schwertun im geschäftigen Gewusel, das uns umbrandet: Ausstieg aus Konsum und Hektik, aus tagespolitischer Aufregung, als Versuch, zu sich zu kommen.

Unsere Vorfahren wussten, wie sehr Besinnung Not tut, um zu regenerieren und Kraft zu tanken; dass dazu eine Unterbrechung des Üblichen gehört. „Kathrein stellt den Tanz ein“ – am 25. November, dem Fest der Heiligen Katharina, hörte das öffentliche Feiern bis Weihnachten auf. Heute können manche Hedonisten nicht einmal die paar stillen Tage ertragen, an denen der Staat Ruhe verordnet, den Karfreitag etwa oder den Totensonntag. Amüsieren wir uns zu Tode? (Wobei: So viel Amüsantes hat die Gegenwart Bundesrepublikaniens gar nicht zu bieten.)
Neben der vorösterlichen Fastenzeit war (so muss man wohl fast schon in der Vergangenheitsform sagen) der Advent die zweite große Besinnungs- und Abstinenzzeit. Der Mensch braucht eine Gliederung von Alltag und Zeit (als Jahres- und Lebenszeit), sonst geht er unter in immergleicher Beliebigkeit. Nur wer sich entzieht, kann zu sich selbst finden.


Sanfter Wein, Knopp und Helene

von Alexander Wendt

Wolfgang Hildesheimer schrieb einmal in „Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge und anderes“, er wäre gern Gewürztraminer geworden, einer, der „den Gefahren unwirtlicher Regionen und widerwärtigen Jahreszeiten trotzt und bei Sturm, bei Wind und Wetter – vor allem dem letzteren – die Gewürze des Lebens über dürre Hochebenen und verschneite Pässe traminiert, ohne etwas zu verschütten.“ Lange fiel dem Autor dieser Empfehlung bei „Gewürztraminer“ immer nur diese Hildesheimer-Passage ein – bis er dann doch einmal verschiedene Exemplare aus dem Elsass probierte. Weine des Alsace zeichnen sich generell durch Fruchtigkeit und wenig Säure aus, was sich ausgezeichnet mit der kräftigen Traubensorte verträgt. Kurzum, ein elsässischer Gewürztraminer ist der ideale Weihnachtswein, sowohl zum Essen als auch solo. Auch als Vierzehnprozenter wirkt er bemerkenswert leicht. Wann, wenn nicht zu den Feiertagen sollte man sich etwas Vollmundiges gönnen?

Warum man sich sowieso das Gute gönnen sollte – und Gästen natürlich auch, lässt sich in der Empfehlung Nummer zwei nachlesen, Michael Klonovskys neuem Band „Bei Tische altert man nicht“. Zu Weihnachten raten Publico-Autoren außerdem gern, sich selbst und/oder anderen Klassiker zu schenken. Die etwas trübe Gegenwart verlangt nach Erheiterung und einem Quantum Eskapismus. Wein allein reicht dafür nicht aus.

Deshalb der dritte Rat: Wilhelm Buschs Gesamtwerk zu lesen, was bei den meisten wahrscheinlich heißt, es wieder zu lesen, diesmal mit einem besonderen Augenmerk nicht nur auf die Komik und den perfekten Federstrich, sondern auch für das Lebenskluge und Tragische, das den meisten Erstlesern der Knoppiade, der frommen Helene und anderen Bildromanen entgeht. Der große Unterhalter gehört auch zu den großen Tröstern.

 


„Die Linke und der Kitsch“ – der apokryphe Klassiker

von Dirk Schwarzenberg

In Vorzeiten erschien ein Buch, das heute vermutlich nur noch einen Verlag finden würde, der wiederum auf umstürzlerischen Buchmessen ausstellt: Gerhard Henschels „Das Blöken der Lämmer. Die Linke und der Kitsch“ mit einem Nachwort von Eckhard Henscheid. Ja, es gab einmal eine Phase, in der sich Absolventen der neuen Frankfurter Schule über das Milieu der Revolutionäre mit Pensionsberechtigung, der Tugendschwerenöter, Selbstgerührten und grünesoterischen Betschwestern lustig machten. Und zwar richtig. Henschel zitiert quer durch das Krautbeet von den späten Sechzigern bis in die damalige Gegenwart dieses Kompendiums, also die frühen Neunziger, er kommentiert, persifliert und begibt sich manchmal auch mittenmang, etwa, wenn er ein Hochamt progressiver Kirchenfeinde in Fulda besucht.

Zu den Zitaten zählt auch das folgende: „Die beginnende Revolution stellt nicht nur die kapitalistische, sondern auch die Industriegesellschaft in Frage. Die Konsumgesellschaft muss eines gewaltsamen Todes sterben. Die Gesellschaft der menschlichen Entfremdung muss eines gewaltsamen Todes sterben. Wir wollen eine neue, einzigartige Welt.“ So sprach 1968 Daniel Cohn-Bendit, der dann bekanntlich eher auf die einzigartige Gesellschaft vorpubertärer Mädchen brannte und seine Hoffnung darauf kaprizierte, dass sie ihm die offene Hosentür einrannten. Heute verzehrt er seine Altersbezüge als ehemaliger EU-Parlamentarier und verhält sich, wie es in einschlägigen Lobreden auf diesen Phänotyp heißt, kein bisschen leise. Überhaupt stellt man beim Lesen dieses Albums fest, wie penetrant es aus dieser Ecke nunmehr schon seit fast sechzig Jahren schalmeit, quackelt, plärrt und gefühlssäuselt. Henschel buchstabiert so ziemlich alles durch: die leidige Praxis, Kindern die passenden Botschaften in den Mund zu legen, die Anbetung der reinen, nämlich indigenen Völker, Faszination für Mord und Totschlag, falls sie der richtigen Sache dienen, den von starken Frauen getretenen Quark und die innige Umarmung für Mutter Gaia.

Aus dem Abstand von mehr als dreißig Jahren fallen zwei Dinge ins Auge: Zum einen spielten zur Entstehungszeit gottlob die „Islamerer“ (E. Henscheid) in der linken Stussfabrikation noch keine Rolle. Zum zweiten kommt antikirchliche Agitation anders als damals heute im Kanon kaum noch vor – denn die EKD und halb auch der deutsche Ableger der Katholiken gehören mittlerweile unverbrüchlich zum linken Kitschgebiet. Ach, eins noch: Der Tod der Industriegesellschaft, den Danny le Rouge damals fiebrig herbeiträumte, kommt Deutschland heute in Riesenschritten näher. Sein Kampf und der seiner Genossen war also nicht umsonst.

„Das Blöken der Lämmer“ gibt es heute nur noch antiquarisch. Aber die Beschaffung lohnt sich, es wirkt immer noch frisch, lehrreich, außerordentlich komisch und liest sich in einem Rutsch weg. Wer weiß – vielleicht findet sich auch wieder ein Verlag.


“What’s With Baum?“

Der Roman von Woody Allen

von Bernd Zeller 

Ein Autorenfilmerbuch, doppelt so teuer wie eine Kinokarte, aber zu Hause ist die Cola billiger. Und man liest länger, als man im Film sitzen würde. Das sind die größten Unterschiede, es geht zu wie in einem der kleineren Filme, New York und mittlere Gesellschaft, dazu immer mal etwas, das man nur von Woody Allen bekommt. Der Vorteil des Lesestoffs ist, dass erzählt werden kann, was im Film erklärt werden müsste. Außerdem kann man sich für die Figuren selber die Schauspieler vorstellen.

Fünf Tage Lieferzeit sind einzurechnen, aber was sind schon fünf Tage im Vergleich dazu, wie schnell schon wieder Weihnachten ist. Die Jahreswechsel kommen auch immer öfter.

Wenn wir in einem Weltall gefangen sind, das sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnt, wenn man nur weit genug weg ist, und wenn man bedenkt, die Naturkonstanten haben keinen Sinn und unser Körper wird uns noch umbringen, dann kann man in der Zwischenzeit im Sessel sitzen und lesen, was mit einem Typen namens Asher Baum los ist.


Inneres Exil

von Julia, Publico-Redakteurin vom Dienst

Welches Land hätte im Bereich der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts einen solchen Reichtum vorzuweisen: Aram Chatschaturjan, Alexander Glasunow, Reinhold Glière, Sofia Gubaidulina, Nikolai Medtner, Nikolai Myaskovsky, Sergei Prokofjew, Sergei Rachmaninow, Alfred Schnittke, Dmitri Schostakowitsch, Alexander Skrjabin, Igor Stravinsky, Sergei Tanejew, Mieczysław Weinberg, Alexander Lokschin?

Warum begab sich solch eine Garde von Genies in die Sinfonie? Man könnte meinen: aus Verzweiflung. In Worte oder Bilder würde man die Verhältnisse in diesem Land besser nicht fassen wollen. Auch in die Noten mischte die Partei sich ein, sobald sie dort eine Delegitimierung des Systems roch. Da Schnüffler taub sind gegen Musik, konnte ein Meister wie Dimitri Schostakowitsch einen Großteil seines Werks so verchiffrieren, dass selbst die westlichen Musikwissenschaftler es als „Parteitagsmusik“ verstanden. Bestehend aus strammen Avantgardisten schnüffelten sie, ob auch avantgardistisch genug komponiert sei. Für Inhalte waren sie ebenfalls taub.

Das Publikum, jedenfalls sein größter Teil, hat inzwischen die Nase voll vom hochsubventionierten Autismus und wünscht sich Sinfonien als emotionales Erlebnis und gemeinschaftliche Erfahrung. Diese Kompositionsgattung ist in der Moderne ausgestorben, weil deren Musikanten sich exklusiv für ihr Ringen mit dem Material interessieren. Das Publikum kommt sowieso nicht mit, merkt aber bei der Präsentation zumindest, wie blöd es ist. Nun denn, es kann kein Zufall sein, wie viele grandiose, ergreifende Sinfonien im vorigen Jahrhundert in Russland insbesondere der Sowjetunion entstanden sind. Schmerz, Einsamkeit, Witz, Ironie, Parodie, platzende Lebensfreude trotz und wegen allem teilen sich so gerademang mit wie bei Gustav Mahler.

Zwei Schritte vor ihrer Wiederentdeckung stehen die 27 Sinfonien Nikolai Myaskovskys (1881-1950). Das Label Naxos hat Nr. 24 und 25 veröffentlicht und wird nicht dabei stehenbleiben. Sinfonie 24, im Jahre 1943 entstanden, handelt von einem Volk im Krieg, von Trauer um den Ruin des Vaterlands, von heroischem Zusammenwachsen der Nation, vom Sichfinden in der ererbten Volkskultur, vom Frohlocken über die Zerschlagung der Eindringlinge. Wählen Sie vielleicht zur Probe bei YouTube den Satz II. Molto sostenuto. Die vorzügliche Einspielung des Moskauer Philharmonischen Orchesters unter D. Yablonsky ist spottbillig. Was fürs Leben sind die „Complete Symphonies“ dirigiert von Evgeny Svetlanov bei dem Label alto.

 


jetzt klärt sich
alles auf

von Jan Dochhorn

40 Gedichte versammelt der als Lyriker schon bekannte Philosoph Dieter Schönecker hier, allesamt ausgewählten Tagen des Kirchenjahres gewidmet. Eine „lyrische Meditation…, aber ganz anders, als man es von religiöser Lyrik vielleicht erwarten würde: zeitgenössisch, schmerzend, neu“: So beschreibt der Verlag das Werk, was er besser nicht hätte tun sollen, denn die Gedichte sind wirklich gut – und Massenware allenfalls, nachdem sie bei Publico beworben wurden. Formal sind sie von äußerster Strenge: Jedes umfasst drei Strophen zu je drei Zeilen; man kennt solche Konsequenz im Formalen von Stefan Georges Stern des Bundes. Ich schreibe: „Zeilen“, denn ich weiß nicht, ob es Verse sind oder sein sollen, wahrscheinlich schon, obgleich Metrik weniger zu erkennen ist als hier und da rhythmische Unruhe, nicht zuletzt durch Enjambements, auch von Strophe zu Strophe.

Leben wird hier reflektiert, wie es konkret vorfindlich ist, vielleicht auch hier und da Biographisches, in existentialer Vertiefung, mit einem nicht immer sofort erkennbaren Bezug zum Festtagsgeheimnis, wobei man Gott eher im Hintergrund ahnt, als dass er benannt würde. Gibt es gleichwohl einen Goldgrund, also etwas, das aus der Tiefe durchscheint und nach dem es einen verlangt? Man sehe selbst (auf S. 44):

verklärung des Herrn

es war ein herrlicher tag, das licht grandios,
die wolken zart und transparent. lässig trug
mein vater anzug, hut und elegant mich

kleinen hoch zum berg; so endlich
fand er gefallen an mir und ich an ihm.
ich kann bezeugen: die gunst der stunde

reicht nun für das ganze leben. jetzt klärt sich
alles auf. ich sagte etwas, aber ich wusste doch
nicht, was. das war egal, und er umarmte mich.

Publico-Leser wird es erfreuen, dass Dieter Schönecker ein kritischer Denker ist, wobei „kritisch“ nicht zu verstehen ist im Sinne von „kritisch“, also dahingehend, dass jemand glaubt, was die Tagesschau glaubt und zwischen zulässigen und unzulässigen Narrativen „kritisch“ sondert. Nein, Dieter Schönecker hat vielmehr Ärger gehabt, weil er seinen eigenen Kopf hat; er lud an die Universität Siegen, wohl hauptsächlich aus Neugierde, Referenten ein, die er nicht hätte einladen dürfen, vgl.. Denn bekanntlich gehört für den bundesrepublikanischen Gutbürger die offene Diskussion an die Universität genauso wenig wie Benzin an eine Tanke. Besinnlich-meditativ ist ein solches Einstehen für das freie Wort nicht, und das sollte man auch diesen spannenden Gedichten nicht unterstellen.

 


Unweihnachtlich, aber trotzdem: „Das Staatsverbrechen“

von Günter Scholdt

Nein, „weihnachtlich“ wirkt diese Buchempfehlung gewiss nicht. Nützlich schon eher. Daher nehme ich das Odium auf mich, den Feiertagsanlass zu missbrauchen, um aufgeschlossenen Sozialpatienten eine heilsame Arznei in Buchform nahezulegen. Ihr Nutzen jedenfalls scheint mir unzweifelhaft, erschienen unter dem Titel „Der Staatsverrat“, verfasst von einem Autorentrio: dem populären medizinischen Praktiker Gunter Frank, der während der Corona-Krise mit sachkundigen Statements aller Art der regierungsgeschürten Panik wehrte. Martina Binnig, Expertin für Hintergrund-Machenschaften der EU und diverser NGO’s. Und dem Biologen Kay Klapproth mit dem Schwerpunkt Immunologie, der sich während der Corona-Panhysterie zum scharfen Kritiker einer behinderten freien Wissenschaftsdebatte entwickelte.

Für Gunter Frank ist das Werk Abschluss einer Corona-Aufklärungs-Trilogie mit den Vorgängerbänden „Der Staatsvirus“ (2021) und „Das Staatsverbrechen“ (2023). Deren Verdienst liegt vor allem darin, die Hauptaspekte einer medizinisch-rechtsstaatlichen Großaffäre schlüssig wie allgemeinverständlich zusammengefasst zu haben. Diese komprimierende und resümierende Qualität (bis hin zu einem „Leitfaden für einen Untersuchungsausschuss“ mit konkret ausformulierten Fragen) charakterisiert auch den gemeinsam verfassten „Staatsverrat“. Zudem vermittelt das Buch den neuesten Informationsstand und erweitert die Diagnose eines massiven staatlichen Fehlverhaltens zum Modell globaler Drahtzieher und (krimineller) Profiteure. Dabei geraten auch anderweitig praktizierte Globalagenden (etwa in Sachen Klima) ins Blickfeld, inklusive der Folgen für unseren zunehmend lädierten Staat.

Die Lektüre zerstört letzte Illusionen, dass jenes zwischen 2020 und 2023 nicht nur Deutschland bedrückende Geschehen legitim oder zu verantworten war. (Exemplarisch für Dutzende von Ungeheuerlichkeiten registriert man die Aussage der Leiterin der Impfstoffentwicklung bei Pfizer: „Es ist, als würde man ein Flugzeug fliegen, während man es noch baut.“) Und da es sich unsere politische Klasse ja (jenseits diverser Ausschuss-Vernebelungen) versagt, auf so gravierende Vorwürfe angemessen fachlich zu antworten, liegt dem ganzen wohl tatsächlich eine postdemokratische Verschwörung zugrunde (vgl. G. Scholdt: Reden wir über Postdemokratie, Graz 2. Auflage 2013).

Zumindest erprobten Einflussmächte erstmals im großen Stil, was man ganzen Völkern zumuten kann. Und wäre der Widerstand auch nur ein klein wenig geringer ausgefallen, hätten wir uns den Zuständen von „1984“ noch weiter genähert. Wer immer sich solcher Einsicht in der leichtfertigen Annahme entzieht, Corona sei doch längst abgefeiert, sei eindringlich gewarnt. Auf Generalproben folgen meist Aufführungen. Und die dürften noch weniger weihnachtlich ausfallen als die Lektüre dieses Bands.

 


Balsam für alle, die an Fernweh leiden

von Jörg Hackeschmidt

Es gibt einen Autor zu entdecken, der seit 20 Jahren in Südostasien und der englischsprachigen Welt zu den renommierten Romanciers zählt: Tan Twan Eng. Sein dritter Roman, „The House of Doors“ von 2023 ist mittlerweile auch auf deutsch erhältlich. „Das Haus der Türen“ spielt in Britisch-Malaysia des Jahres 1921 und handelt von einem fiktiven Besuch des englischen Schriftstellers William Somerset Maugham bei seinem alten Studienfreund Robert Hamlyn und dessen 20 Jahre jüngeren Frau Lesley auf Penang, einer in der Straße von Malakka dem Festland vorgelagerten Insel, die zu jener Zeit von den Briten verwaltet wurde.

Maugham, der sich auf Weltreise mit seinem als Privatsekretär getarnten Geliebten Gerald Haxton befindet, sucht Material für neue Kurzgeschichten. Er freundet sich mit Lesley an und erfährt schließlich intime Details ihrer Lebensgeschichte, die mit den Zeitläuften jener Jahre eng verwoben sind. Wobei zwar der Besuch Maughams bei seinem Studienfreund und dessen Frau Fiktion sind; das gesamte Setting, Maughams Lebenssituation sowie zentrale Begebenheiten, die später von Maugham zu Kurzgeschichten und Theaterstücken verarbeitet wurden, aber auf tatsächlichen Vorkommnissen beruht. Denn Maugham bereiste zwischen 1920 und ’23 für längere Zeit Südostasien einschließlich China, und besuchte 1921 auch Penang.

Tan Twan Eng verschränkt geschickt die wahre Begebenheit eines Mordfalls aus Eifersucht, die Maugham zu einer seiner berühmtesten Kurzgeschichten mit dem Titel „Der Brief“ verarbeitete, mit der Biographie des Briten und dem Umstand, dass einer der wichtigsten Politiker des modernen China, Sun Yat Sen, sich eine Zeit lang in Malaya aufhielt. Denn die fiktive Lesley Hamlyn hatte, wie sich im Roman nach und nach offenbart, eine Liebesbeziehung mit einem Weggefährten des ersten Präsidenten der Republik China.

Die Entstehung von Maughams Kurzgeschichte „Der Brief“, später ein erfolgreiches Bühnenstück und 1940 von William Wyler mit Bette Davis in Hollywood verfilmt, bildet die Folie für Tans Roman. „Das Haus der Türen“ wird dadurch zu einer Art literarischem Kaleidoskop: Je nachdem, wie man hineinsieht, verändert sich die Perspektive auf die Geschehnisse.

Die Verknüpfung von Fiktion und historischer Wirklichkeit gelingt Tan Twan Eng auf eindrucksvolle Weise. Der Leser taucht ein in die Gesellschaft der britischen Kolonialgesellschaft, aber auch in die Lebenswirklichkeit des kulturellen Schmelztiegels, der Malaya und die Region Penang Jahrhunderte lang war. Gleichzeitig wirkt das Buch als eine Art Echoraum großer zeithistorischer Umbrüche, etwa des Bürgerkriegs in Chinas nach dem Kollaps des Kaiserreichs. Sun Yat Sen rief 1912 die Republik in China aus; er gehörte zu den Köpfen der damaligen Revolution.

Tans präziser, unaufdringlicher Erzählstil erzeugt eine große atmosphärische Dichte: genau das Richtige für lange Winterabende oder eine Urlaubsreise. Der ausgesprochen inspirierende und historisch interessante Roman ist Balsam für alle Leser, die unter Fernweh leiden. Und keine Sorge: Die typisch deutsche beziehungsweise progressiv-westliche Mischung aus historischer Ahnungslosigkeit, moralischer Selbstermächtigung und woker Herdengesinnung kommt im Werk Tan Twan Eng nicht vor. Stattdessen viel Einfühlungsvermögen in die Charaktere seines Romans und deren persönliche Schicksale, die eingebettet sind in den Malstrom historischer Ereignisse.

„Das Haus der Türen“ kam wie die beiden älteren Romane Tans, „The Gift of Rain“ von 2007 (nur auf Englisch) und „Der Garten der Abendnebel“ von 2012 auf der Longlist des renommierten Booker Prize. Die Financial Times nannte „Das Haus der Türen“ in ihrer Besprechung einen „meisterhaften Roman über öffentliche Moral und private Wahrheit“ im Schatten der zu Ende gehenden britischen Kolonialzeit.

 


Innere Wärme zum Selbstmischen

von Wolfram Ackner

Deutschland im Winter 2025 kann man sich nicht mehr schönreden, allerdings noch schöntrinken. Dementsprechend empfehle ich dieses Jahr einen Gutschein für einen Gin Blend Workshop. Hier wird komponiert: Wacholder, Zitrusschalen, Kräuter, Gewürze: Aus dutzenden Botanicals entsteht Schritt für Schritt ein ganz persönlicher Gin.

Der Reiz liegt im Prozess. Zu Beginn steht die Sensorik: riechen, vergleichen, verstehen. Welche Rolle spielt Wacholder? Wie verändern Pfeffer, Kardamom oder Lavendel die Balance? Welche speziellen Noten verleihen Angelikawurzel, Lavendel, Fichtennadel oder Hagebutte?

Unter fachkundiger Anleitung lernt man, Aromen zu lesen und gezielt einzusetzen. Am Ende steht eine Flasche, die es so kein zweites Mal gibt. Ein Gin Blend Workshop schenkt damit mehr als einen schönen, solide angeschickerten Abend: Er vermittelt Wissen in geselliger, kleiner Runde.

Die Preise liegen zwischen 90-180 Euro, Dauer des Kurses variieren je nach Anbieter zwischen zweieinhalb und vier Stunden. Einen speziellen Anbieter werde ich nicht empfehlen, schließlich lebt die verehrte Publico-Leserschaft über das komplette Land verteilt – und in eigentlich fast jeder größeren Stadt gibt jemand professionelle Mischkurse.

 

 

 


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