Warum verstehen so viele heute weder Ironie noch Sarkasmus? Dafür gibt es Gründe. Ohne diese Stilmittel kann niemand eine Gesellschaftskritik üben, die den Namen verdient
Der Autor dieser Zeilen ahnte schon, dass ihn irgendwann das Schicksal von Kollegen treffen würde, zwar nicht auf Publico, aber draußen in der Welt, in diesem Fall auf X: Eine kaum misszuverstehende sarkastische Bemerkung zum ZDF, Dunja Hayali und deren Berichterstattung über Charlie Kirk verstanden viele dann doch als ganz direkte, genau so gemeinte Aussage. Sogar sehr viele.
Der Tweet fand ein großes Publikum, wie es ja meist geschieht, wenn zwei Seiten aneinander vorbeireden. Innerhalb weniger Stunden beschimpften mich etwa hundert Nutzer in der festen Überzeugung, ich meinte wirklich, Kirk hätte zur Steinigung von Schwulen aufgerufen, und ich würde das ZDF für seine herausragende Leistung loben. Ein Teil von ihnen schrieb, Kirk habe das nicht getan (möglicherweise hatten sie genau das bei mir gelesen und die Quelle wieder vergessen), andere benutzten zusammenhanglose Schmähworte, sie reagierten also eher wie Dunja Hayali. Eine dritte Gruppe schrieb den X-Klassiker: „Satire bitte kennzeichnen.“ Üblicherweise schreiben das Leute unter Beiträge, die sie gerade nicht für Satire halten. Bei dem von mir benutzten Stilmittel handelte es sich genau genommen um Sarkasmus, laut Duden „beißender, verletzender Spott, Hohn, der jemanden, etwas lächerlich machen will“.Das Merriam-Webster definiert ihn als „a mode of satirical wit depending for its effect on bitter, caustic and often ironic language that is usually directed against an individual.“ Bei dem Individuum, gegen das sich der Ätzvorgang in meinem Post richtete, handelt es sich um Norbert Himmler, Intendant des ZDF und neben Katrin Göring mit Zweitnamen Eckardt der engagierteste Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Demokratierundfunks. Der, also Himmler, meinte nämlich: „Wir müssen sagen können, was ist“, nachdem Elmar Theveßen, also der Marcel Fratzscher unter den Amerikaexperten, bei „Lanz“ die Lüge verbreitet hatte, der Publizist und Debattierer Charlie Kirk hätte zur Steinigung von Schwulen aufgerufen. Auf Nachfrage von Lanz wiederholte und bekräftigte er bekanntlich seine Desinformation.
Wenn ein Intendant sich dafür nicht nur nicht entschuldigt, sondern sich auf den alten Satz von Rudolf Augstein beruft und bei Kritik tönt, jetzt sei die Pressefreiheit in Gefahr, dann kommt man dem nicht mehr mit der Bemerkung bei, hier irre sich der Mann aber ganz gewaltig. Sondern nur noch mit dem Mittel der uneigentlichen Rede, die Satire, Ironie, Sarkasmus und Parodie umfasst.
Autoren, die derlei anwenden, verstehen nach und nach und unter Schmerzen, dass nur noch wenige diese Stilformen erkennen, wobei ja niemand mehr eine Fähigkeit zur Unterscheidung der einzelnen Genres erwartet. Die meisten scheitern schon daran, das Uneigentliche an sich zu erkennen. Satire, Ironie, Sarkasmus und Parodie sterben offenbar auf ähnliche Weise aus wie der Genitiv.
Ohne diese vier Kunstgriffe lässt sich nur leider kaum ein etwas komplexerer Text zur Gegenwart verfassen. Wer sie nicht erkennt, dem bleiben viele Schöpfungen Egon Friedells und nahezu das gesamte Werk von Friedrich Torberg, Karl Kraus und Johann Nepomuk Nestroy versperrt, um einmal nur die österreichische Abteilung aufzuzählen. Immerhin, bei Juvenal stand vorn praktischerweise gleich „Satiren“ drauf. Aber auch ohne diesen Hinweis verstanden viele Leser in früheren Jahrhunderten die uneigentliche Rede vermutlich besser als ein großer Teil der Gegenwartsmenschen. Sicherlich, das Lesen als Kulturtechnik beherrschte damals nur eine Minderheit. Aber als 1729 Jonathan Swifts „Modest Proposal“ erschien, kamen wahrscheinlich nur die allerwenigsten seiner Leser auf die Idee, der Autor würde tatsächlich zum Verspeisen von Kindern raten, um die irische Hungersnot einzudämmen.
Anwesende, also Leser von Publico, sind selbstverständlich vom Verdacht der zunehmenden Satire- und Sarkasmusblindheit ausgenommen. Beides greift vor allem auf den digitalen Plattformen und Medien von Spiegel bis ARD um sich, die wiederum dem Leitmediendreigestirn X, Bluesky und Instagram folgen. Wer dort seinen Fuß hinsetzt wie der Autor oder sein Leidensgenosse Michael Klonovsky, der fühlt sich schnell wie eine Spottdrossel am Nordpol. Über eine Meldung, der Klimawandel lasse neuerdings Alpengipfel wanken, machte Klonovsky sich auf X wie folgt lustig: „Millionen Jahre standen die Alpen stramm und bolzenfest. Kein Stein wankte je im Gestemm, kein Bröckeln, nirgends. Seit der Mensch das Klima wandelt, sind selbst die Berge nicht mehr sicher.“
In seinen „Acta diurna“ notierte er dann, was seine leichtsinnigen Worte auslösten. Keinen Bergsturz, aber: „Ich breche hier ab – es sind, Stand 17.24 Uhr, über tausend Kommentare. Immerhin nahm nur etwa jeder zweite meine Bemerkung für bare Münze. Mag sein, dass die braven Leute so sehr von der Klimakatastrophenpropaganda weichgeklopft und angesäuert sind, dass sie sofort Rot sehen. Ich fühle mich allerdings dafür nicht zuständig.“
Es verhält sich also sehr ähnlich wie in dem oben geschilderten Fall: Immerhin wussten die Tadler, dass es keinen Aufruf von Charlie Kirk zur Steinigung von Schwulen oder überhaupt jemandem gab, und sie hielten das ZDF auch nicht für einen Hochqualitätssender, so wie die Hälfte der Klonovsky-Leser augenscheinlich auch wusste, dass schon in der kleinen Eiszeit und vorher Felsen im Gebirge eben nicht bolzenfest standen. Die anderen dachten auch so, zeigten aber mit ihren amüsierten Kommentaren etwas mehr Textverständnis. Eine Leserin erkannte sogar das Zitat aus „Rheingold“. Für Scherz, Ironie, Satire und tiefere Bedeutung gilt das Gleiche, was ein amerikanischer Richter einmal über Pornografie sagte: „Ich kann sie nicht definieren, aber ich erkenne sie, wenn ich sie sehe.“ Wenn heute schätzungsweise jeder Zweite im Massenpublikum die Ironie selbst dann nicht mehr erkennt, wenn sie ihm ganz unsubtil auf den Füßen steht, dann sollte man sich nicht darüber lustig machen (und hier schon gar nicht, auf Publico wird nicht gelacht), sondern nach den Gründen fragen.
Stilmittel muss jeder wie die Sprache selbst einüben. Kinder verstehen weder Ironie noch Sarkasmus. Es gibt nur in der Gegenwart kaum noch Institutionen, die das uneigentliche Sprechen noch praktizieren und damit auch vermitteln. Als Faustregel gilt: Jeder, der behauptet, in den guten und hilfreichen Medienunternehmen lustig zu sein, beschäftigt sich mit allem Möglichen – nur nicht mit Ironie und Satire. Denn dann und nur dann hagelt es Preise galore.
Der Textverfasser kennt die Sendung „Böhmermann“, oder wie immer sie heißt, nicht vom Fernseher, sondern nur sehr ausschnittweise durch Videos auf X, die selten die Dauer von sechzig Sekunden überschreiten. Man lebt schließlich nur einmal. In einem seiner Beiträge nahm Böhmermann sich den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt* vor, also einen Gewerkschafter ohne Anbindung an SPD oder Grüne. Schon diese Kombination – also Beschäftigtenvertreter, aber nicht auf Linie – führt dazu, dass die ZDF-Medienschaffenden und ihre Subvarianten regelmäßig knietief in geplatzten Krägen stehen, sobald Rainer Wendt irgendetwas sagt. Was genau, darauf kommt es nicht an. Jedenfalls wollte Böhmermann in seiner damaligen Sendung mitteilen, er halte den Gewerkschaftschef für einen rechten Populisten und nicht für einen echten Polizisten. Zu diesem Zweck setzte sich Böhmermann eine Polizeimütze auf, die Kapelle hinter ihm intonierte ein paar Humptata-Takte, und der Schaumaster sang das folgende Couplet:
„Rainer Wendt, du bist ein rechter Populist
Und du denkst, du wärst ein echter Polizist
Rainer Wendt, du forderst Ordnung und Gesetz
Aber scheißt drauf, wenn’s dir selber etwas nützt.“
Diese Fallhöhe, diesen hintergründigen Witz, diesen Feinsinn – das macht ihm weiß Gott niemand nach. Zumindest nicht außerhalb Deutschlands. Ferner bezeichnete die Spitzenkraft in einer seiner Sendungen Feministinnen, die darauf bestehen, dass Männer sich nicht per Sprechakt in Frauen verwandeln und umgekehrt, als Turds, also Scheißhaufen. Ein anderer Böhmermann-Onliner lautete: „Irgendjemand soll verdammt noch mal endlich Dieter Nuhr die Fresse polieren.“ Gibt es von ihm auch Ausführungen, in denen er noch subtiler an den Wunden der Gesellschaft herumfingert? Aber ja doch. In der Zeit forderte er, die von ihm so bezeichneten Menschen von gestern gesellschaftlich zu isolieren:
„Alle gegen Menschen von gestern! Mit ihrer Ausgrenzung ließe sich endlich jene langersehnte breite Koalition schmieden, die Deutschland braucht, um wirklich raus aus der Scheiße zu kommen. Durch ihre erfolgreiche Bekämpfung können wir zusammen neuen Raum schaffen, um den Herausforderungen der Gegenwart wirksam zu begegnen. Schütten wir die unzähligen alten Gräben zu und heben gemeinsam einen einzigen, neuen aus: wir hier und da drüben die Menschen von gestern!“
Wer aber zählt nach Böhmermann zu den Gesternmenschen? Dazu listete er in der Zeit modellhafte Sätze auf; wer ihnen nicht zustimmt, landet auf der Liste derjenigen, die niedergekämpft werden müssen, um neuen Raum zu schaffen: „Google vergesellschaften, Meta regulieren, X zur Verantwortung ziehen, es gibt mehr als zwei Geschlechter“ und noch ein paar andere Festlegungen.
Dafür und für vergleichbare Schöpfungen bekam Böhmermann bisher sechs Grimme-Preise unter anderem in der Kategorie „Beste Comedy“, mehrfach den Deutschen Fernsehpreis, den Preis für Popkultur und den Sondermann-Preis für Komische Kunst. Denn, so die Grimme-Preis-Jury: „Satire muss gut geschrieben und gut recherchiert sein“. Zu Details fragen Sie bitte Arne Schönbohm. Das Konfettisturmgeschütz Spiegel lobt an Böhmermann „juvenilen Elan, popkulturelle Referenzgewitter und investigativen Furor“.
Überhaupt ist er der Heinrich Heine, der Alfred Kerr, der Kurt Tucholsky unserer Zeit, wobei die Wendung unsere Zeit das Problem hinreichend verdeutlicht. Auf dieser Metaebene konnte man das Ganze nach dem Grimmepreis Nummer eins noch begrenzt komisch finden. Aber selbst dieser Effekt verbraucht sich spätestens nach Nummer drei. Schräg hinter dem Fixstern der Grimmepreisverleiher erhebt sich schon zur Wahrung der Geschlechterparität die zweite deutsche Humorgröße Sarah Bosetti, die 2021 Kritiker der staatlichen Coronamaßnahmen im ZDF als „Blinddarm der Gesellschaft“, weil „nicht essenziell für das Überleben des Gesamtkomplexes“ bezeichnete. Bosetti räumte bisher den Dieter-Hildebrandt-Preis („ihre hochpolitischen Geschichten erzählt sie mit leiser, freundlicher, unaufdringlicher, aber eindringlicher Stimme“), ebenfalls den Grimme- und den Deutschen Fernsehpreis, den Deutschen Kleinkunstpreis und den Ringelnatz-Preis ab. Außer dem Literaturnobelpreis und dem Ingeborg-Drewitz-Preis für Strafgefangene war also wirklich fast alles dabei.
Was macht das alte Frankfurter Sonderschulhaus Titanic? In der aktuellen Ausgabe jedenfalls den Spitzenwitz: „Extrempolitiker Merz. Tödlicher Absturz bei Sonntagsfrage“. Dazu bekommt Merz auf dem Cover, hihi, einen Helm aufs Haupt. Wer nicht ganz das Talent aufbringt, um hier mitzutun, für den steht die ZDF heute-show von Oliver Welke bereit.
Ironie, Sarkasmus, Parodie – nichts davon lernt jemand, der öffentlich-rechtlichen Sendern und anderen Qualitätsmedien folgt. Der Witz, das wusste schon der Königsberger Humortheoretiker Immanuel Kant, entsteht „aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ (Kritik der Urteilskraft, Kapitel 64). Wenn ein Böhmermann und eine Bosetti die Bühne betreten, erwartet schon wirklich niemand irgendetwas in dieser Richtung, sofern er seine Groschen noch beisammen hat. Der Rest glaubt, bei Satire und Ironie ginge es darum, ideologische Feinde zu markieren, indem man sie nicht uneigentlich, sondern ganz ohne Umweg mit selbsterzeugtem Schleim bespritzt.
Was passieren kann, wenn schon das Erwartungsmanagement nicht klappt, erlebte kürzlich die Süddeutsche. Dort erschien im Zuge des vorläufig finalen Abschieds des Robert Habeck aus der Politik am 26. August ein Text mit der Überschrift „Der letzte deutsche Denker nimmt Abschied“. Das meinte der Autor nicht ernst, wenn auch wiederum nicht so unernst, dass es für einen Polizeibesuch am Morgen gereicht hätte. Da nur die Überschrift im Netz und der Rest hinter der Bezahlschranke stand, regten sich viele bei X und anderswo auf, die dem Weltblatt aus München alles Mögliche zutrauen, aber kein Pasquill auf den Weltgeist im graumelierten Pullover. Viele Abonnenten wiederum fanden den Text, den sie dort in voller Länge lesen mussten, aber ganz und gar nicht lustig. Einige fühlten sich ähnlich traumatisiert wie die gesamte linke Twitteria des Landes, als der Spiegel den großen Nachdenklichen einmal – und wirklich nur einmal – als konfusen Heizungsmonteur aufs Titelblatt hob.
Hunderte grüne Netzfeuerwerker ordneten diesen Titel als überhaupt nicht mehr komisch ein, sondern vielmehr als Wind in den Segeln der Unguten beziehungsweise Öl für die Brandfackeln, mit denen es morgen wieder durchs Brandenburger Tor geht. Karikaturen wie die, die Trump auf der Spiegel-Vorderseite als weltvernichtenden Meteor zeigte, nimmt dieses Milieu schließlich auch nicht als Metapher wahr, sondern als reine Wirklichkeitsbeschreibung. Im Fall von Trump findet man daran nichts auszusetzen. Aber dass so etwas mit einem Habeck nicht geht, versteht sich für Leute, die Böhmermann für den Wiedergänger von Heinrich Heine halten, wirklich von selbst.
Überhaupt: Fällt Ihnen auf, dass in deutschen Medien kaum noch Karikaturen erscheinen? Davon gab es früher schlechte, mittelmäßige und manchmal gute, aber immerhin führten sie ganze Zeitungslesergenerationen zu einem Grundverständnis von Satire. Heute bespielen Greser & Lenz noch eine letzte Nische. Da aber Regierungskritik und Spott über den linken Teil der Opposition schon einmal als Gegenstand wegfallen und außer Dieseldieter und Zonenronny keine Klischeefiguren mehr verspottet werden dürfen, sehen Zeichnungen dann eben aus wie die von Luis Murschetz in der Süddeutschen.
Neben Trump, Trump und abermals Trump gilt auch Mikroplastik als kritikfähig. Wer das zu doppelbödig findet, dem bleiben die Werke von Tommy Schwarwel, der auch für öffentlich-rechtliche Sender arbeitet. Dort erklärt der Dutzendsassa beispielsweise, dass Wirtschaftsministerin Reiche die Besteuerung von Reichen deshalb ablehnt, weil sie, hahahi, Reiche heißt.
Sie verstehen? Falls nicht, steht über dem Sprechblasenbild noch eine Erklärung. Genau das hält eine kritische Menge im Land heute für Humor. Ironie auf X und anderen Plattformen funktioniert jedenfalls dann nicht, wenn sie erstens ohne Kennzeichnung und zweitens ohne Gebrauchsanweisung daherkommt.
Fast genauso tot: die Parodie. Der oben erwähnte Egon Friedell schrieb sich zu seinem 50. Geburtstag mehrere porträtierende Glückwünsche im Stil der „Neuen Freien Presse“, anderer Wiener Zeitungen und sogar der „Fackel“, das heißt, er schaffte es, den Tonfall von Karl Kraus zu treffen, den bis dahin nur der Meister selbst traf.
In ihren intakten Zeiten nahm die Titanic einen ganz ähnlichen Weg auf dem Hochseil: Sie erfand eine Meldung („Wissenschaftlich bewiesen: Frauen können keine Quadrate zeichnen“) und parodierte die fiktiven Reaktionen der gesamten deutschen Medien durch, von FAZ über Frankfurter Rundschau bis zur Bäckerblume.
Das funktionierte damals, weil jedes Medium, ob klug oder weniger klug, über einen eigenen Ton verfügte. Aus genau diesem Grund versucht sich heute keiner mehr an dieser Übung. In den Blättern herrscht ein Einheitston, den nur ganz wenige nicht mitsummen. Und diejenigen gehören samt und sonders zum Ü-50-, meist sogar zum Ü-60-Club. Erinnert sich jemand an Thomas Freitag, mittlerweile auch schon 75? Er parodierte seinerzeit Helmut Kohl, Willy Brandt und Franz Josef Strauß. Keine überragende Humorarbeit, aber solide. Angela Merkel inhaltlich zu parodieren, das schafft nur der Beste seines Fachs, nämlich Bernd Zeller. Aber Friedrich Merz? Katharina Dröge? Daran zerbricht der stärkste Geist. Wo Distinktion verschwindet, ob nun auf der Ebene von Weltanschauung, Texten oder Personen, da gleiten die meisten Satire- und Sarkasmusversuche schon mangels Struktur ab. Nur die Härtesten schaffen es, sich an einer fugenlosen Betonwand entlang- und hochzuhangeln. Die wenigen, die es können, finden in den alten Medien kein Biotop mehr.
Früher gab es wenigstens im Kulturjournalismus Spott, Boshaftigkeit und subkutane Botschaften. Heute heißt die „Journalistin des Jahres in der Kategorie Kultur“ Jagoda Marinić, Kolumnistin beim Stern und Verfasserin des Buchs „Sanfte Radikalität“. Beides klingt schon schlimm genug. Aber weder das eine noch das andere bereitet ein ahnungsloses Publikum, das noch nichts von ihr kennt, auf ihre Tweets vor, also auf ihre authentischen, von Korrektoren und Lektoren noch unoperierten Wortmeldungen. Die sehen nämlich so aus:
Kurzum: Die Frau kann ohne fremde Hilfe keine drei geraden Sätze schreiben. Ihre Texte im Stern klingen zwar immer noch wie Aufsätze der ödesten Klassenstreberin aus der Britta-Haßelmann-Gesamtschule von Sossenheim. Aber immerhin stehen Buchstaben, Kommata und Punkte an der richtigen Stelle. Dass sie über den Titel der Kulturjournalistin des Jahres verfügt, macht sie zum einen zur Zeitfigur. Zum anderen erinnert es an den alten Radio-Jerewan-Witz: „Anfrage an Radio Jerewan: Kann ein Analphabet Mitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften werden? Antwort: Im Prinzip ja. Aber kein korrespondierendes.“ Jeder kann ihren tatsächlichen Status erkennen, wenn er will, so, wie ja auch jeder liest beziehungsweise hört, wie Annalena Baerbock von Dreihundertsechziggradwende, dem Grundlasthuhn und dem bacon of hope spricht.
Marinić durfte in diesem Jahr eine Rede zur Eröffnung des Brucknerfestes halten, bei der sie – dafür muss man sie wirklich loben – nicht ein einziges Wort über Bruckners Musik verlor. Der Komponist selbst kam nur in dem Format ‚Bruckner und ich‘ vor: „Es ist diese Haltung in Bruckners Werk, diese Flucht zum kraftvollen Schaffen, durch die ich mich ihm verbunden fühle.“
In einer Gegenwart, in der Böhmermann und Bosetti als hochfeine Geister gelten und Lagerräume für ihr Lametta brauchen, und in der eine Bundeskulturkammerjournalistin zum kraftvollen Schaffen flieht, wirkt es ein bisschen frivol, ernsthaft nach dem Schicksal von Ironie und Sarkasmus zu fragen. Sogar ein bisschen snobistisch. So, als würde man von den Musikern in der Berliner U-Bahn erwarten, dass sie Rachmaninoff spielen. Wobei: nichts Schlechtes über diese mobilen Musikanten. Wer immer sie bezahlt, tut es freiwillig. Und nach spätestens drei Stationen steigen sie wieder aus. Vor allem kein böses Wort über Menschen, die selbst die offensichtlichste Ironie und den Sarkasmus in einfachster Ausführung für bare Münze nehmen. Es handelt sich – bitte nicht als Ironie verstehen – um astreine Opfer der Gesellschaft.
Aber diese Gesellschaft, siehe oben, lässt sich nur mit doppeltem Boden, Fallhöhe und Distanz überhaupt angemessen darstellen. Wenn nur noch wenige diese Techniken verstehen und noch weniger sie beherrschen, dann erleichtert das bestimmten Leuten das Geschäft enorm. Denn Satire richtet sich machttechnisch immer von unten nach oben. Die uneigentliche Rede überwindet das Gefälle. Herrschaftskritik und Spott gehören zusammen. Stirbt das eine, dann verödet auch das andere.
In „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury rettet der Feuerwehrmann Guy Montag Bücher, die in dieser Dystopie generell in den Flammen enden, weil die Regierung zu dem Schluss kommt, dass jeder Text – egal welchen Inhalts –irgendein Mitglied der Gesellschaft beleidigen könnte. So weit ist es noch nicht. Aber kaum jemand hätte vor drei Jahrzehnten geglaubt, dass es erst einmal nicht um Bücher, sondern um Stilmittel geht, die ältere und leidenschaftliche Bürger mittlerweile fast unter klandestinen Umständen an jüngere weitergeben müssen, damit auch in weiteren dreißig Jahren noch jemand Satire versteht.
Ja, wozu überhaupt? Ironie, Sarkasmus und Parodie gehören zu den spezifisch westlichen Ausdrucksformen. Möglicherweise beruhte die lange Überlegenheit des Westens zuallererst auf der Fähigkeit, in mehreren Ebenen gleichzeitig zu denken. Und die herausragende Stellung des Westens verschwindet auch in dem Maß, wie diese Technik verfällt. Wer sie beherrscht, gehört zu einem schrumpfenden Club. Der Wert der Mitgliedschaft bemisst sich (wie bei allen Clubs) daran, wer draußen bleibt. Zum einen gibt es zwei große Gruppen mit wachsendem Einfluss, denen Ironie und überhaupt das Uneigentliche dauerhaft fremd bleiben: Wokelinke und Muslime. Falls es dort Ausnahmen gibt, machen sie sich über kurz oder lang in ihren Kollektiven höchst unbeliebt. Zweitens scheitert die Künstliche Intelligenz bisher an genau dieser Mauer. Wer Chat GPT oder Grok die Aufgabe gib, den typischen Tonfall ihrer Antworten zu parodieren, erhält zwar mittlerweile keine ganz schlechte Antwort. Aber ein talentierter Mensch liegt hier immer noch weit vorn.
Treffen wir einander also zur Rettung des uneigentlichen Denkens in Katakomben. Natürlich nur metaphorisch, ironisch gebrochen und ganz direkt.
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Karsten Dörre
26.09.2025Herr Wendt, ein Versuch, das zu erklären. Es sind Personen, die nur Reizwörter lesen und dann die Meinung, die Person verteidigen, die sie unbedingt verteidigen glauben zu müssen. Dass heisst, diese Personen können nicht mal zwei kurze Sätze im Zusammenhang verstehen. Wenn z.B. in den zwei Sätzen „Sandmännchen“, „Trans“ und „Tod“ verteilt stehen, dann lesen diese, Sandmännchen ist für vorzeitigen Transtod. Diejenigen, die Satire gekennzeichnet haben möchten, sind entweder Spätzünder oder ehrenamtliche Bürgerbetreuer, die sich für andere Leser ungefragt einsetzen. Alles hat einen Ursprung: die staatlich verordnete, rudimentäre Bildung. Kann aber auch damit zusammenhängen, dass das Internet den Untergang des westlichen Systems beschleunigt (KI ist ein Beschleuniger der einseitig komprimierten Information). China muss sich wegen des Internets nicht fürchten, zusammenzubrechen. Im Gegenteil, mit dem Internet boomt der Export (Temu, Alibaba usw.) und dortige Informations-KI ist sowieso Diktaturmeinung.